In der Union brennt’s wegen der Wahlrechtsreform: Söder beruft Sondersitzung ein

Die Wahlrechtsreform der Ampel ist durch, aber sie wird das Land noch beschäftigen. Nach harter Debatte zürnt die Union, spricht von Manipulation – und kündigt eine Verfassungsklage an.
Berlin – Kurz vor Freitagmittag startet Friedrich Merz einen letzten Versuch. Gleich steht die Abstimmung in der Westlobby des Bundestags an, einige Abgeordnete machen sich schon bereit. Aber der Unions-Fraktionschef bittet um Aufschub. Ob es nicht doch möglich sei, sich noch mal zusammenzusetzen, will er wissen. In zwei Wochen könne man immer noch abstimmen. Er schaut, so ernst er kann.
Es nützt nichts. Man habe genug debattiert, antwortet SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und schiebt ein „Tut mir leid“ hinterher. Dann nimmt die Sache ihren Lauf: 399 Abgeordnete stimmen für die umstrittene Wahlrechtsreform der Ampel, 261 dagegen, 23 enthalten sich. Es ist ein historischer Moment, nur dass Regierung und Opposition unter „historisch“ sehr unterschiedliches verstehen.
Dobrindt: „Wahlrechtsreform stellt Existenzrecht der CSU infrage“
Vorläufig steht fest: Der XL-Bundestag, aktuell auf 736 Abgeordnete aufgebläht, soll bei kommenden Wahlen auf 630 Abgeordnete schrumpfen. Dafür fallen Überhang- und Ausgleichsmandate weg, außerdem die „Grundmandatsklausel“, die besagt, dass einer Partei drei Direktmandate reichen, um in Fraktionsstärke ins Parlament zu kommen. Die Linke, die 2021 unter fünf Prozent fiel, sitzt nur wegen dieser Regel im Bundestag und wäre künftig raus. Der CSU könnte es ähnlich ergehen. Mindestens aber würden ihr Direktmandate fehlen.
Die gemeinsame Betroffenheit führt am Freitag in Berlin zu seltenen Momenten: Union und Linkspartei beklatschen sich gegenseitig. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt etwa sagt, die Reform ziele darauf ab, die Linke aus dem Parlament zu drängen und „das Existenzrecht der CSU“ infrage zu stellen. Linken-Parlaments-Geschäftsführer Jan Korte nennt die Reform „vergleichbar mit den Tricksereien der Trump-Republikaner“, die Ampel „arrogant“, letzte Änderungen seien einfach „hingerotzt“ worden. Korte redet sich so in Rage, dass sie selbst auf der Unions-Bank staunend gucken.
Das ist bewusste Manipulation des Wahlrechts zugunsten der Ampelparteien
Es geht an diesem Tag hart zu. Und es geht auffällig oft um die CSU, die sich bei vergangenen Reformideen oft querstellte. Jetzt kommt die Quittung. Sie habe schon diverse Wahlrechtsreformen „versaut“, aber „die CSU wird der Ampel nicht die Wahlrechtsreform versauen“, sagt FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle. Die Grüne Britta Haßelmann meint süffisant, sie habe gar nicht gewusst, „dass die CSU die Fünf-Prozent-Hürde fürchtet“. Die Lösung aus ihrer Sicht: eine Listenverbindung mit der CDU. Darauf könnte es tatsächlich hinauslaufen, die Sache wird gerade verfassungsrechtlich geprüft.
CDU und CSU befriedet das nicht, im Gegenteil. Nach der Abstimmung geben Merz und Dobrindt eine gemeinsame Stellungnahme ab: Der Bayer spricht von „bewusster Manipulation des Wahlrechts zugunsten der Ampelparteien“ und kündigt ein langes Nachspiel an, „juristisch und in der Frage, wie die Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen aussieht“. Merz nennt die Reform „absolut inakzeptabel“. Die Folgen könnten nicht nur Bayern, sondern auch Teile des Ostens und die Stadtstaaten zu spüren bekommen. Berechnungen zeigen, dass gerade im Osten einzelne Landkreise gar nicht mehr mit Abgeordneten vertreten wären, andere würden ihre Direktkandidaten einbüßen. Die CSU hätte auf Basis des Wahlergebnisses von 2021 38 statt bisher 45 Abgeordnete.

Söder beruft spontane Vorstandssitzung ein
Zwar muss das Gesetz noch durch den Bundesrat, er kann es aber nicht mehr stoppen. Linke und Union wollen daher unabhängig voneinander das Verfassungsgericht anrufen. Bayern wolle klagen, kündigt Dobrindt an, Merz spricht von einer Normenkontrollklage. Selbst Wolfgang Schäuble, der als Bundestagspräsident lange auf eine einvernehmliche Reform drängte, deutete im Spiegel an, den Klageweg mitzugehen.
Die Fakten sind aber nach Jahren des ergebnislosen Tauziehens erst mal geschaffen. Während die Ampel-Fraktionen selbstzufrieden ins Wochenende gehen dürften, brennt es gerade in der CSU lichterloh. Parteichef Markus Söder hat den Vorstand für diesen Samstag spontan zu einer Sitzung zusammengerufen. Einziger Tagesordnungspunkt: die Änderung des Bundeswahlgesetzes.