Hochsicherheitstrakt Stadion: Was wird aus der Bundesliga?

Hannover/München – Reinhard Rauball glaubt, dass der Fußball in Deutschland sich „in allen Facetten“ verändern wird. Was bedeutet das? Vor allem: Was wird aus der Bundesliga?
Wolfgang Bosbach saß am Dienstagabend, in der zweiten Nacht, in der der Terror uns gestreift hatte, in der Talkshow von Sandra Maischberger und tat Ungewöhnliches: Er hörte zu. Eine Dreiviertelstunde lang dauerte sein Schweigen, zumindest hat er die Zeit so wahrgenommen. Dann meldete er sich und erzählte, dass er in seinem Politikerleben schon einige Krisen miterlebt habe. Sie folgten einem bestimmten Muster. Es beginnt mit der tiefen Bestürzung, es folgt der Ruf nach Konsequenzen, die tiefgreifend sein sollen. In der nächsten Stufe wird vor Überreaktionen gewarnt, „und am Ende bleibt ungefähr alles so, wie es immer war“.
Der deutsche Fußball befindet sich am Anfang des Schreckensprozesses. Er ist schockiert von dem, was in Paris passierte und ihn ja auch betraf, weil die Nationalmannschaft im Stade de France spielte, als der Angriff des IS erfolgte. Er steht unter dem Eindruck der Absage des „Symbolspiels“ gegen die Niederlande in Hannover. Und er kann nur hoffen, dass die Menschen bald wieder unbeschwert in ein Stadion werden gehen können. Und sich die Bosbach-Theorie vom Vergessen erfüllt.
Oder hat sich der Fußball in der Nacht von Hannover unwiderruflich verändert? Auf einer spontanen Pressekonferenz am Dienstagabend im Niedersächsischen Ministerium des Inneren und Sports sagte Reinhard Rauball, Interims-Präsident des DFB und Vorsitzender des Ligenverbands: „Mein Eindruck ist, dass der Fußball in Deutschland mit dem heutigen Tag in allen Facetten eine andere Wende genommen hat.“ Er saß neben Bundesinnenmisister Thomas de Maiziere und dessen niedersächsischem Ressortkollegen Boris Pistorius und war „nicht böse“ darüber, dass ihm die Frage gestellt wurde, ob der nächste Bundesligaspieltag überhaupt stattfinden werde, könne oder dürfe. „Darüber denken wir natürlich nach.“ Gut eine Stunde später war Rauballs Meinungsbildung abgeschlossen, eine Absage stehe wohl doch nicht im Raum. Und gestern um Punkt 14 Uhr kam aus der DFL-Zentrale im Frankfurter Bankenviertel die Meldung: „Ansetzungen des Bundesliga und 2. Bundesliga bleiben unverändert.“
Der Profifußball will also das tun, was die Nationalmannschaft am Dienstag vorgehabt hatte. „Heute wollen wir wieder spielen, weil es uns wichtig ist. Wichtig zu zeigen, dass wir zusammenstehen – nicht nur auf dem Platz“, stand im Namen der Spieler im Editorial des Stadionmagazins, das kaum jemand in die Hand bekommen und gelesen haben dürfte.
„Wir haben keinen Anhaltspunkt, dass sich die Aktionen gegen den Fußball richten“, sagt Boris Pistorius, „sondern unsere Gesellschaft ins Mark treffen sollen.“ Einer wie Martin Kind, erfolgreicher Unternehmer (Hörgeräte) und streitbarer Präsidenten von Hannover 96, macht sich dennoch größte Sorgen um seinen Fußball. Er war nach der Absage des Länderspiels ins NDR-Hörfunkstudio gefahren und sagte dort im Interview: „Ich glaube schon, dass das dramatische Auswirkungen haben wird. Das hat eine Qualität, dass es die Reaktion der Menschen in Zukunft sicher verändern wird. Wenn ich meine spontanen Überlegungen einmal als Basis nehme, dann befürchte ich, dass wir dramatische Veränderungen erleben werden und der Fußball wahrscheinlich auch einen anderen Charakter kriegen wird.“ Es würden sich neue Fragen stellen: „Brauchen wir zum Beispiel Körperscanner?“
Mit Beginn dieses Jahrtausends wurde der Fußball sicherheitstechnisch ohnehin aufgerüstet. In den Profistadien gibt es Kameraüberwachung, um etwa Randalierer ausfindig zu machen; es gibt Arrestzellen. Vor allem waren als Gefahr für die Stadionbesucher andere Stadionbesucher ausgemacht worden. Solche, die dem anderen Klub anhängen. Oder die einfach auf Konfrontation aus sind. Die sich betrinken. Der DFL ist viel gelegen am „sicheren Stadionerlebnis“. Dazu gibt es ein umfassendes Konzept, das auch den Gebrauch von Pyrotechnik verbietet. Alter Streitpunkt. Die Stadionordnungen haben vieles eingeschränkt. Es dürfen keine langen Fahnenstangen wie früher mehr mitgenommen werden, noch nicht einmal Schirme und keine größeren Taschen. Am Eingang muss man vorzeigen, was man dabei hat – und man wird abgetastet. Es geht immer von oben nach unten: Unter den Achseln, an den Hüften, entlang der Beine. Geübte Griffe, sie nehmen nur ein paar Sekunden in Anspruch.
Doch was, wenn Detektoren kommen müssen wie am Flughafen? Beim WM-Endspiel im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro waren welche aufgestellt – doch ein solches Finale, auf das die Welt schaut, wird anders behandelt als ein alltägliches Spiel. Einen erhöhten Sicherheitsstandard gibt es selbst international nur, wenn in Champions oder Europa League gegen israelische Teams gespielt wird, die immer als gefährdet gelten.
Martin Kind, dem Hannover-96-Boss, wird schon ganz anders, „wenn ich mir die Kontrollstruktur vorstelle. Die Vorlaufzeiten werden länger, das wird viele Leute belasten. Da wird es andere Redaktionsmuster geben, als wir sie heute kennen.“
Massive Sicherheitskosten für Klubs?
Womöglich kommen auf die Klubs massive Sicherheitskosten zu. Am schnellsten und sichersten wäre der Stadioneinlass mit Körper-scannern. Man stellt sich hinein, hebt die Arme, wird durchleuchtet – es geht ruckzuck. Aber: An deutschen Flughäfen gibt es erst 14 Stück dieser auch „Nacktscanner“ genannten Geräte. Kostenpunkt: je 200.000 Euro. Vorteil der Maschine: Sie begeht keine Fehler. Anders als es in der Niedriglohnbranche der Security-Dienste geschehen kann. Das WDR-Magazin „sport inside“ hat vor einiger Zeit am Beispiel Schalke 04 aufgedeckt, wie geringqualifiziert und oft schlecht beleumundet diese Leute sind. Sie werden angezogen davon, dass sie Zusatzprämien verdienen können, wenn sie etwa einen Flitzer abfangen (in Leverkusen dotiert mit 150 Euro).
Fußballstadien als Hochsicherheitstrakte – es ist keine Vision mehr. Auch wenn Thomas de Maiziere das Länderspiel in Hannover als Einzelfall darstellt und der Polizeigewerkschaftler Rainer Wendt sagt: „Die Bundesliga ist zu meistern.“
Die Liga steht vor einem ungewissen Wochenende: Ergibt sich eine neue Gefahr? Sinken die Zuschauerzahlen? Oder kommt es zur Demonstration von Solidarität und Stärke. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz appelliert an die Fans, auf Böller zu verzichten und „der Polizei zu helfen“.
Günter Klein