Putin näher als die Oligarchen - das sind womöglich Russlands mächtigste Männer nach dem Kreml-Chef

Nicht die Oligarchen, sondern eine andere Gruppe konzentriert offenbar die Macht in Russland auf sich: die Silowarchen.
Moskau/München - Der Begriff „Oligarch“ ist spätestens seit Ausbruch des Ukraine-Krieges vielen Menschen ein Begriff. Ein Teil der EU-Sanktionen gegen Russland betreffen speziell diese Oligarchen, die mit ihren meist großen Vermögen und Kontakten zur Politik großen Einfluss haben. In den 1990er Jahren entstand jedoch eine weitere Elite in Russland, die weniger bekannt ist: die Silowarchen.
Der Begriff wurde 2006 von Daniel Treisman geprägt, der als Professor für Politikwissenschaft an der University of California in Los Angeles lehrt. Der Begriff ist eine Kombination aus den Wörtern „Oligarch“ und „Silowiki“, was übersetzt „Menschen der Macht“ bedeutet. Zu den Silowarchen zählen führende Beamte der Sicherheitsdienste und der Strafverfolgung.
Putins engster Kreis: Die Silowarchen sind ehemalige Militärs und Geheimdienstler
Treisman geht davon aus, dass die Oligarchen nicht den politischen Einfluss haben, der ihnen oftmals zugesprochen wird und über weniger Macht verfügen als die Silowarchen. Der leitende Analyst für Eurasien beim US-amerikanischen Sicherheitsunternehmen Dragonfly, Hugo Crosthwaite, geht darüber hinaus davon aus, dass Silowiki einen wesentlichen Teil von Wladimir Putins engstem Kreis ausmachen. Da Putin selbst beim KGB war, der jetzt als Föderaler Sicherheitsdienst (FSB) bekannt ist, wird oft gesagt, dass auch der Präsident ein Silowarch sei.
Die Silowarchen sollen ein fester Bestandteil des Regimes von Putin sein und ihn daher näher stehen als die Oligarchen. Gegenüber dem Insider gaben Treisman und Crosthwaite an, wer zu den Silowarchen in Russland zählt. Einige der bekanntesten Silowarchen seien Generaldirektoren und Veteranen des KGB. Allerdings wird auch Alexej Miller zu der Gruppe der Silowarchen gezählt, obwohl dieser keinen besagten Hintergrund hat. Er ist aktuell Chef des Energieversorgers Gazprom, welches wiederum dem Silowarchen-Imperium zugeordnet wird.
Der mächtigste Silowarch und Putins engster Vertrauter: Igor Setschin
Auch Igor Setschin soll zu den Silowarchen gehören. Er wird als einflussreichste Person Russlands nach Wladimir Putin gezählt und ist ein enger Vertrauter des Präsidenten. Er ist darüber hinaus Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft. Sie ist eines der wichtigsten geopolitischen Instrumente des russischen Präsidenten. Mitte der 1980er Jahre diente Setschin als Militärdolmetscher in Mosambik und Angola.
Untereinander sind die Silowarchen miteinander verbunden: So ist zum Beispiel Andrej Patruschew, Sohn des FSB-Chefs Nikolai Patruschew, Setschins persönlicher Berater bei Rosneft und jetzt Chef des Mineralölunternehmens Gazprom Neft.
Einfluss auf Russlands Putin-Politik: Wiederbelebung orthodoxer Werte
Einige Silowarchen vertreten öffentlich auch klare politische Positionen: Wladimir Jakunin, ein ehemaliger General, forderte zum Beispiel laut dem Politikwissenschaftler Daniel Treisman engere Beziehungen zwischen den slawischen Nationen sowie eine Wiederbelebung der orthodoxen christlichen Werte. Er ist ehemaliger Präsident der russischen Eisenbahnen und arbeitete zuvor im Verkehrsministerium.
Weitere Personen, die aufgrund ihrer früheren oder aktuellen Beteiligung an den Streitkräften oder Geheimdiensten laut Treismans Recherche den Silowarchen angehören, sind:
- Viktor Ivanow – ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Almaz-Antei und Aeroflot. Zuvor arbeitete er beim sowjetischen KGB und beim FSB.
- Sergej Chemezow – Generaldirektor von Rostec und ehemaliger Spion.
- Viktor Zubkow – Vorstandsvorsitzender von Gazprom und ehemaliger Ministerpräsident.
- Sergej Ivanow – Sonderbeauftragter des Präsidenten für Umweltschutz, Ökologie und Verkehr und ehemaliger Geheimdienstoffizier des KGB.
- Nikolai Tokarew – Präsident von Transneft und ehemaliger KGB-Agent.
- Mikhail Fradkow – ehemaliger Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes und ehemaliger Ministerpräsident – diente als technischer Dolmetscher für die Botschaft der Sowjetunion in Indien.
- Rashid Nurgaliej – ehemaliger Innenminister und stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrates – ist Armeegeneral und arbeitete für das FSB.
- Wladimir Kolokoltsew – Innenminister und Generalleutnant bei der Polizei. Zuvor war er Moskauer Polizeikommissar.
- Viktor Cherkesow – Direktor des staatlichen Antidrogendienstes und Generalleutnant.
- Viktor Ivanov – ehemaliger Direktor des staatlichen Drogenkontrolldienstes und ehemaliger Vorsitzender von Almaz-Antei.
Russland und das Selbstverständnis der Silowarchen: Beschützer des russischen Staates
Silowarchen kontrollieren meist große Unternehmen - als Geschäftsführer oder in Aufsichtsräten. Laut dem Politikwissenschaftler Treisman sehen die Silowarchen ihre Mission darin, Probleme zu lösen, die durch die Oligarchen geschaffen wurden. Ihrem Verständnis nach stellen sie den Respekt für den Staat wieder her, stärken die Macht des Präsidenten und restrukturieren Medien und politische Parteien.
Ihrem Verständnis nach sind sie damit Beschützer des russischen Staates. Analyst Hugo Crosthwaite betonte gegenüber dem Insider, dass die Silowarchen gemessen an ihren Positionen, einen enormen Einfluss innerhalb Russlands haben. Es handele sich schließlich bei den Silowarchen um eine sehr kleine Entscheidungsgruppe um den Präsidenten, die letztendlich über die Macht im Staat verfügt. (at)