Bücherzauber unter Festungsmauern: Die Kleinstadt Óbidos im Centro de Portugal

Im Schatten einer mittelalterlichen Burg zählt die winzige Altstadt von Óbidos etwas nördlich von Lissabon zu den schönsten historischen Orten Portugals.
Óbidos – Es gibt Dinge, für die braucht es Überzeugung und Mut im katholischen Portugal – da kann die Kirche, in der man einen Buchladen eröffnen möchte, noch so lange leer stehen. Doch weil besondere Ziele besondere Maßnahmen erfordern und die Stadt die Idee hatte, Óbidos neben seiner historischen Bedeutung auch in der Jetztzeit zu etwas ganz Besonderem zu machen, steht nun, wo einst ein Altar war, ein Tisch mit Büchern, dahinter ein weißes Sofa.
Ringsum über den gesamten Kirchenraum und die Empore der Livraria de Santiago verteilt stöbern Bücherfans aus aller Welt in den Regalen, in denen neben portugiesischer Literatur auch eine Menge Internationales zu finden ist. Im Eingangsbereich schließen Informationen zum Caminho Português, dem portugiesischen Jakobsweg ins spanische Santiago de Compostela, den Kreis zwischen Kirche und Buchladen.

Óbidos im Centro de Portugal: Knapp 85 Kilometer nördlich von Lissabon
Die Stadt, die bei gerade einmal etwas mehr als 2.000 Einwohnern auf ganze 14 Buchläden kommt, liegt eine knappe Stunde Autofahrt entfernt von der portugiesischen Hauptstadt Lissabon* in der Region Centro de Portugal, die den Norden des Landes mit der Metropole Porto von der Hauptstadtregion und dem benachbarten ländlich geprägten Alentejo trennt. Die Region Centro ist eine Mischung aus beiden Welten: weite malerische Landschaften im Hinterland, schroffe Küsten, sonnige Strände und lebendige Städte wie Coimbra oder Aveiro machen die Region zu einer der vielseitigsten des Landes.

Und dann sind da noch solche Orte wie Óbidos, die in anderen Ländern Europas womöglich unter einer Staubschicht aus jahrhundertealter Geschichte verblassen würden. Die Stadt, die sich über die letzten Jahre mehr und mehr zum Touristenmagnet mausert, liegt etwas abgelegen auf einem Hügel keine 15 Kilometer Luftlinie vom Atlantik entfernt, an ihrem höchsten Punkt thront eine knapp 800 Jahre alte Burg.
Gewohnt wird hier eigentlich kaum noch, so sehr hat sich das Städtchen mit seinen Läden, Unterkünften und Gastronomiebetrieben auf den Tourismus eingestellt. Rings um den Altstadtkern führt mit der 1,5 Kilometer langen durchgängig begehbaren Festungsmauer der schönste Spazierweg der Stadt.

Historische Kleinstadt Óbidos nördlich von Lissabon: Portugal aus dem Bilderbuch
Dabei beginnt das malerische Bild von Portugal, das Óbidos vermittelt bereits bei Betreten der Stadt durch das Stadttor Porta da Vila ganz im Süden der Altstadt, das von außen aussieht wie ein ganz normales Stadttor. Nach ein paar Schritten ins Innere des Torhauses richtet sich der Blick dann auf die für Portugal typische blau-weiße Fliesenkunst, die im Bogen oberhalb eines Balkons Gästen der Stadt einen Vorgeschmack gibt, auf das Bilderbuchstädtchen, das sie in den nächsten Stunden erleben werden.
Von hier aus geht es auf die schmale Hauptstraße der Altstadt, die Rua Direita, deren weiße Häuser mit blauer, gelber und roter Farbe umrandet sind. Über ihre Kopfsteinpflaster klappern die Hufe von Pferden, die Touristen in Kutschen die kurze Strecke Richtung Burg befördern. Unterwegs liegen hübsche Kunsthandwerkerläden und Gastronomiebetriebe. In einigen von ihnen wird in schummrig beleuchteter Kneipenatmosphäre kaum etwas anderes ausgeschenkt als Ginjinha d’Óbidos, ein Kirschlikör, der hier als Kultgetränk in winzigen Bechern mit Schokolade ausgeschenkt wird.

Bücherstadt Óbidos in Portugal: Mitglied des Unesco-Kreativnetzwerks Creative Cities
Zwischendrin gibt es in Óbidos auch in puncto Buchläden tatsächlich fast noch verrücktere Orte, als alte Kirchenmauern, an denen sich hunderte Bücher über zahllose Meter Regalböden aneinanderreihen. Die wahrscheinlich eindrucksvollste Buchhandlung ist mit der Livraria do Mercado eine Kombination aus Buchladen und Biomarkt, hier steht das bunte Sammelsurium an antiquarischen Büchern in meterhohen Stapeln aus Obstkisten an den Wänden. Ähnlich eindrucksvoll ist die Livraria de Adega in einem alten Weinkeller.
Und auch wenn es im kultigen Hotel The Literary Man am Stadtrand keine Bücher zu kaufen gibt, zählt es mit seinen unzähligen proppenvollen Bücherregalen trotzdem zu den wichtigsten Leseorten der Bücherstadt, die dank der vielen kreativen Buchläden sowie dem internationalen Literaturfestival Folio im Jahr 2015 in den Olymp der kreativen Städte der Welt, das Unesco-Kreativnetzwerk Creative Cities aufgenommen wurde. Der Mut der Stadt, für ihr Ziel als kreative Literaturstadt, Vila Literaria, auch verrückte und umstrittene Entscheidungen zu treffen, hat sich also gelohnt.

Óbidos im Centro de Portugal: Viele europäische Länder lockern Corona-Regeln
Dass man deswegen selten allein durch menschenleere Straßen und Gassen wandert und in aller Seelenruhe den Duft der bunten Blüten schnuppern kann, die vor weißen Häuserfassaden für Farbkleckse im Alltag sorgen, ist der Preis, den man als Besucher einer der schönsten Städte Portugals zu zahlen bereit sein muss. Doch das bunte und einfallsreiche Óbidos, das ganz Portugal innerhalb einer einzigen Stadtmauer so vielseitig widerspiegelt und der Geschmack von Ginjinha auf den Lippen, wenn man die Stadt unterm fliesengeschmückten Torbogen wieder verlässt, die sorgen dafür, dass man auch das trubelige Óbidos schon nach ganz kurzer Zeit wieder vermisst.
In zahlreichen europäischen Ländern, darunter auch Portugal, wurden die Corona-Regeln zur Einreise in den vergangenen Wochen erneut gelockert. (Sandra Kathe) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.