Zwischen Berlin und Wiesbaden: Warum Faeser trotz Kandidatur in Hessen Ministerin bleiben will
Alles deutet auf eine Kandidatur von Nancy Faeser (SPD) bei der Landtagswahl in Hessen hin. Bundesinnenministerin will sie dennoch bleiben. Ein riskantes Vorhaben.
München – Es ist ein bis heute legendäres Interview. Horst Seehofer war außer sich. Die Union hatte im Mai 2012 in NRW die Landtagswahl in den Sand gesetzt. Er kannte den Schuldigen: Spitzenkandidat Norbert Röttgen hatte sich geweigert, seinen Berliner Posten als Bundesumweltminister aufzugeben, und vermied auch die Zusage, im Falle seiner Niederlage als Oppositionsführer nach Düsseldorf zu wechseln. Ein „ganz großer Fehler“, fauchte der CSU-Chef in einem ZDF-Interview. Die Wähler in NRW hätten das nicht verstanden. Der klare Vorsprung vor der SPD sei „innerhalb von sechs Wochen weggeschmolzen wie ein Eisbecher, der in der Sonne steht. Das ärgert mich.“
Seehofer erzählte vor laufenden Kameras noch, wie er versucht habe, Röttgen davon abzubringen, aber auf taube Ohren stieß. Und forderte dann das ZDF auf: „Das können Sie alles senden. Machen’S a Sondersendung!“ Wenige Tage später wurde Röttgen von Angela Merkel als Bundesminister entlassen.

Nancy Faeser: Berlin oder Wiesbaden? Innenministerin soll Spitzenkandidatin in Hessen werden
Auch nach elf Jahren ist die Szene allgegenwärtig, wenn nun die Personalie Nancy Faeser für Hessen diskutiert wird. Wieder tritt eine Bundesministerin in ihrem Heimatland an, gibt das voraussichtlich am Freitag bekannt. Wieder geht es um die Frage, ob sie dazu ihren Platz in Berlin aufgeben sollte. Mehrere Medien berichten, Faeser habe sich mit Kanzler Olaf Scholz geeinigt, bis zur Wahl im Oktober im Ministeramt zu bleiben. Und: Sollte sie gegen Amtsinhaber Boris Rhein (CDU) verlieren, werde sie in Berlin bleiben. Keine Lust auf Oppositionsbank in Wiesbaden – Röttgen lässt grüßen.
Aus den anderen Parteien kommen sofort Protestnoten. Der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm fordert die 52-Jährige zum Rücktritt auf, falls sie kandidiere. Es seien „herausfordernde Zeiten, wo in Europa Krieg herrscht“ – da „wäre es unverantwortlich, neben einem Wahlkampf auch das Innenministerium führen zu wollen“.
Kritik aus der eigenen Koalition: Gründe und FDP skeptisch über Faesers Pläne
Schwerer wiegen für die SPD Warnungen der Koalitionspartner. Der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz sagt, „beides zusammen und parallel bestreiten zu wollen, würde zwangsläufig zu einer Vernachlässigung einer der Aufgaben führen und wäre schlicht hoch fehleranfällig“. FDP-Vize Wolfgang Kubicki assistiert, das Innenministerium sei „keine geeignete Wahlkampfbühne in diesen ernsten Zeiten“.
Ob das alles gut gemeinte Ratschläge sind, darf bezweifelt werden. Doch Faesers Abwägung ist in der Tat schwierig. Sie liebt ihre hessische Heimat, die Bürgermeister-Tochter saß dort fast 20 Jahre im Landtag. Der Rückweg ist steinig. In Umfragen liegt die Hessen-SPD klar hinter Rhein und seiner CDU, die mit den Grünen bisher stabil regiert – ein Sprung ins Ungewisse.
Auftritt, Ersatz und Geld: Darum will Faeser trotz hessischem Wahlkampf im Amt bleiben
Hinzu kommen ganz pragmatische Motive – für Kanzler, SPD und Faeser selbst. Scholz erspart sich so vorerst einen erneuten Umbau seines Kabinetts. Schon nach der Berufung von Boris Pistorius zum Verteidigungsminister hatte es Unmut gegeben, weil er die Frauenquote überging. Scholz möchte Faeser halten, weil er keine Nachfolgerin im Innenressort wüsste. Und weil er mit Faesers Auftreten, etwa nach der Silvesternacht in Berlin, inzwischen recht zufrieden ist.
Faeser selbst weiß: Jeder ihrer Auftritte im Wahlkampf hat viel mehr Wumms, wenn sie noch Bundesinnenministerin ist. Es geht um die bundesweite Medienpräsenz in Talkshows und Zeitungen – aber auch um Äußerlichkeiten. In ihrem Job rollen immer zwei, drei gepanzerte Limousinen mit aufgepflanztem Blaulicht an, Personenschutz, Referenten. In anderen Ländern kommen Oppositionsführer zu Terminen mit U-Bahn oder Klapprad.
Noch dazu geht’s um Geld, auch wenn Faeser das nicht ausspricht. Als Innenministerin, 24 Stunden bewacht, gilt jede Fahrt – ob zum Bundespräsidenten, zum Bäcker oder in den Wahlkampf – als gefährlich. Sie soll deshalb die Limousinen und Fahrer nutzen und muss nichtdienstliche Fahrten, anders als andere Kollegen, nicht für mehrere tausend Euro pro Monat voll zahlen. In einem Wahlkampf ist das, so heißt es in Berlin, ein großer Kostenfaktor – Hessens SPD ist nicht reich. Nach dem Rücktritt wäre das alles weg. Und: Die 52-Jährige hätte kein Einkommen mehr, nur noch ein wenig Übergangsgeld. Faeser hat kein Bundestagsmandat. (Mike Schier, Christian Deutschländer)