Man sollte annehmen, wenn die Wähler ihren Präsidenten nicht direkt wählen können, müssen wenigstens die Wahlmänner ihrem Willen folgen. Doch so einfach ist es nicht.
- Bei der letzten Wahl im Jahr 2016 waren die Wahlmänner in 24 Bundesstaaten nur ihrem Gewissen gegenüber verpflichtet. Sie hätten auch gegen das Votum der Wähler für den anderen Kandidaten stimmen dürfen.
- In 26 Staaten dagegen schreiben Gesetze vor, dass die Wahlmänner für den Kandidaten ihrer Partei stimmen müssen. Eine Ausnahme unter diesen Bundesstaaten stellt lediglich Virginia dar. Der dortige Gesetzestext lässt sich durchaus als Empfehlung zur Stimmabgabe und nicht als Vorschrift lesen. Häufig wird von den Wahlmännern ein Gelöbnis an den Staat oder die Partei gefordert, entsprechend der Wählermeinung zu stimmen.
Stimmt ein Wahlmann nicht nach Wählerwunsch ab, ist er ein „faithless elector“ (auf Deutsch „treuloser Wahlmann“). Die meisten Vertreter stimmen der Stimmenmehrheit ihres Bundesstaates entsprechend ab. Bei jeder Wahl entscheiden aber immer auch einige Wahlmänner abweichend vom Auftrag der Wähler.
Zahl der Wählerstimmen und Abstimmung der Wahlmänner
Durch die stark differierende Besiedlung der USA vertreten die Wahlmänner unterschiedlich viele Bürger. Nach der letzten Volkszählung von 2010 gelten beispielsweise folgende Werte:
- Wyoming: drei Wahlmänner – eine Stimme für je 187.875 Einwohner
- Ohio: 18 Wahlmänner – eine Stimme für je 640.917 Einwohner
- Kalifornien: 55 Wahlmänner – eine Stimme für je 677.345 Einwohner
In 48 der 50 Bundesstaaten der USA gilt bei den Präsidentschaftswahlen das „Alles-oder-nichts-Prinzip“. Der Kandidat, der die einfache Mehrheit der Wählerstimmen erringt, bekommt alle Wahlmänner für sich. Das kann dazu führen, dass ein Kandidat zwar USA-weit die meisten Wähler überzeugen konnte, aber weniger Wahlmänner gewonnen hat als sein Kontrahent.
Mehr Wählerstimmen und trotzdem weniger Wahlmänner
Meist stimmen Wählerwillen und Wahlmänner überein, aber nicht immer. Das war bisher fünfmal in der Geschichte der USA so:
- 2016 errang Donald Trump 2,8 Millionen, das entspricht 2,09 Prozent, weniger Stimmen als seine Gegnerin Hillary Clinton. Im Electoral College stimmten jedoch 306 zu 232 Wahlmänner für Trump, da dieser einige der bevölkerungsreichsten und damit mit der größten Zahl an Wahlmännern ausgestatteten Staaten knapp für sich entscheiden konnte.
- Al Gore erhielt im Jahr 2000 543.895 Stimmen, das entspricht 0,5 Prozent mehr als Kontrahent George W. Bush. Letzterer gewann jedoch mehr Wahlmänner und wurde damit Präsident.
- Nach Wählerstimmen hätte Grover Cleveland seine Wiederwahl 1888 gewonnen, aber sein Nachfolger Benjamin Harrison hatte 65 Wahlmänner mehr.
- Samuel J. Tilden sicherte sich 1876 mit 254.235 Stimmen die Mehrheit und einen Vorsprung von 3,1 Prozent. Die Wahl war umstritten und gleich drei Bundesstaaten gaben ihren Wahlmännern doppelte Stimmrechte. Eine Kommission musste schlichten. Entsprechend der politischen Ansichten der Kommissionsmitglieder wurde Rutherford B. Hayes zum Präsidenten ernannt.
- Im Jahr 1824 sammelte Andrew Jackson 38.149 Stimmen mehr als John Quincy Adams, der 10,4 Prozent zurücklag. Das Repräsentantenhaus entschied wegen Uneinigkeit über den Präsidenten und wählte John Quincy Adams, der zahlenmäßig unterlegen war.
Electoral College: Die Wahlmänner und die Swing States
Die Geschichte der USA zeigt, dass die Präsidenten des Landes in den sogenannten Swing States gemacht werden.
In vielen Staaten sind die Einwohner traditionell mehrheitlich demokratisch oder republikanisch eingestellt. Recht sicher steht daher die Anzahl der Wahlmänner, die ein Kandidat gewinnen kann, in diesen Landesteilen fest:
- In Kalifornien ist den Demokraten der Sieg gewiss.
- Die Republikaner dagegen punkten regelmäßig in Texas und Oklahoma.
- Wichtig für Wahl des Präsidenten sind die „Swing States“ (zu Deutsch „Schwingstaaten“), in denen die Wählergunst recht gleichmäßig auf beide Parteien verteilt ist. Zu den hart umkämpften Bundesstaaten mit einem offenen Wahlergebnis zählen unter anderem:
- Florida
- Georgia
- Minnesota
- Ohio
Um die meisten Wahlmänner im Electoral College auf sich zu vereinen, kämpfen die Parteien und die Kandidaten in diesen Staaten besonders hart. Hier gibt es die meisten Auftritte, es werden die meisten Fernsehspots gesendet und das größte Wahlkampfbudget ausgegeben. Auch gezielte Wahlversprechen sind üblich. So versprachen Barack Obama und John McCain während der Wahlveranstaltungen 2008 weitere Flüge ins All, obwohl es keine konkreten Pläne gab. So wollten sie Florida gewinnen – die NASA gehört mit 10.000 Arbeitsplätzen zu den größten Arbeitgebern des Sonnenstaates.
