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Die USA drehen den Gashahn auf

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Von: Dominik Göttler

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Robert Pate auf der Baustelle des Freeport-LNG-Terminals. © dg

Die US-Regierung bekämpft den Bau der Gas-Pipeline „Nord Stream 2“ von Russland nach Deutschland. Es könne nicht sein, dass sich Deutschland seine Sicherheit von den USA bezahlen lasse, aber gute Geschäfte mit Moskau mache, schimpft US-Präsident Trump. Doch für Washington geht es um mehr.

Houston/Washington – Die Sonne knallt Robert Pate auf den Helm. Es hat knapp 30 Grad an diesem Tag in Quintana, einem 100-Einwohner-Dörfchen am Golf von Mexiko, rund 80 Kilometer südlich von Houston, Texas. Früher wurde auf dem Landstrich der Aushub aus dem Brazos-River und seinen Kanälen gelagert. Heute ragt dort ein Ungetüm aus Rohren und Stahlträgern in den Himmel. „Es ist nichts anderes als ein riesengroßer Kühlschrank“, sagt Pate, der auf dieser gigantischen Baustelle die Produktion leitet.

Hinter ihm entsteht der Freeport LNG Terminal, der in den kommenden Monaten in Betrieb gehen soll. Tausende Bauarbeiter schuften in der Hitze, damit der Terminal bald das machen kann, wofür Investoren rund 14 Milliarden Dollar in die 325 Hektar große Anlage gesteckt haben: Erdgas auf minus 164 Grad herunterkühlen, bis es den Aggregatszustand wechselt. Das Flüssiggas, auf Englisch „Liquefied Natural Gas“ (LNG), wird dann auf Schiffe verladen und hinaus in die weite Welt geschickt. Amerika dreht den Gashahn auf. Und auch Deutschland soll kaufen.

Heute produzieren die USA mehr Öl als Saudi-Arabien

Die USA haben einen energiepolitischen Wandel hinter sich. Grund dafür ist die sogenannte Shale-Revolution – zu Deutsch Schiefergestein-Revolution. Seit die Amerikaner gelernt haben, mit einer Kombination aus Fracking und horizontaler Bohrung Gesteinsschichten aufzubrechen und so eine Vielzahl neuer Öl- und Gasfelder zu erschließen, sind die USA vom Importeur zum Exporteur geworden. Wurden früher größte außenpolitische Anstrengungen unternommen, um den Zugang zu fossilen Brennstoffen zu sichern, produzieren die Amerikaner heute mehr Öl als Saudi-Arabien. Und wo viel Öl ist, da ist auch viel Gas.

Lesen Sie auch: Die kontroverse Debatte ums Fracking-Gas 

Die US-Branche spricht vom Zeitalter des Energie-Überflusses. Weil so viel Gas gefördert wird, sind die Preise dafür in den Staaten in den vergangenen 15 Jahren um 75 Prozent gefallen. Nun sucht die Branche ein Ventil – und will den Weltmarkt mit ihrem Produkt erobern. Dabei bekommt sie kräftige Unterstützung von der Trump-Regierung.

Nord Stream 2 wächst täglich um drei Kilometer

Kent Logsdon sitzt in einem unscheinbaren Besprechungsraum im vierten Stock des Harry S. Truman Buildings in Washington D.C., dem Sitz des US-Außenministeriums. An der Wand hängen Porträts von Präsident Donald Trump und Außenminister Mike Pompeo. Logsdon kennt Deutschland gut, er hat als Gesandter in der US-Botschaft in Berlin gearbeitet, heute ist er stellvertretender Abteilungsleiter im Energiebüro des US-Außenministeriums. Er ist ein freundlicher Mann, der viel lächelt – aber seine Botschaft könnte nicht klarer sein.

Es geht um das Pipeline-Projekt „Nord Stream 2“, mit dem künftig 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas pro Jahr über die Ostsee in die Europäische Union geleitet werden sollen. Die Pipeline wird derzeit verlegt, täglich wächst sie um drei Kilometer, obwohl die USA kräftig opponieren. „Wir sehen Nord Stream 2 weiterhin als Gefahr für die europäische Energie-Sicherheit“, sagt Logsdon. Russland bekomme dadurch zu viel Kontrolle über die europäische Energieversorgung. „Ich war in der Ukraine, als die Russen 2006 das Gas abgedreht haben“, sagt Logsdon. „Es war kalt. Sehr kalt.“

„Wir verschiffen Freiheit“

Ein paar Blocks weiter im James Forrestal Headquarters Complex, dem Sitz des US-Energie-Ministeriums, präsentiert der stellvertretende Energieminister Dan Brouillette die Lösung für das Russland-Problem und für die deutsche Energiewende gleich mit. „Ihr habt euch hohe Umweltziele gesetzt, aber uns ist nicht ganz klar, wie ihr die erreichen wollt, wenn ihr aus der Kohle- und Kernenergie aussteigt, während der Wind- und Solarausbau stockt“, sagt Brouillette. „Eure einzige Option ist Gas, wenn ihr eure Wirtschaft nicht schwächen wollt.“ Für Brouillette und viele seiner Kollegen ist Gas die saubere Alternative zur Kohle, eine Brücke zu den erneuerbaren Energien. Doch das ist umstritten (siehe Text unten). In den nächsten Jahren würden die USA Exportkapazitäten schaffen, mit denen die gesamte europäische Flüssigerdgas-Nachfrage gedeckt werden könnte. „Und wir sind bereit, unser Produkt an jeden zu verkaufen, der an einer sauberen Umwelt, an niedrigen Energiekosten und an nationaler Sicherheit interessiert ist“, sagt Brouillette. Oder wie sein Chef, US-Präsident Trump, kürzlich auf Twitter schrieb: „Wir verschiffen Freiheit!“

Nationale Sicherheit? „Mag sein, aber hier geht es darum, Marktanteile für US-Gas in Europa zu sichern“, sagt

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David Dismukes © State Gov

David Dismukes. Der Mann mit dem Cordsakko und den Oberarmen wie ein Fabrikarbeiter ist Professor am Center for Energy Studies der Louisiana State University in Baton Rouge. Auch hier, im Nachbarstaat von Texas, wo an den Kanälen zur Golfküste die Öl- und Gaspipelines des ganzen Landes zusammenlaufen und sich die Industrieschlote wie Zaunlatten am Horizont entlang reihen, boomt der LNG-Sektor. „Allein in Louisiana wurden in den vergangenen acht Jahren 65 Milliarden Dollar in diesem Bereich investiert. An der gesamten Golfküste dürften es um die 150 Milliarden sein.“ Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt Ungarns. Auch deutsche Unternehmen wie BASF, MAN und Siemens mischen kräftig mit.

Bis Ende des Jahres sollen in den USA sechs LNG-Terminals in Betrieb sein, weitere sind in Planung. Einige Anlagen stehen bereits zum Teil. Sie dienten vor der Shale-Revolution als Import-Terminals und sollen nun für den Export umgerüstet werden. „Es herrscht eine regelrechte Goldgräber-Stimmung“, sagt Dismukes. Doch er ist sicher: Von den geplanten Export-Terminals werden am Ende maximal die Hälfte wirklich gebaut. Denn ein Grundstück am Kanal und die Genehmigungen sind schnell gesichert. Doch ein langfristiger Vertrag mit einem Käufer – da wird es schon schwieriger. „Jeder steckt sein Gebiet ab, auch wenn er am Ende gar nicht nach Gold suchen wird“, sagt der Professor.

Kritik an Nord Stream 2 kommt auch aus Europa

Und wie geht Deutschland mit dem amerikanischen Druck um? Die Bundesregierung macht keine Anstalten, von Nord Stream 2 abzurücken. Denn das russische Pipeline-Gas ist deutlich günstiger als importiertes US-LNG, das mit erheblichem Energieaufwand heruntergekühlt und über den Atlantik transportiert werden muss. Selbst unter den höchsten politischen Spannungen des Kalten Krieges lieferten die Russen stets zuverlässig, argumentieren die Befürworter. Viele EU-Staatschefs, vor allem aus Osteuropa, fürchten dagegen, dass Russland mit der neuen Pipeline noch mehr Macht über bisherige Transitländer wie die Ukraine, Weißrussland oder Polen ausüben werde. Auch Manfred Weber (CSU) positionierte sich im Europawahlkampf klar gegen das Projekt. Die Pipeline spalte die EU und stelle die deutsche Solidarität mit den Nachbarn im Osten infrage, kritisierte er.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will nun den Bau zweier deutscher LNG-Terminals vorantreiben. Bislang können die LNG-Tanker aus den USA, Katar oder Australien nur in europäischen Nachbarländern andocken. Zur Debatte stehen die Standorte Brunsbüttel, Stade, Rostock und Wilhelmshaven. Doch aktuell gibt es noch keine finale Investitionsentscheidung aus der Privatwirtschaft, wie das Bundeswirtschaftsministerium auf Nachfrage erklärt. Sollte die Investition kommen, wäre das ein Schritt für mehr Flexibilität beim Gas-Import, wie das Wirtschaftsministerium betont? Oder doch ein Zugeständnis an Trump, um die Wogen in der Nord-Stream-Kontroverse zu glätten?

In Quintana sind die Bauarbeiten für eine von drei Produktionslinien fast abgeschlossen. Ab September wird der erste Riesenkühlschrank in Betrieb gehen, im Januar und Mai 2020 dann zwei weitere. Damit sollen jährlich 15 Millionen Tonnen LNG verschifft werden. Für die drei Linien gibt es bereits langfristige Abnehmer-Verträge über 20 Jahre mit mehreren großen Energiekonzernen aus Asien oder dem britischen Mineralölgiganten BP. Für eine vierte Linie laufe aktuell die Marketingphase, sagt John Tabola, Senior Vice President von Freeport LNG. „Also wenn Sie irgendjemanden kennen...“, sagt er lachend zu den Journalisten, die die US-Regierung zur Tour durch die neuen Flüssiggas-Zentren eingeladen hat. Natürlich schwebt den Amerikanern da schon ein Kunde vor. Ein Kunde, der das flüssige Erdgas vielleicht schon bald nach Brunsbüttel, Stade, Rostock oder Wilhelmshaven liefern lassen könnte.

Die Recherche für diesen Artikel wurde vom Foreign Press Center unterstützt.

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