Nato-Blockade mitten im Ukraine-Krieg: Kann das Bündnis Erdogan einfach rauswerfen?

Erdogan will im Ukraine-Russland-Krieg die Nato-Beitritte Schwedens und Finnlands verhindern, es sei denn: Er erhält bestimmte Vorteile.
Ankara - Die Türkei blockiert wie angedroht Nato-Beitrittsgespräche mit Finnland und Schweden. Eine Erweiterung des Bündnisses sieht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erst dann als möglich, wenn die Nato die „Empfindsamkeiten“ der Türkei respektiere, so der Bericht des Nachrichtenportals euronews.com: Aktuell zeige die Nato mit dem geplanten Anschluss der „Terrornester“ Schweden und Finnland nicht das notwendige „Fingerspitzengefühl“, um die Türkei zu einer Kooperation veranlassen, so Erdogan.
Finnland- und Schweden-Blockade bestätigt der Nato: „Auf die Türkei unter Erdogan kein Verlass“
Schweden und Finnland haben am Mittwoch (18. Mai) offiziell ihre Mitgliedschaft in der Nato beantragt - aus Angst vor Russland in Folge des eskalierten Ukraine-Konflikts. Finnland etwa hat eine mehr als 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland. Der türkische Präsident hat auf die Anträge hin inzwischen mehrfach erklärt, dass die Türkei der Aufnahme nicht zustimmen werde. Wegen des für Nato-Erweiterungen geltenden Einstimmigkeitsprinzips könnten die Aufnahme Schwedens und Finnlands somit dauerhaft blockiert werden.
Die Drohung, seine Vetomacht mitten im Ukraine-Krieg für eigene Interessen zu nutzen, dürfte insbesondere von den bereits Türkei-kritischen USA als „unsolidarisch und verantwortungslos“ empfunden werden, so die Einschätzung der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).
US-Präsident Biden sprach sich währenddessen über den erhofften Gewinn für die Nato aus: „Finnland und Schweden machen die Nato stärker“, betonte der US-Präsident bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Finnlands und Schwedens. Er sei stolz darauf, die Anträge zum „stärksten und mächtigsten Verteidigungsbündnis der Weltgeschichte“ zu unterstützen. Angesichts des Wunsches nach den Beitritten auch auf Seiten der Nato, hat Erdogan wohl ein geeignetes Erpressungsmittel gefunden.
Video: Türkisches Veto zur NATO-Erweiterung - Erdogan wünscht sich mehr „Fingerspitzengefühl“
Erdogan-Blockade bei Nato-Erweiterung: Ist Rauswurf der Türkei vertraglich möglich?
Es drängt sich die Frage auf: Könnte die Nato auch die Türkei rauswerfen? Die Antwort ist schnell gegeben: Eine Kündigung der Türkei aus dem Bündnis ist schon rechtlich keine Option, wie ein Blick in den „Nordatlantikvertrag“, den Gründungsvertrag der Nato, ergibt. Nur ein freiwilliger Austritt der Mitglieder ist vorgesehen, ein „Rauswurf“ eines Staates ist keine Möglichkeit. Artikel 13 des Nordatlantikvertrags bestimmt:
„Nach zwanzigjähriger Geltungsdauer des Vertrags kann jede Partei aus dem Vertrag ausscheiden, und zwar ein Jahr, nachdem sie der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Kündigung mitgeteilt hat; diese unterrichtet die Regierungen der anderen Parteien von der Hinterlegung jeder Kündigungsmitteilung.“
Eine freiwillige Austrittsmöglichkeit hilft im Fall Erdogan wohl nicht weiter: Freiwillig wird sich die Türkei nicht verabschieden. Letztlich ist ein Rauswurf der Türkei langfristig aber auch für die Nato nicht günstig: Sie ist mit einem der stärksten Heere in der Nato ein wichtiger strategischer Verbündeter. Auch die geographische Lage zwischen Europa und Asien macht das Land als militärischen Partner interessant.
USA glaubt an Schlichtung des Nato-Streits: Trotz Erdogans Erfahrung mit politischen Erpressungen
Die US-Regierung zeigte sich zuletzt zuversichtlich, dass es möglich sei, am Ende eine Lösung für die Differenzen mit der Türkei zu finden. Nach Einschätzung der beteiligten Diplomaten spielt neben Erklärungen der Beitrittskandidaten zum Kampf gegen den Terrorismus vor allem ein von der Türkei angestrebtes Waffengeschäft mit den USA eine Rolle. Ankara wolle von den USA F-16-Kampfjets kaufen - in Washington ist der Deal umstritten und wurde zuletzt abgelehnt.
Auch der finnische Präsident Niinistö versuchte bereits, auf die Bedenken in Ankara einzugehen. Finnland sei bereit, alle Bedenken der Türkei zu besprechen. „Finnland und Schweden arbeiten direkt mit der Türkei zusammen, um dies zu erreichen, aber wir sprechen auch mit den Türken, um zu versuchen, den Prozess zu erleichtern“, sagte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan am Mittwoch (18. Mai). Er und US-Außenminister Antony Blinken hätten mit ihren jeweiligen türkischen Amtskollegen gesprochen und seien „sehr zuversichtlich, was die weitere Entwicklung angeht“.
Ukraine-Russland-News: Erdogan „verhandelt“ Schwedens und Finnlands Beitritte mit Nato
Dass Erdogan mit dem neuen Hebel des Vetos gegen die Nato-Beitritte Finnlands und Schwedens für die Türkei Vorteile aushandeln könnte, ist nicht unwahrscheinlich. Die Erfolge könnte Erdogan für die nächsten Wahlen gut brauchen, da auch aus seinem Land teils Kritik am Chef laut wird, etwa im vergangenen Herbst wegen einer Massenausweisung westlicher Diplomaten. (mvz mit dpa)