Beckenbauer zum Sommermärchen: Kaiserlicher Klartext

Franz Beckenbauer wird zu Bayerns Jahrhundert-Sportler gekürt und wehrt sich gegen die Vorwürfe wegen der Vergabe der WM 2006: „Erstunken und erlogen“
München – Es ist schwierig, das Leben von Franz Beckenbauer in ein paar Minuten zu packen. Die kurze Dokumentation, die am Samstag anlässlich seiner Auszeichnung als Bayerns Jahrhundert-Sportler über die Leinwand flimmerte, versuchte es dennoch, und sie konnte sich sehen lassen: Wie er noch in schwarz-weiß über den Rasen sprang, elegant jedes Abwehrbein verhöhnend, wie er alle Trophäen der Fußballwelt in die Höhe reckte, wie er in New York als Star gefeiert wurde. Am Ende sitzt er auf einer Wiese, blickt auf die Tiroler Alpen, dieses letzte Bild kann kaum idyllischer sein. Man mag es ihm wünschen, dass es in ihm genauso aussieht. Doch auch das gehört inzwischen zum „Kaiser“, dass über seinem Spätwerk der Schatten der undurchsichtigen Vergabe der WM 2006 liegt. Am Samstag nutzte Beckenbauer in der BMW Welt einen seiner rarer öffentlichen Auftritte für kaiserlichen Klartext. Die Vorwürfe seien „erstunken und erlogen“, meinte er. „Das habe ich schon immer gesagt.“
Noch immer sind die Einzelheiten ungeklärt, vor allem eine Transaktion von 6,7 Millionen Euro nach Katar gibt Rätsel auf. Beckenbauer habe inzwischen kapituliert, sagte er: „Man bildet sich ein eigenes Bild, da hast du überhaupt keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen – das habe ich dann auch aufgegeben, seitdem nichts mehr gesagt.“ Er habe den Leuten Auskunft gegeben, „die es von mir verlangt haben, alles andere ist mir mehr oder weniger Wurst geworden. Es ist einfach müßig, darüber zu reden.“ Es ist ein kaiserliches Privileg, die Dinge auf diese Art zu handhaben. Flächendeckend wird er damit die Öffentlichkeit allerdings kaum überzeugen.
Beckenbauer machte keinen Hehl daraus, dass ihn die letzten Jahre Kraft gekostet haben: „Ein bisschen Raubbau am Körper“ rächt sich mit 72, private Schicksalsschläge kamen zu den Vorwürfen bezüglich des Sommermärchens hinzu. In der Dokumentation auf der Leinwand hört man Beckenbauer bei Bildern, auf denen Menschen aus aller Welt während der WM 2006 feiern, sagen: „So stellt sich der liebe Gott die Welt vor.“ Für ihn selbst wurde es später weniger göttlich. „Krankenhaus, Reha, Krankenhaus, Reha“, so beschreibt er seinen Rhythmus, nur eines sei bedeutsam: „Ich lebe noch.“
Allerdings blitzte am Samstag auch dieser altvertraute Charme und Witz im „Kaiser“ auf, für den ihn die Leute fast genauso lieben wie für seine Art einst auf dem Platz. Er kann ja gar nicht anders. Mit seinem Laudator Günter Netzer lieferte er sich einen amüsanten Schlagabtausch, beide nahmen das Publikum auf eine vergnügliche Zeitreise mit. Einmal riss sich Beckenbauer bei einem Elfmeterschießen die Adduktoren, laut seiner Darstellung, weil so ein Elfmeterschießen für ihn „Neuland“ gewesen sei: „Ihr habt mich ja sonst nie rangelassen.“ Netzer bestätigte das – nicht ohne schalkhaften Seitenhieb: „Ja, weil du ein Feigling warst.“ Als der langjährige Weggefährte dann auch noch erzählte, Beckenbauer sei immer der Liebling aller Zeugwarte gewesen („wir alle haben nach dem Spiel ein Trikot voller Schweiß und Dreck abgegeben – das vom Franz war immer blütenrein“), untersagte der „Kaiser“ mit einem Schmunzeln weitere Anekdoten: „Jetzt reicht’s!“
Per Grußbotschaft meldete sich dann kein Geringer als der große Pele aus Brasilien, er nannte Beckenbauer seinen Bruder und meinte: „Es gibt nur zwei exzellente Persönlichkeiten auf dieser Welt – dich und mich.“ Beckenbauer sieht sich aber nicht auf Augenhöhe: „Pele ist, wie man sich einen Künstler vorstellt. Er ist der beste Fußballer der Welt, ist es bis heute.“ Er selbst habe sich hingegen immer wieder seine Giesinger Herkunft vor Augen geführt. Wenn man wisse, wo man herkommt, „läufst du gar nicht Gefahr, größenwahnsinnig zu werden“, sagte er.
Bei den Menschen kommt der „Kaiser“ weiterhin bestens an – zweifelhaftes Sommermärchen hin oder her. Als er sich verabschiedete, wurde er von einer Menschentraube umlagert, alle wollten Autogramme und Fotos mit ihm, und er tat geduldig sein Bestes, wie immer, seit Jahrzehnten schon. Draußen im Sturmregen vor dem Gebäude wartete sein Hubschrauber, aber die Rückkehr in die idyllische Bergwelt zuhause hatte noch etwas Zeit. Auch das macht Dokumentationen über Beckenbauer erst komplett: Dass er stets über genügend Bodenhaftung verfügte.