Die mit den Bisons reiten

Los Angeles - Jeden Herbst werden im Custer State Park in South Dakota die Bisons zusammengetrieben, um Brandzeichen zu setzen und den Bestand zu überwachen. Es ist ein Volksfest mit Wild- West-Flair, bei dem sich Cowboys, Ureinwohner und Touristen treffen.
Custer State Park, Ende September
Es ist früh um vier Uhr. Der Herbst kündigt sich mit dunklen Wolken und kühlen Morgen an. Fröstelnd bereiten sich 60 Wrangler, die Viehtreiber, auf das jährliche Highlight im Custer State Park vor. Kevin Stolz gehört zu den Profis, die diesmal dabei sind. Er schnallt sich zur Sicherheit einen Colt um, damit er im Ernstfall den Freiwilligen, die per Losentscheid am Bisontrieb teilnehmen dürfen, zur Seite stehen kann. „Wenn so ein Bulle mit seinen 900 Kilo auf dein Pferd losgeht, sollte man reagieren können“, sagt er. „Auch mit Kühen, die ihr Kalb dabei haben, ist nicht zu spaßen.“ Kevin MacRitchie, seit 2005 dabei, stimmt ihm zu: „Vor allem Bullen wollen immer wieder aus der Herde ausbrechen. Wir versuchen, die Reihen mit allen Wranglern so fest wie möglich zu schließen.“ Kevin, der im Hauptberuf bei einem großen IT-Konzern arbeitet, hat selbst 160 Bisons und kennt sich mit den Tieren aus. Vier Stunden später haben sich die Wrangler in drei Gruppen hinter den Hügeln positioniert, auf denen die Bisons friedlich grasen. Noch immer strömen Besuchermassen zum Roundup-Gelände, von wo sie dem Treiben in sicherer Entfernung zusehen können. Dann das Signal: Es kann losgehen. Die erste Gruppe Wrangler reitet auf die Hauptherde zu, die sich mit Getöse in Bewegung setzt.
5000 Hufe wirbeln den Präriestaub auf und bringen die Erde zum Beben. Von den Seiten treiben die anderen Wrangler kleinere Bisongruppen zusammen, unterstützt von Pick-Ups, deren Fahrer im von Bächen durchfurchten Gelände wahre Kunststücke vollbringen. Langsam schieben sich die Bisons durch das Gatter in ein umzäuntes Gelände. Dort werden sie in kleinere Gruppen getrennt und die Kälber geimpft und gebrandmarkt. 100 bis 300 Tiere werden später von Ranchern oder Schlachthöfen ersteigert. „Wir müssen den Bestand im Custer State Park stabil halten, um eine Überweidung zu verhindern“, erklärt dazu der Gouverneur von South Dakota, Dennis Dougard. Er ist stolz darauf, dass sein Bundesstaat mit etwa 35 000 Bisons die größte Population des einstigen Symboltieres der nordamerikanischen Prärien beheimatet.
Das Buffalo Roundup hat heute Volksfestcharakter angenommen: mit Chuckwagon-Lunch, Tanz und Trommelfeuer und Budenzauber. Neben Touristen kommen vor allem die Ureinwohner vom Stamm der Lakota. Einer aber fehlt. Kevin Costner. 1989, bei den Dreharbeiten zum Film „Der mit dem Wolf tanzt“, war er von den Bisons so fasziniert, dass er ihnen im Ort Deadwood ein Museum einrichtete. Es heißt „Tatanka“, was in der Sprache der Lakota Bison bedeutet. Es dokumentiert die tragische Geschichte dieser Tiere von der Zeit, als 30 Millionen Bisons die Prärien Nordamerikas bevölkerten, bis zu ihrer drohenden Ausrottung durch weiße Büffeljäger. Ende des 19. Jahrhunderts gab es nur noch wenige Hundert Exemplare. „Mit dem Abschlachten der Bisons wurde unseren Vorfahren die Lebensgrundlage genommen“, sagt Jumping Buffalo, ein Nachfahre des legendären Häuptlings Sitting Bull. Er steht vor dem unvollendeten Denkmal des Kriegshäuptlings Crazy Horse. Seit 1948 wird daran gebaut.
Er war einer der größten Kriegshäuptlinge der Oglala-Lakota und hatte mit seinen taktischen Überlegungen wesentlichen Anteil an den erfolgreichen Gefechten der Lakota und Cheyenne, etwa in der Schlacht am Little Bighorn. Mit 195 Metern Höhe soll es einmal doppelt so hoch sein wie die Freiheitsstatue. Die Vollendung des Denkmals wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen, aber wenn es einmal fertig ist, wird Crazy Horse wieder auf Tausende von weidenden Bisons herabblicken können – wie in seiner Jugend.
MICHAEL JUHRAN