1. Startseite
  2. Politik

Das unfassbare Geständnis des Attentäters

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Oslo - Der Attentäter von Norwegen hat gegenüber der Polizei ein grausames und kaltblütiges Geständnis abgelegt. Am Montag soll er dem Haftrichter vorgeführt werden. Diesen Auftritt will er öffentlich inszenieren.

Die norwegische Staatsanwaltschaft will nach Angaben des Bezirksgerichts in Oslo für den mutmaßlichen Attentäter Anders Behring Breivik acht Wochen Untersuchungshaft fordern. Die Anwälte der Regierung wollten sich in dieser Zeit auf den Prozess vorbereiten, sagte eine Gerichtssprecherin. Eine erste Anhörung am (heutigen) Montag soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft hinter verschlossenen Türen stattfinden. Breivik hat dagegen gefordert, die Öffentlichkeit zuzulassen. Sein Anwalt Geir Lippestad sagte dem Sender NRK, Breivik wolle in Uniform erscheinen. Welcher Art die Uniform sei, wisse er nicht, sagte Lippestad.

Der 32-Jährige hatte in Verhören nach den beiden Anschlägen vom Freitag mit mindestens 93 Toten, erklärt, dass er seine Motive vor dem Haftrichter darlegen wolle. Dafür wünsche er Öffentlichkeit. Er wolle sich erklären, sagte sein Anwalt am Sonntag. Es war jedoch unklar, ob der Richter zu der Anhörung am Montag Medienvertreter zulassen würde. Der 32-Jähriger soll außerdem gegenüber seinem Anwalt Geir Lippestad den Wunsch geäußert haben, ihm eine Uniform für den Hafttermin zu beschaffen. In seinem sogenannten “Manifest“ im Internet hatte Breivik geschrieben, dass er die Zeit nach einer möglichen Festnahme als “Propagandaphase“ nutzen wolle. In ganz Norwegen soll am Montag der überwiegend jugendlichen Opfer des beispiellosen Verbrechens um 12.00 Uhr mit einer Schweigeminute gedacht werden.

“Es sah aus, als habe er Spaß“

Wie die Zeitung “Dagbladet“ weiter in ihrer Online-Ausgabe berichtete, hat auch die Regierung im benachbarten Schweden die Bevölkerung zu der Schweigeminute um 12.00 Uhr aufgerufen.

Lesen Sie dazu auch:

Stiefbruder von Mette-Marit unter Mordopfern

Merkel offenbar im Visier des Norwegen-Killers

Horror-Blutbad: Trauer kennt keine Grenzen

Visitenkarte eines Massenmörders

Dieser Deutsche rettete 20 Menschen vor dem Killer

Norwegen rätselt über Hintergründe

So stellte sich der Attentäter im Netz dar

Bomben-Terror in Oslo - Schüsse in Jugendlager

Video: Schwerer Bombenanschlag in Oslo

Nach den Ermittlungen handelte der Massenmörder wahrscheinlich als Einzeltäter. Neun Jahre lang soll er seine Taten geplant haben. Die Polizei äußerte sich am Sonntagabend zurückhaltend zum Motiv. Sie stieß im Internet auf eine 1500 Seiten lange Hassschrift des Mannes. Darin legt Breivik seine rechtsextremistischen und islamfeindlichen Thesen dar und ruft zu weiterer Gewalt auf. Der Anwalt des 32-Jährigen, Geir Lippestad, erklärte, sein Mandant habe das Manifest selbst geschrieben. “Er wollte eine Veränderung in der Gesellschaft und, von seiner Warte aus, musste er diese mit einer Revolution durchsetzen.“ Zumindest Passagen des Manifests sind jedoch fast wortgetreu von dem amerikanischen “Unabomber“ Ted Kaczynski übernommen. Kaczynski wurde wegen einer Serie von Briefbombenanschlägen in den USA von den 70er bis in die 90er Jahre, bei denen drei Menschen getötet und 23 verletzt wurden, zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt in einem Zuchthaus in Colorado.

Breivik übernahm Abschnitte, die sich auf den ersten Seiten von Kaczynskis in den 90er Jahren veröffentlichtem Manifest finden, ohne wie bei anderen Zitaten auf den Urheber hinzuweisen. In einer Passage, in der sich der Amerikaner über das “Minderwertigkeitsgefühl“ der Linken auslässt, ersetzte Breivik den Begriff “Linksradikalismus“ durch “Multikulti“ beziehungsweise “Kulturmarxismus“.

Schockierende Bilder: Blutbad in Norwegen

Der von den Behörden als “christlicher Fundamentalist“ eingestufte Mann richtete auf einer winzigen Ferieninsel nahe Oslo ein grauenhaftes Blutbad unter rund 700 jungen Leuten an. Er erschoss auf einem fröhlichen Jugendtreffen gegen Intoleranz und für ein friedliches Miteinander mindestens 86 Teilnehmer oder trieb sie im Wasser in den Tod. “Jeder lief um sein Leben und hat versucht, wegzuschwimmen“, sagte Camp-Organisator Adrian Pracon (21), der das Blutbad mit einer Schussverletzung überlebte.

Eine Stunde lang schoss der Attentäter mit einem Schnellfeuergewehr gezielt auf die zunehmend panischen Jugendlichen, die weder von der Insel Utøya fliehen noch auf schnelle Hilfe hoffen konnten. “Es sah aus, als habe er Spaß“, sagte Augenzeuge Magnus Stenseth (18). Viele versuchten, sich zu verstecken oder die 700 Meter bis zum rettenden Ufer durch das kalte Wasser zu schwimmen.

Attentäter hatte es auch auf Ministerpräsidentin abgesehen

Eine Anti-Terror-Einheit konnte erst kein geeignetes Boot auftreiben. Als die Polizei endlich auf der Insel eintraf, ließ sich Breivik ohne Gegenwehr festnehmen. Obwohl er bereits seit gut einer Stunde um sich geschossen hatte, verfügte er zu dem Zeitpunkt “noch über große Mengen Munition“. Das teilte Ermittlungschef Sveinung Sponheim am Sonntag in Oslo mit. Mit ihrem “schnellen und kompetenten Eingreifen“ habe die Polizei einen noch weit schlimmeren Ausgang des Massakers verhindert, hieß es weiter seitens der Polizei.

Die Osloer Zeitung “Aftenposten“ berichtete am Montagmorgen in ihrer Online-Ausgabe unter Berufung auf Polizeikreise, dass der 32-jährige Anders Behring Breivik bei dem Massaker auf der kleinen Insel auch die frühere Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland ermorden wollte. Brundtland (72) ist die international bekannteste sozialdemokratische Politikerin aus Norwegen. Brundtland trat am frühen Freitagnachmittag beim sozialdemokratischen Jugendlager auf der Insel Utøya auf, bei dem Breivik wenig später mindestens 86 Jugendliche tötete.

Vor dem Massaker hatte der 32-jährige Norweger im etwa 40 Kilometer entfernten Oslo mit einer selbstgebauten Autobombe Teile der Innenstadt in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Mindestens sieben Menschen wurden durch die Wucht der Explosion und Trümmer getötet. Das Büro von Ministerpräsident Stoltenberg wurde völlig verwüstet. Möglicherweise sollte die Explosion die Polizei ablenken. Deutsche waren nach bisherigen Erkenntnissen nicht unter den Opfern.

"Ja, ich gestehe. Aber eines Verbrechens bin ich nicht schuldig."

In einem Geständnis bezeichnete Breivik seine Taten als “grausam, aber notwendig“. Die Bild-Zeitung zitiert weitere Auszüge aus dem Geständnis: Ja, ich gestehe den Bombenanschlag im Regierungsviertel. Ja, und ich gestehe die Schüsse auf der Insel. Aber eines Verbrechens bin ich nicht schuldig. Mich trifft keine strafrechtliche Schuld.“ Keine drei Stunden vor dem ersten Anschlag hatte er ein wirres “Manifest“ im Internet abgeschlossen: “Ich glaube, dies wird mein letzter Eintrag sein.“ Er wolle Europa vor “Marxismus und Islamisierung“ retten. In dem Text stufte er “multikulturelle“ Kräfte als Feinde ein. Er beschrieb den Bau einer Bombe, erwähnte auch die Jugendorganisation, die das Inselcamp organisiert hat. Niemandem habe er von seinen Plänen erzählt. Der Mann hat weder Frau noch Kinder. “Er sagt, dass er allein gehandelt hat. Das müssen wir jetzt sehr genau überprüfen“, erklärte Sponheim.

Seit dem Frühjahr hatte Breivik sechs Tonnen Kunstdünger zusammengekauft, der zur Herstellung von Bomben geeignet war. Der Hobbyschütze hatte über Netzwerke im Internet Kontakte in die rechte Szene. Er soll nun auf seinen Geisteszustand untersucht werden. “Es ist ausgesprochen schwer für mich, eine vernünftige Zusammenfassung von dem zu geben, was er in dem Verhör gesagt hat“, so Verteidiger Geir Lippestad in örtlichen Medien.

Benedikt XVI. warnte vor der Logik des Bösen

Die Beamten fürchteten, dass noch weitere Todesopfer entdeckt werden könnten. Rund um Utøya suchten Spezialisten am Sonntag nach mindestens vier Vermissten.

Unterdessen kommen immer neue schreckliche Details an die Öffentlichkeit. Der Chirurg Colin Poole vom Ringerike-Krankenhaus in Hønefoss gab an, dass der Attentäter offenbar spezielle Munition eingesetzt habe, um maximale Schäden bei seinen Opfern hervorzurufen. Poole sagte der Zeitung “Dagbladet“ nach der Behandlung von 16 Opfern in seinem Krankenhaus: “Ich habe nie zuvor diesen Typ von Schusswunden gesehen.“ Die Projektile hätten sich offenbar in den Körpern der Getroffenen stark fragmentiert und seien nicht wieder ausgetreten.

Die internationale Gemeinschaft zeigte sich erschüttert von den Anschlägen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama verurteilten die Tat ebenso wie die Vereinten Nationen und die Europäische Union. Papst Benedikt XVI. warnte vor der Logik des Bösen. Bundespräsident Christian Wulff übermittelte König Harald V. seine Anteilnahme. Für die Ermordung friedlicher Bürger gebe es keine Rechtfertigung, schrieb Kremlchef Dmitri Medwedew.

Das Geschehen in Norwegen löste auch in Deutschland Beunruhigung aus. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht für die Bundesrepublik aber keine direkte Gefahr durch Terroranschläge von rechts. “Hinweise auf rechtsterroristische Aktivitäten liegen derzeit nicht vor“, sagte er der “Bild am Sonntag“.

Fanatische Täter wie Breivik wollen nach Ansicht des Psychoanalytikers Wolfgang Schmidbauer häufig als Held in die Geschichte eingehen. “Heldenmythen haben immer schon eine große Anziehungskraft auf junge Männer ausgeübt“, sagte Schmidbauer der Nachrichtenagentur dpa.

dpa/dapd

Auch interessant

Kommentare