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Eine Handvoll Asse im Ärmel: Wie der Kaiserwinkl im Norden Tirols ausbleibender Schneesicherheit trotzt

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Von: Sandra Kathe

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Mit Heißluftballons, kulinarischen Traditionen und neuen Ideen stellt sich die Region Kaiserwinkl in Tirol pragmatisch den Herausforderungen des Klimawandels.

Kössen/Walchsee – Es ist Ende Januar auf der schmalen verschneiten Rodelpiste in Kössen. In der Mitte steht eine ausrangierte Lift-Gondel, die Betreiber Günther Hechl sich als wettergeschütztes Winterarbeitszimmer eingerichtet hat. Links davon rattert unermüdlich ein niedriger Speziallift, in den seine Gäste die Gummireifen, auf denen sie sitzen, einhängen können, um eine knappe Minute und ein paar Dutzend Höhenmeter später hinter einer Kuppe automatisch ausgehängt zu werden und mit bis zu 50 Stundenkilometern auf der anderen Seite der Gondel die Rodelpiste runter zurück zu Hechls Gondel zu rutschen. 

Snowtubing nennt man den rasanten Spaß, der hier am Staffnerhof etwas außerhalb von Kössen in seiner ersten Saison vor über 20 Jahren noch extrem selten in Europa war. Heute sorgt es neben kilometerlangen Langlaufloipen und den Skigebieten Hochkössen und Zahmer Kaiser sowie der familien- und anfängertauglichen Abfahrt am Amberglift für Schneevergnügen in der Region Kaiserwinkl. Die liegt nordöstlich von Kufstein und damit nur einen Steinwurf von der Grenze zu Bayern und den Chiemgauer Alpen entfernt. 

Beim Snowtubing wird man mit einem Lift nach oben gezogen und rauscht rasant und entspannt zurück zur Talstation.
Beim Snowtubing wird man mit einem Lift nach oben gezogen und rauscht rasant und entspannt zurück zur Talstation. © Felix Hormel

Winterurlaub im Kaiserwinkl in Tirol: Wandern, Therme, Langlaufloipen

Dass 60 Prozent der Gäste, wie Tourismuschef Thomas Schönwälder betont, die Region im Sommer besuchen, kommt dem Kaiserwinkl bei den aktuellen Entwicklungen und Nachrichten rund um Klimawandel, fehlende Schneesicherheit und grüne Pisten sicher nicht ganz ungelegen. „Die Gegend ist rund ums Jahr eine Region für Allrounder“, sagt Schönwälder. Menschen, die ausschließlich zum Wintersport kommen, fahren dagegen selten in den Kaiserwinkl. Hier geht’s je nach Wetterlage zum Wandern mit und ohne Schneeschuhe, für Familien in die 2022 eröffnete Trampolin-Halle, zum Baden im Sommer in See oder Waldschwimmbad, im Winter in die Therme im nahen St. Johann in Tirol oder ins Day Spa in Walchsee. 

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Der gleichnamige See selbst, einer der beliebtesten Badeseen in Tirol, der ist im Winter nur für die ganz Hartgesottenen und Menschen wie Peter Kronbichler, die für Marketingzwecke gern auf große Gesten setzen. Erst Mitte Januar inszenierte der 56-jährige Gründer der Walchseer Gin-, Rum- und Schnapsbrennerei Tirolikum den See vor der Haustür kurzerhand als Kulisse für die Instagram-Werbung seines Gins. Und stieg dazu vor schneebedeckten Bergen öffentlichkeitswirksam bei vier Grad Wassertemperatur mit Taucherbrille und Gin-Glas in den See. Nachmachen ausdrücklich nicht empfohlen. 

Der Walchsee, nach dem die Gemeinde am Ufer benannt ist, ist im Sommer wie Winter eine der Hauptattraktionen des Kaiserwinkl.
Der Walchsee, nach dem die Gemeinde am Ufer benannt ist, ist im Sommer wie Winter eine der Hauptattraktionen des Kaiserwinkl. © Sandra Kathe

Urlaub in Österreich: Die innovativen Seiten des Kaiserwinkl in Tirol

Ganz im Gegensatz zur Verkostung des von Kronbichler und seinem Sohn Thomas gebrannten Gin. Da empfehlen sogar ausgewiesene Fachleute das Nachmachen, indem sie den in Walchsee gebrannten 57-prozentigen Gin Overproof beim World Spirits Award 2022 mit einer Goldmedaille und dem Titel „Spirit of the Year“ ausgezeichnet haben. Dabei haben die Hersteller, deren Familie seit dem 18. Jahrhundert früher Lebensmittel, heute Souvenirs und allerlei Regionales für Touristen verkauft, keine zehn Jahre vorher mit dem Brennen angefangen. Auf die Idee folgten Zertifizierungen, erste Schritte und viele Experimente, bis sie mit dem, was sie schmeckten, zufrieden waren. Heute sorgen ihre Gins, die man in den (Hotel-)Bars und Restaurants des Kaiserwinkl verkosten, in ihrem eigenen Laden kaufen und außerhalb Österreichs nicht bestellen kann, nicht selten dafür, dass Gäste wiederkommen.

Auf Ideen und Einsatz wie die der Kronbichlers sind viele Regionen Österreichs in den aktuellen Zeiten mehr und mehr angewiesen. Und auch wenn der Kaiserwinkl andere Skikundschaft anzieht als die Skigebiete Arlberg, Saalbach-Hinterglemm oder Ischgl, wird hier eben auch mit dem klassischen Wintertourismus Geld verdient. Skkilehrerinnen und Skilehrer geben Langlauf- und Alpinkurse, Taxiunternehmen pendeln zum Pistenbetrieb, Familien wie die Hechls von der Snowtubingbahn betreiben neben Liftanlagen Almhütten, Cafés oder Restaurants und bieten für Gäste Ferienwohnungen an. Wie eigentlich seit Jahrzehnten fast jeder in der Region, der genug Platz im Haus für Fremdenzimmer und ein bisschen Sinn fürs Geschäft hat.

Vom Traditionsbetrieb zum prämierten Gin: Peter und Thomas Kronbichler brennen seit 2016 in Walchsee Spirituosen.
Vom Traditionsbetrieb zum prämierten Gin: Peter und Thomas Kronbichler brennen seit 2016 in Walchsee Spirituosen. © Felix Hormel

Winterurlaub mit und ohne Winter: Wie der Kaiserwinkl in Österreich sich für die Zukunft aufstellt

Nach einer Prognose des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) könnten die Folgen der Klimakrise langfristig und branchenübergreifend knapp ein Drittel der österreichischen Tourismuseinnahmen kosten. Immer wieder warnen Fachleute, dass gerade der Massentourismus in den großen Skigebieten die Entwicklung weiter beschleunigen könnte. Der Winter wandert bereits in den vergangenen Jahren bereits deutlich nach hinten, für die Ferienzeit um Weihnachten und Neujahr sehen pessimistische Prognosen nur noch in 15 Prozent der österreichischen Wintersportorte Chancen auf weiße Weihnacht und klingelnde Kassen. Der Kaiserwinkl am Fuße von Kaisergebirge im Süden und Chiemgauer Alpen im Norden, auf Höhen ab rund 600 Meter über Normalnull gehört mit großer Sicherheit nicht dazu.

Den perfekten Wintertag ganz ohne Winter gäbe es in der Region natürlich dennoch. Von der Kutschfahrt um den See, ganz egal, ob über ihm die Sonne für Funkeln im Wasser oder eine dichte Nebeldecke für traumhaft mystische Stimmung sorgt, zur Führung und Verkostung im Neubau der traditionellen Biokäserei Walchsee, zu aussichtsreichen Wanderungen zu Dutzenden Almhütten und Berggasthöfen der Region, gibt es allein in Laufnähe des Ortskerns von Walchsee etliche Möglichkeiten.

Gemütliches Ausflugsziel für trübe Wintertage: Die Traditions-Biokäserei Walchsee.
Gemütliches Ausflugsziel für trübe Wintertage: Die Traditions-Biokäserei Walchsee. © Sandra Kathe

Alpin Ballooning im Kaiserwinkel: Im Heißluftballon hoch über den Tälern des Kaisergebirges

Auch nicht auf verschneites Winterwetter angewiesen, aber vor schneebedeckter Kulisse wesentlich schöner ist die Traditionsveranstaltung Kaiserwinkl Alpin Ballooning, die 2023 nach zweijähriger Corona-Pause zum 20. Mal stattfand. Dutzende Ballonpilotinnen und -piloten aus sechs Nationen kamen in diesem Jahr mit ihren bunten Ballons in Region, um dem mystischen Winterwetter entgegenzufahren. Für 350 Euro pro Person nehmen sie auch Gäste mit hoch hinaus, aber auch vom Boden betrachtet ist das Ballonspektakel, das die Region eine Woche lang noch ein Stück bunter und vielseitiger macht, ein echtes Erlebnis.

Wenn man beobachtet, wie am Startplatz in Walchsee an guten Tagen bis zu 50 Heißluftballons ausgebreitet werden, sich nach und nach erst mit kalter, dann heißer Luft füllen und wenige Minuten später alle in die gleiche Richtung abheben, ein Stück nahezu lautlos über den See tanzen und dann genau dahin entschweben, wo der Wind sie hintreibt, wirkt die Kulisse des Tals gleich noch ein Stück magischer. Eine echte Attraktion selbst für Einheimische ist außerdem das jährliche Finale beim Night Glowing in Walchsee, bei dem Ballons aufgebaut und am Boden fixiert werden, um mit leisem Fauchen im Takt der Musik zu glühen und dem nächtlichen Feuerwerk damit glatt die Schau zu stehlen.

Jeden Januar lockt das Kaiserwinkl Alpin Ballooning internationale Ballonfahrerinnen und -fahrer an.
Jeden Januar lockt das Kaiserwinkl Alpin Ballooning internationale Ballonfahrerinnen und -fahrer an. © Sandra Kathe

Winterurlaub im Kaiserwinkl in Tirol: Aktivitäten für Tage mit und ohne Schnee

Für Thomas Schönwälder und sein Team vom Tourismusbüro sind das alles gute Alternativen zum klassischen österreichischen Winterurlaub, vor allem in Tourismusjahren wie 2023 – wenn die Rückkehr des Schnees, der sich kurz vor Weihnachten 2022 nur kurz hat blicken lassen, einmal mehr mehrere Wochen auf sich warten lässt. Da können auch die Schneekanonen nur wenig helfen, die Erleichterung als es gegen Ende Januar doch endlich so weit ist und sich wieder eine Schneedecke über den Kaiserwinkl legt, ist groß.

Und auch Günther Hechl, der im Sommer mit einer Erdbewegungsfirma und im Winter mit seinem Snowtubing-Lift täglich als Ein-Mann-Betrieb im Einsatz ist, zieht sich lieber an kalten, verschneiten Tagen mit Winterjacke und tief ins Gesicht gezogener Mütze in seine windgeschützte Gondel zurück als noch länger auf den Schnee zu warten. Dann beobachtet er von drinnen, wie seine Kundschaft vor Freude jauchzend, die Abfahrt nimmt und sich dahinter das Winterpanorama des Kaisergebirges aufbaut. Und denkt einfach nicht mehr zurück an den Tag vor einigen Wochen als er ein Stück weiter oben am Berg das Handy zückte, um seine weiße Insel aus Kunstschnee am Lift für die Nachwelt festzuhalten. So ein bisschen Winterzauber gehört in Tirol schließlich bei allem Einfallsreichtum einfach dazu. (Sandra Kathe)

Transparenzhinweis: Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Kaiserwinkl.

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