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Unter Druck: Wie Seehofer am Montag vor der Bayern-Wahl alle überraschte

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Von: Christian Deutschländer

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Wahlkampf für die CSU: Parteichef Horst Seehofer im Gespräch mit der Gegendemonstrantin.
Wahlkampf für die CSU: Parteichef Horst Seehofer im Gespräch mit der Gegendemonstrantin. © cd

Das ganze Land rechnet mit seinem Sturz. Geht Horst Seehofer nach der Bayern-Wahl oder wird er gegangen? Freiwillig will der CSU-Chef sein Amt nicht räumen. Es kommt wieder zur Machtprobe.

München - Horst Seehofer hat seine Rede beendet, schreitet vom Podium. Seine Sicherheitsleute umringen den Bundesinnenminister, wollen ihn ungestört aus der Halle geleiten, auf Abstand zu jeder potenziellen Gefahr. Hinten zum Beispiel, die Gegendemonstrantin mit den grünen Haaren und der Lederjacke, sie war eine von denen draußen mit Trillerpfeifen und Anti-CSU-Plakat. Wie kam die in die Halle? Und wie kommt es, dass er und sie genau aufeinander zusteuern?

Sie treffen sich fast am Ausgang. Das könnte sehr ungemütlich werden. Doch Seehofer bleibt stehen, nimmt die junge Frau einfach zur Seite, setzt sich auf eine Tischkante und beginnt ein Gespräch. Respektvoll. Sie sagt ihm, dass seine Asylpolitik falsch sei. Er hört zu, nickt, argumentiert. Lässt sie wieder reden. „Ich bitte Sie einfach, mal über meine Sichtweise nachzudenken“, sagt er. Was für ein Bild: Der CSU-Vorsitzende und die Frau, auf deren Jacke vorne ein Totenkopf und hinten „F... dich“ prangt, minutenlang im trauten Zwiegespräch, umrundet von seinen Personenschützern.

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Manchmal überrascht Seehofer noch alle

Die kleine Szene vom Montagabend in Ingolstadt zeigt: Es gibt noch Momente, in denen Seehofer alle überrascht. Sich nicht steuern lässt, sondern tut, was er für richtig hält. Man hat diesen Seehofer, den unkonventionellen, bürgernahen, zuletzt selten erlebt. Seit dem Wechsel nach Berlin wirkt er gröber und noch unverstandener als vorher. Selbst seine eigene Partei versteht ihn immer weniger und sieht ihn als Hauptschuldigen für den massiven Vertrauensverlust in Bayern. Dass er spätestens am Montag zurücktreten wird, gilt in Teilen der CSU als sicher.

Kleines Problem dabei: Seehofer hat das gar nicht vor. Glaubt man Leuten, mit denen er sich jüngst beraten hat, dann ist der 69-Jährige mitnichten gewillt, den Sündenbock zu geben, falls das Ergebnis irgendwo mindestens Mitte 30 Prozent liegt.

Seehofer hat vollen Terminplan für Tage nach der Wahl

In Interviews am Wochenende schob er die Hauptverantwortung in Richtung Ministerpräsident Markus Söder. In großer Ruhe macht er Termine für die nächsten Wochen aus. Für Sonntagabend bietet er an, mit Söder Schulter an Schulter auf die Wahlparty in den Landtag zu kommen (was der wohl dankend ablehnen dürfte). Im Laufe des Montags ist ein großes ZDF-Interview zugesagt („Was nun, Herr Seehofer?“), dann ein Treffen mit der Oberbayern-CSU, für Dienstag ein Auftritt in der Bundespressekonferenz. Für die folgenden Wochen kündigt er weitere politische Offensiven an. „Ich fühle mich pudelwohl“, sagt er. „Der Horst geht net freiwillig“, glaubt ein erfahrener Abgeordneter. „Er wird nicht loslassen“, heißt es in Söders Umfeld.

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Hinter den Kulissen formieren sich bereits seine parteiinternen Gegner. Für Sonntagnachmittag, wenn inoffiziell die ersten Prognosen kursieren, ist die Spitze der Jungen Union zur Telefonschalte verabredet. Bisherige Erwägung: sofort Seehofers Rücktritt fordern, Söder stützen. Nach Informationen unserer Zeitung haben Ähnliches mehrere Bezirksvorsitzende oder ihre Vertreter besprochen. Sie wollen notfalls einen Sonderparteitag zu seiner Abwahl verlangen. Alte Kritiker wie Erwin Huber haben sich für die Wahlparty angemeldet, womöglich wird sie ein Journalist dort um 18 Uhr nach ihrer Meinung fragen. Erfahrene Vorständler reden halblaut über einen Beschluss, Seehofer von Koalitionsverhandlungen auszuschließen. Und über Nachfolger, Parteivize Manfred Weber etwa oder Bundesminister Gerd Müller für den Übergang.

Gehrt schweren Zeiten entgegen: Horst Seehofer hat den Rückhalt in der CSU endgültig verloren.
Gehrt schweren Zeiten entgegen: Horst Seehofer hat den Rückhalt in der CSU endgültig verloren. © dpa / Michael Kappeler

Seehofer kann nicht zum Rücktritt gezwungen werden

Aus den emsigen Vorbereitungen sprechen Wut - und Respekt vor dem gerissenen Vollblutpolitiker. Es ist kurios: Formal kann niemand Seehofers Rücktritt erzwingen. Als Parteichef ist er bis 2019 gewählt. Die CSU-Satzung kennt keine Abwahl. Zwar könnten drei Bezirksverbände in einem komplizierten Verfahren einen Sonderparteitag erzwingen, dessen Tagesordnung legt aber Seehofer fest. Und Bundesinnenminister bleibt er den Berliner Usancen zufolge, solange der CSU-Vorsitzende (er selbst) ihn nicht aus dem Kabinett abzieht. Das bedeutet mindestens: Zeitgewinn.

In der Zwischenzeit sortiert auch Seehofer seine Truppen. Alexander Dobrindt dürfte kein Interesse am schnellen Sturz haben. Bei Ilse Aigner kann nur erahnt werden, ob sie mit Söder noch eine Rechnung offen hat oder auf eine Söder-Zusage vertraut, Landtagspräsidentin zu werden.

Wer zermürbt wen? Spannende Stunden für Seehofer. Sein Gespräch mit der Demonstrantin in Ingolstadt endet nach einigen Minuten höflich und ohne böses Wort. Seine eigenen Parteifreunde, auch wenn sie langweiligere Jacken tragen, werden wohl robuster auftreten.

In unserem News-Ticker halten wir Sie über alle Infos rund um die Landtagswahl in Bayern auf dem Laufenden.

Christian Deutschländer

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