Die Trauer liegt auf dem Platz

Der November ist ein Monat, der der Besinnung und dem Gedenken gewidmet ist. Er begann mit Allerheiligen und Allerseelen, am vergangenen Sonntag war Volkstrauertag, der kommende wird der Totensonntag sein. Der Tod gehört zum Leben, heißt es – und das ist so. Der Tod begleitet auch den Fußball – und der sorgt dafür, dass die, die trauern, aus ihm Kraft schöpfen können.
An Manuel Neuer war neulich etwas anders. Er trug, als er im Tor des FC Bayern stand, einen Trauerflor. Als Einziger der Mannschaft. Es war, wie er mitteilte, ein privater Trauerflor. Mehr wollte Neuer nicht sagen, und es wurde nicht weiter nachgefragt.
Pep Guardiola hatte, als er Manchester City coachte, vor Kurzem auch ein schwarzes Band um den Oberarm geschlungen, er zeigte, dass der Tod der Tochter seines langjährigen Weggefährten im spanischen Fußball, Luis Enrique, auch ihn beschäftigte.
Carmen Mayer sagt: „Fast nirgendwo wird Trauer so sichtbar wie im Fußball.“ Sie merkt immer auf, wenn es den Fall einer Trauerbekundung in den Stadien oder im Umfeld des Fußballs gibt. Die Berlinerin ist von Beruf Trauerbegleiterin „mit eigener Praxis“, und dass es dazu und zu ihrem besonderen Interesse an der Verbindung von Tod und Fußball gekommen ist, hat mit ihrer eigenen Geschichte zu tun, die eine schicksalhafte ist.
Sie verlor zwei Kinder, beide kamen tot zur Welt. Ein Junge, ein Mädchen, 2006, 2008, sie nannte sie Friedrich und Lena, sie ließ Trikots für sie anfertigen. Lena bekam die Nummer 1, „weil sie schon im Mutterleib gestrampelt hat wie eine Torhüterin“. Sie hängte die Trikots an Bügeln an der Bücherwand auf, als sie die Spiele der Europameisterschaft 2008 im Fernsehen anschaute. Es kamen Freundinnen und Freunde, die sagten: „Lass uns zusammen Fußball gucken.“
Es war eine Fügung, dass ziemlich bald nach den Todesfällen ihrer Kinder die großen Turniere anstanden. Sie fand Ablenkung im Fußball, sie sagt: „Der Tod gehört zum Leben, die Trauer muss ins Leben integriert werden. Fußball wurde zu einer Ressource für mich, zu einer Kraftquelle.“ Auch wer trauert, kann sich Momente der Freude, des Lachens, des Bangens erlauben.
Kurz nach dem Tod ihres Sohnes war Carmen Mayer im Supermarkt einer Bekannten begegnet, die nichts wusste von diesem Schicksalsschlag und fragte: „Wie geht’s?“ – „Ich habe meinen Sohn verloren.“ – „Dann einen schönen Tag noch“, die Bekannte ging weiter. Trauersituationen können die Menschen überfordern, die gerade nicht damit befasst sind. Im Stadion erlebt Carmen Mayer einen viel offeneren Umgang damit. Sie hatte Geschichte und Bibliothekswissenschaft studiert, sie entschloss sich dann aber zu einer Weiterbildung als Trauerbegleiterin. Und weil sie so viele Beispiele von Trauerkultur entdeckte, regte ihr Dozent in Dresden an: „Schreib doch deine Hausarbeit darüber.“ Das tat sie – und mit ihren Mitstreitern Tobi und Tanja hat sie auch noch das „Projekt Fußball und Trauer“ (www.trauer-undfussball.de) gegründet. Vor Fans spricht sie oft über ihre Arbeit.
Die Trauer ist gegenwärtig im Fußball. Spieler, die ein Tor geschossen haben und an einen Menschen denken, der verstorben ist, richten den Blick und die Hände nach oben – sie zeigen den Himmelsgruß.
Viele Spiele beginnen mit einer Gedenkminute, wenn jemand, der im Verein gearbeitet und seine Spuren hinterlassen hatte, verstarb. Manchmal bietet auch ein nichtfußballerisches Ereignis Anlass für ein Gedenken. Ein größeres Unglück, ein Anschlag mit Toten. Carmen Mayer hat einen Hertha-Fan interviewt, der ihr erzählte, dass er bei der Schweigeminute für die Opfer des Attentats auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz eine solche Stille seitens der Menschen im Olympiastadion noch nie erlebt hatte: „Er sagte, man habe sogar die Generatoren aus dem Keller gehört.“
Die Gedenk- findet mittlerweile auch als Applausminute statt. Das kommt aus England, erstmals erlebt hat man es in der Bundesliga, als der VfL Wolfsburg Anfang 2015 zum ersten Spiel nach dem tödlichen Autounfall seines Spielers Junior Malanda antrat, zu Hause gegen den FC Bayern. Die Zuschauer im Stadion und schließlich auch die Spieler klatschten Beifall – weil er die Sprache des Sports ist. Als nun im Rahmen der Aktion „GedEnkeMinute“ auf deutschen Fußballplätzen an den vor zehn Jahren verstorbenen Torhüter Robert Enke erinnert wurde, bat sein letzter Verein, Hannover 96, seine Fans explizit um Beifall.
Bei Union Berlin, dem Neu-Bundesligisten, werden in der Halbzeitpause die Namen der verstorbenen Vereinsmitglieder verlesen, Stadionsprecher Christian Arbeit schließt mit einem „Und niemals vergessen: Eisern Union“. Dann wendet man sich der zweiten Halbzeit zu – und es ist, als wären die soeben erwähnten Verstorbenen Teil des Spiels.
Das ist auch der Gedanke bei den Queens Park Rangers in England. Man kann einen Teil der Asche eines Verstorbenen hinter der Torlinie bestatten lassen, es gibt einen Clubpfarrer, der das macht. „In Deutschland ist das nicht erlaubt“, weiß Carmen Mayer. Doch es gibt auch hier Wege, die Trauer der fußballerischen Neigung des Verstorbenen entsprechend auszugestalten. Mit Urnen und Särgen im Vereinslook, für Fans von Hamburger SV und Schalke 04 existieren eigene Friedhöfe, SpVgg Greuther Fürth und Rot-Weiss Essen haben eigene Grabfelder auf den Friedhöfen ihrer Stadt.
Auch die Kurven pflegen ihre Trauerzeremonien. Häufig sind Choreografien verstorbenen Fans gewidmet, vor allem in Ultrakreisen steht man dem Thema nahe. Und wenn in einem Stadion plötzlich der Support dort eingestellt wird, wo er für gewöhnlich am lautesten ertönt, ist das oft die spontane Reaktion auf einen Unglücksfall, wie er vorkommen kann, wenn viele Menschen sich an einem Ort aufhalten. Auch die gegnerischen Anhänger verstummen dann. Die Pietät ist kurvenübergreifend. Ehrensache.
Als ein Fan des FC St. Pauli sich aufgrund seiner Depressionen das Leben nahm, gründeten andere Fans den Verein St. Depri, und in England haben sich trauernde Väter zu einem Fußballteam zusammengeschlossen. „Es gibt sogar einige solcher Teams“, weiß Carmen Mayer
Sie selbst geht zu den Spielen von Turbine Potsdam, einem der erfolgreichsten deutschen Frauenteams. Auch hier erlebte sie besondere Aktionen. Sterben Menschen, die keine Angehörigen und kein Vermögen hinterlassen, wird eine „ordnungsbehördliche Bestattung“ angeordnet. Fans haben dann gesammelt, sind zur Beerdigung gegangen und haben Blumen und Schals ins Grab geworfen. „Auf der letzten Reise sollte niemand alleine sein.“
So ist der Fußball. Und er akzeptiert auch Trauer, die „sozial nicht anerkannt ist“, wie die um ein Haustier. Es gab Fußballer, die offen um ihren toten Hund trauerten, und niemand hat sich darüber vernehmbar echauffiert oder lustig gemacht. „Denn wer gibt vor, worum man trauern darf?“, sagt die Trauerbegleiterin Carmen Mayer. Für Trauer gibt es keine Gesetze,
Bei Turbine Potsdam blieb während einer Saison der Platz neben ihr ab Januar leer. Der Dauerkartenbesitzer, ein sehr guter Freund von ihr, war gestorben. Ein Mann, der in der Nähe saß, erkundigte sich, warum der Platz nicht mehr besetzt wurde. Carmen Mayer erzählte ihm von dem Todesfall. Nach einem Moment des Innehaltens sagte der Turbine-Fan: „Dann kann er das Spiel nun von oben sehen und alles gut erkennen.“
Sie haben beide spontan gelacht, Carmen Mayer und der Mann. Es war ein guter, ein besonderer Moment des Gedenkens und der Trauer.