Pistorius liebäugelt mit Comeback der Wehrpflicht – Lindner spricht von „Gespensterdiskussion“

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zeigt sich gegenüber der Wiedereinführung der Wehrpflicht offen. Auch die FDP signalisiert Gesprächsbereitschaft.
Update vom 1. Februar, 7.07 Uhr: „Das ist eine Gespensterdiskussion“: Mit diesen Worten hat Christian Lindner hat jeder Diskussion um eine Rückkehr zur Wehrpflicht eine Absage erteilt. Dies stehe in der FDP „überhaupt nicht zur Debatte“, vielmehr müsse „alle Kraft“ darauf konzentriert werden, „die Bundeswehr als hochprofessionelle Armee zu stärken“, sagte der FDP-Chef am Dienstag (31. Januar) der Nachrichtenagentur dpa.
Die junge Generation habe durch die Pandemie zudem „so viel verloren, dass jetzt nicht noch über eine neue Dienstpflicht spekuliert werden sollte“. Lindner verwies auch auf den Fachkräftemangel in allen Bereichen. Er sagte: „Einen ganzen Jahrgang von Ausbildung und Beruf abzuhalten, würde großen Schaden verursachen.“ Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann indes hatte zu der Debatte gesagt: „Ein einfaches Ja oder Nein ist zu kurz gesprungen.“
Wehrpflicht in Deutschland: Pistorius bezeichnet Aussetzung als falsch
Erstmeldung vom 31. Januar:
Berlin – Erneut steht in Deutschland eine Rückkehr zur Wehrpflicht in der Diskussion. Nicht zuletzt der Ukraine-Krieg hat die Debatten, die es in den vergangenen Jahren in mehr oder minder regelmäßigen Abständen gegeben hatte, neu befeuert. Der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete jüngst die Aussetzung der Wehrpflicht gar als falsche Entscheidung. Der Süddeutschen Zeitung sagte er: „Wenn Sie mich als Zivilisten fragen, als Staatsbürger, als Politiker, würde ich sagen: Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen.“
Doch wie wahrscheinlich ist es, dass die Ampel die Wehrpflicht wieder einführt? Pistorius betonte gegenüber der SZ: „Unsere Parlamentsarmee gehört in die Mitte der Gesellschaft. Früher saßen eben an jedem zweiten Küchentisch Wehrpflichtige. Auch dadurch gab es immer eine Verbindung zur Zivilgesellschaft.“ Das Thema solle offen besprochen werden, „da wir gerade eine Entfremdung zwischen Teilen der Gesellschaft und dem Staat wahrnehmen“, sagte der neue Verteidigungsminister weiter.
Wird die Wehrpflicht in Deutschland wieder eingeführt? Ampel-Regierung zeigt sich offen
Pistorius ist dabei nicht der einzige, auch die FDP öffnet sich dem Thema. Stellvertretend für die Partei sagte Marie-Agnes Strack-Zimmermann am Dienstag der Süddeutschen Zeitung, auch sie schließe eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht aus. „Grundsätzlich gilt das Ende der Dienstpflicht ausschließlich in Friedenszeiten. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Noch vor einem Jahr sei sie strikt dagegen gewesen. Mittlerweile findet Strack-Zimmermann: „Ein einfaches Ja oder Nein ist zu kurz gesprungen“.
Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der veränderten sicherheitspolitischen Lage für ganz Europa könne man die Aussetzung der Wehrpflicht bedauern, sagte sie weiter. Seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine ist auch in Deutschland die Sicherheits- und Verteidigungspolitik wieder zu einem wichtigen Thema geworden. Dabei befindet sich die Bundeswehr laut Experten in einem desolaten Zustand.
Will die Ampel die Wehrpflicht in Deutschland? Wiedereinführung im Grundgesetz verankert
Grundsätzlich ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht rechtlich möglich. In Artikel 12a des Grundgesetzes heißt es, Männer können ab dem 18. Lebensjahr zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Die alte Wehrpflicht scheiterte allerdings an der sogenannten Wehrgerechtigkeit, die Bundeswehr benötigt nicht so viele Menschen, wie sie einziehen würde.
Ein weiteres Problem: Die Wehrpflicht galt bislang lediglich für Männer und ist so mit der heutigen Zeit kaum mehr zu vereinbaren. Das sieht auch Strack-Zimmermann so, die Wehrpflicht müsse auch für Frauen gelten und auf zwölf Monate ausgeweitet werden. Der Haken: Das Ganze würde nicht nur sehr viel Zeit kosten, „sondern auch zweistellige Milliardenbeträge, um das System wieder in Gang zu setzen“, sagte die FDP-Politikerin.
Video: Strack-Zimmermann schließt erneute Wehrpflicht nicht aus
In der Bundeswehr selbst sieht man die Wiedereinführung der Wehrpflicht offenbar kritisch. Kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges sprach sich Generalinspekteur Eberhard Zorn gegen eine Wiedereinführung aus. Die Bundeswehr bräuchte „gut ausgebildetes, in Teilen sogar hoch spezialisiertes Personal“. Wehrpflichtige könnten das nicht leisten, sagte Zorn damals gegenüber der Funke Mediengruppe.
Auch die Strukturen der Bundeswehr sind nicht mehr auf den Wehrdienst ausgelegt, die dafür nötigen Kreiswehrersatzämter für die Rekrutierung und Musterung wurden aufgelöst. Im letzten Jahr der Wehrpflicht war die Bundeswehr noch in der Lage, jährlich 30.000 Wehrdienstleistende auszubilden, derzeit wird die Zahl auf nur noch 10.000 im Jahr geschätzt, schreibt der Spiegel. Angesichts der rund 700.000 Männer und Frauen, die jährlich das 18. Lebensjahr erreichen, bleibt es wohl ein utopisches Vorhaben, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Zumindest nach derzeitigem Stand. (fmü)