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Antonio Rüdiger: Der neue Boateng im Interview

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Antonio Rüdiger
Antonio Rüdiger - engagiert, manchmal mit Hang zum Ärger. © AFP

Frankfurt - Antonio Rüdiger, 21 Jahre alt, Spieler beim VfB Stuttgart, erinnert sehr an Jerome Boateng - und könnte der neue Rechtsverteidiger der Nationalmannschaft werden. Im Merkur-Interview gibt er sich entspannt.

Er ist 21 und der Neue in der Abwehr der Nationalmannschaft: Antonio Rüdiger vom VfB Stuttgart. Die Familiengeschichte: Mutter aus Sierra Leone, Vater Deutscher.

Antonio Rüdiger, wie oft haben Sie in den vergangenen Wochen über sich gelesen, Sie müssten eigentlich Antonio Boateng oder Rüdiger Boateng heißen? Die Ähnlichkeit zum Bayern-Spieler ist auffällig.

Ziemlich oft. Das ehrt auch – wie die Tatsache, dass ich bei der Nationalmannschaft sein darf. Ich kann mir von Jerome Boateng eine Menge abschauen.

Wie lange kennen Sie ihn schon? Womöglich aus Ihrer gemeinsamen Geburts- und Jugendjahre-stadt Berlin?

Wir sind nicht der gleiche Jahrgang und uns in Berlin daher nicht über den Weg gelaufen. Die erste Begegnung war auf dem Spielfeld. Das erste Mal, dass ich auch richtig mit ihm gesprochen habe, war rund um die Länderspiele gegen Argentinien und Schottland.

In etlichen Bundesligaklubs findet man Spieler, die in Berlin aufgewachsen sind, teils sogar an derselben Schule waren wie die beiden Boateng-Brüder, Sead Salihovic von Hoffenheim oder Änis Ben-Hatira bei der Hertha. Warum kommen so viele Spieler aus der Hauptstadt?

Man lernt dort das Fußballspielen früh auf der Straße – und das ist was ganz anderes als normal in einem Verein zu spielen. Auf der Straße geht’s härter zur Sache.

War bei Ihnen wohl auch so.

Klar, ich habe da um mein Leben gespielt. Keiner wollte verlieren, da spielst du anders.

Haben Sie, als Sie dann auch im Verein spielten, Rassismus erlebt?

Bei ein paar Spielen, seitens von Zuschauern – ja. Aber man muss über so etwas stehen. Zum Glück ist es in Deutschland nicht so arg wie in einigen anderen Ländern.

Sie sind im DFB-Team derzeit sicher eine gefragte Auskunftsstelle, weil Sie den neuen Co-Trainer der Nationalmannschaft, Thomas Schneider, vorige Saison beim VfB Stuttgart, für einige Monate als Chefcoach erlebt haben. Ihre Meinung?

Ein guter Typ, fachlich stark. Die Nationalmannschaft ist für ihn ein logischer nächster Schritt. Thomas Schneider ist noch ein junger Trainer, er kann bestimmt viel lernen von Bundestrainer Joachim Löw.

Was haben Sie von Schneider gelernt?

Er hat viel mit mir gearbeitet, an meiner Spieleröffnung, am Stellungsspiel. Ich bin besser im Zweikampf geworden, daran hat er großen Anteil.

Sie wurden vor zwei Jahren mit der Fritz-Walter-Medaille ausgezeichnet, die jede Saison der jahrgangsbeste deutsche Nachwuchsspieler erhält. Was hat Ihnen dieser Preis bedeutet?

Das ist die beste Auszeichnung, die man kriegen kann als Jugendspieler. Ich habe sie auch noch in Gold gewonnen. Wenn man sieht, dass Mario Götze diese Medaille auch hat und Weltmeister geworden ist und anerkannt in der Welt...

Hatten Sie vorige Saison davon geträumt, vielleicht noch in den WM-Kader zu rutschen? So wie es Matthias Ginter oder Shkodran Mustafi gelungen ist?

Ich wollte mich anbieten durch gute Leistung und hatte auch auf das Polen-Spiel in Hamburg spekuliert, weil ich wusste, dass wegen des Pokalfinales zwischen Bayern und Dortmund und aufgrund des FA-Cup-Finales in England viele Stammspieler fehlen würden. Doch wenn ich ehrlich bin: Die WM war nicht realistisch, dafür war die Saison beim VfB Stuttgart zu chaotisch.

Nur für den VfB oder auch für Sie persönlich?

Meine persönliche Saison war okay, ich hatte es mir durch eine Rote Karte am Anfang etwas schwerer gemacht, aber bin zurückgekommen und habe am Ende gute Leistungen gebracht.

In besagtem Polen-Spiel ist es Christoph Kramer gelungen, sich noch für eine Nachnominierung in den WM-Kader zu empfehlen. Aber: Zum „Man of the Match“ wurden von den Mitgliedern des Fan-Clubs Nationalmannschaft Sie gewählt. Wie haben Sie davon erfahren?

Nach dem Spiel nicht direkt, sondern erst Tage später, von Kollegen, als ich schon im Urlaub war. Eine gute Sache für mich.

Wie verfolgt man eine WM, wenn man selber gerade den ersten Kontakt zur Nationalmannschaft hatte? Fühlt man sich schon zugehörig?

Natürlich fiebert man mit, ich bin hier geboren und aufgewachsen und bei einer WM natürlich für Deutschland. Ich habe es den Spielern auch gegönnt. Zugehörig habe ich mich da noch nicht so gefühlt, denn ich wusste nicht, wie es weitergeht, ob ich nach der WM wiederkommen kann. Als es in Brasilien losging, war ich bei meiner Familie in Berlin und habe dort alle Spiele verfolgt.

Public Viewing?

Zuhause. Entspannter.

Viele Leute bescheinigen Ihnen auffälliges Talent, manche monieren auch Leichtsinn und dass Sie oft nahe an Roten oder Gelb-Roten Karten wären.

Ich muss mit verschiedenen Meinungen klarkommen, aber mit Kritik kann ich umgehen. Ich habe auch schon in der Vergangenheit gezeigt, dass es ohne Karten gehen kann und sehe mich auf einem guten Weg, vom Hitzkopf zum Guten zu werden.

Was ist oder war hitzköpfig an Ihnen?

Dass ich am Anfang der letzten Saison zu viel wollte, da passieren dann Sachen, die nicht passieren sollten. Fehler wie in den Spielen neulich gegen Köln und Hertha gehören zu meinem Reifeprozess. Man sollte nicht 40 Meter vor dem eigenen Tor den Ball verlieren, aber er ist halt versprungen. Ich werde jedoch auch in Zukunft keine Angst haben, Fehler zu machen.

Machen Sie, um die Konzentration zu stärken, autogenes Training?

Ich fokussiere mich einfach, denke an meine Familie und höre schöne Musik.

Was ist schöne Musik?

Hip-Hop.

Keine Helene Fischer?

Hübsche Frau, das Atemlos-Lied ist nicht schlecht, und es ist kein Problem, wenn es gespielt wird – aber es ist nicht das, was ich mir aufs Handy laden würde.

Sie sind Innenverteidiger. Wäre es eine Option für Sie, rechter Verteidiger zu spielen? Die Stelle ist frei im Nationalteam.

In der Bundesliga habe ich Rechtsverteidiger schon gespielt, auch mein erstes Länderspiel auf der Position gemacht – ich bin bereit, dort zu spielen, wo der Trainer glaubt, dass ich hilfreich für die Mannschaft bin. Auch wenn es in der Offensive nicht mein Spiel ist.

Sie haben einen Halbbruder, Sahr Senesie. Er spielt beim Drittligisten Sonnenhof-Großaspach bei Stuttgart, in Ihrer Nähe. Absicht?

Ich wollte, dass er in meiner Gegend ist, und weil mein Berater im Verein tätig ist, hat es sich so ergeben. Mein Bruder hat auch Qualität, er hat in Dortmund Bundesliga gespielt und diverse Jugendnationalmannschaften durchlaufen.

Sportlich sind Sie, obwohl acht Jahre jünger, jetzt der große Bruder.

Sportlich ja, aber mehr auch nicht. Sahr ist ein Leitbild für mich. Und aus den Fehlern, die er mal gemacht hat, kann ich lernen.

Wohin führt Ihr Weg?

Im Sommer hat man viel gehört, was einen Wechsel betrifft: Monaco, Porto, West Ham, Manchester United. Das ehrt einen, aber ich bin erst mal auf das fokussiert, was ansteht, und das ist die Bundesliga mit dem VfB. Vor uns liegt wieder ein schwieriges Jahr, da muss ich im Kopf zu hundert Prozent bei meinem Verein sein. Wir dürfen uns nicht in die Tasche lügen, unser Ziel muss es sein, die Klasse zu halten, so schnell wie möglich. Aber natürlich mache ich mir auch Gedanken: Irgendwann will ich bei einem Topklub spielen.

Das Interview führte Günter Klein.

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