Schickeria-Laudatio mit Zwischentönen

Gelsenkirchen – Kritische Töne und Anerkennung gleichermaßen: Als die Münchner Ultra-Gruppierung "Schickeria" den Julius Hirsch Preis erhält, geht es auch ums Thema Gewalt.
Man hat die Spannung im Festsaal des Gelsenkirchener Hans-Sachs-Hauses spüren können: Wer ist diese „Schickeria“, die erste bekennende Ultra-Fangruppierung, die mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet wurde? Wer tritt für sie aufs Podium? Wer gibt ihr ein Gesicht?
Die „Schickeria“ aus München hat eine Reputation, die ihr auch diese hohe Auszeichnung eingebracht hat – sie engagiert sich antirassistisch, sie sorgte dafür, dass der frühere FC-Bayern-Präsidenten Kurt Landauer mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod die ihm gebührende Wertschätzung erfährt. Doch die „Schickeria“ hat eben auch einen Ruf – einige ihrer Mitglieder sind aktenkundig geworden, man bringt sie zusammen mit dem Thema Gewalt rund um den Fußball.
Simon Müller, 32, ist gestern für die Schickeria zur Entgegennahme des Preises angetreten. Er ist eine Art Sprecher der Gruppierung, er kann sich gut artikulieren, er ist höflich, ohne sich anzubiedern. Auf die Bühne ist er mit einer Botschaft gestiegen – sie prangte auf seinem schlichten blauen T-Shirt: „Kein Mensch ist illegal.“ Die Schickeria bezieht derzeit auch klar Stellung zur Flüchtlingsproblematik.
Es war eine brisante Entscheidung der Jury, der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach vorsteht, den mit 10 000 Euro dotierten ersten Preis an die Schickeria zu vergeben – denn im blühenden Fußballland Deutschland sind die aktiven Fans eine kritische Stimme und eben auch nicht immer gut beleumundet.
Julius Hirsch Preis 2014 für "Schickeria"
Die Laudatio fiel daher auch kritisch aus, TV-Moderator Marcel Reif, Jude wie der Namensgeber des Preises, Julius Hirsch, ein ehemaliger deutscher Nationalspieler, den die Nazis 1943 im KZ umbrachten, hielt sie. „Verehrte Preisträger, wir kennen uns nicht persönlich“, hob er an, „aber wir haben schon viele Wochenenden miteinander verbracht.“ Er auf seinem Kommentatorenstuhl in der Allianz Arena, die Schickeria im Kern der Südkurve. Reif sagte, er habe nie geglaubt, dass er mit Ultras außer der Liebe zum Fußball etwas gemeinsam haben könne. Sie standen für ihn für alles Verurteilenswerte wie Gewalt, Rassismus, Homophobie, er habe sie auch empfunden als diejenigen, die den „Nährboden für rechtsextremes Gedankengut bereiten“ würden.
Als die Schickeria ihre große Kurt-Landauer-Choreografie aufzog – es war am 19. Spieltag der vergangenen Saison – war Reif „konsterniert: Ich musste nachdenken, hinterfragen, umdenken“. Er hat sich über die Schickeria informieren müssen und herausgefunden: „Sie handelt auch in aller Stille, schielt nicht auf die lauten Effekte. Sie arbeitet mit Flüchtlingen und benachteiligten Kindern. Ihr Engagement ist großartig!“ Ein „gewisses Maß an ,political incorrectness’ gehört zu dieser Jugendkultur“, glaubt Marcel Reif, aber ein Problem bleibt auch für ihn bestehen: „Diese Schickeria kann nicht ernsthaft mit Gewalt liebäugeln.“
Ein grundsätzliches Bekenntnis dagegen bekommt man von Schickeria-Sprecher Müller jedoch nicht geliefert: „Es sind zwei Seiten einer Medaille“, erklärt er, „das kann nicht jeder nachvollziehen – aber es gibt auch Punkte, die wir bei diesem Verband nicht nachvollziehen können.“ Mit dem Preisgeld wird die Schickeria, so Simon Müller, „die Arbeit fortsetzen, die wir gemacht haben“.
Günter Klein