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Toni Turek: „Fußballgott“ für immer

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Von: Günter Klein

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In der Elf von Bern war er der Torhüter: Toni Turek, eines der größten deutschen Fußball-Idole. © Imago

Toni Turek, vor 100 Jahren geboren, war einer der größten deutschen Fußball-Torhüter. Eine Biografie beleuchtet sein Leben, dessen sportlich beste Jahre ihm der Krieg raubte, einem nicht entfernbaren Granatsplitter im Kopf und bürgerlicher Bescheidenheit nach der Karriere.

München – Die Einschaltquoten am 4. Juli 1954: Fernsehen – eine Million. Radio: 50 Millionen.

Das ganze Land hörte die Übertragung vom Fußball-WM-Finale 1954 aus Bern. Es ließ zum Kommentar von Heribert Zimmermann Bilder in seinen Köpfen entstehen. Eines: das vom tollkühnen deutschen Torhüter Turek, der zwar nach acht Minuten patzt und sich das 0:2 einfängt, dann aber die besten 82 Minuten seines Lebens spielt.

„Toni, du bist ein Fußballgott.“ „Toni, Toni, du bist Gold wert.“ „Toni, du bist ein Teufelskerl.“

Turek war nicht der erste Fußballtorwart, der „Fußballgott“ genannt wurde – aber erstmals entfaltete der Begriff eine mediale Wucht. Empörung von kirchlicher Seite inbegriffen.

Vom 4. Juli 1954 an war Toni Turek als „Fußballgott“ in der Geschichte der Bundesrepublik verewigt. Er war mit 35 der älteste Spieler in Sepp Herbergers WM-Kader, er starb bereits 1984, doch ist er präsent geblieben. Wenn in Düsseldorf die Fortuna Heimspiel hat, setzt die Rheinbahn die Spezialstraßenbahn ein. Auf der einen Seite steht „Toni, du bist ein Fußballgott“, auf der anderen das Teufelskerl-Zitat. Demnächst sind in Düsseldorf wieder Turek-Feierlichkeiten: Morgen ist es 100 Jahre her, dass Toni Turek geboren wurde. Der einzige deutsche Stammtorhüter in der Nationalmannschaft, der nie ein WM-Spiel verlor.

Im Hildesheimer Arete-Verlag erscheint dieser Tage Werner Raupps Biographie über Toni Turek. Das Buch resultiert nicht aus persönlicher Bekanntschaft, sondern aus Archivforschung und Quellenauswertung. Das Nacherzählen der Karriere lässt eine dramaturgische Linie vermissen, wertvoll ist die Biografie aber dadurch, da sie vieles erzählt über eine Fußballzeit, die wir so noch nicht kannten. Die Kriegsjahre, der Wiederaufbau danach, das frühe Halbprofitum – und wie das alles den Charakter von Fußballern bildete.

„Die besten Jahre hat der Krieg mir geraubt“, sagte Turek einmal. Sein erstes Länderspiel war das letzte des DFB im Zweiten Weltkrieg, im November 1942 ein 5:2 über die Slowakei. Nach der Totaler-Krieg-Rede von Joseph Goebbels wurde der internationale Spielverkehr im Februar 1943 eingestellt.

Kriegsspielgemeinschaften hielten einen reduzierten Ligenbetrieb im Deutschen Reich aufrecht. Fußballer bekamen eine Doppelspielgenehmigung, sie durften für ihren Heimatverein und für einen Club am Standort ihrer Einheit spielen. Obwohl der Soldat Turek Fronteinsätze hatte und einige der blutigsten Schlachten miterlebte, spielte er daheim in der „Notliga“. Sofern die Fußballplätze nicht durch Bombentrichter unbespielbar geworden oder zu Parkplätzen für die Wehrmacht umfunktioniert worden waren.

Turek erlitt Kriegsverletzungen. Ein Artilleriegeschoß traf 1944 die rechte Hand. 1941 in Russland durchschlug ein Granatsplitter seinen Stahlhelm und blieb im Hinterkopf stecken. Für immer. Eine operative Entfernung wäre zu gefährlich gewesen. Der Splitter führte später zu einer Blutstauung im Gehirn – doch auch mit diesem Handicap wurde Turek Weltmeister.

Der Krieg, heißt es, habe ihn geprägt, „aber nicht traumatisiert“. Bei der Entnazifizierung wurde Turek als „unbelastet“ eingestuft, schnell fand er in den Fußball zurück. Vereine lockten die damals Besten mit „reichlichem Essen“, die Prämie für ein Spiel betrug ein Liter Öl oder einen Eimer Kohlen. Zu Verhandlungen mit Eintracht Frankfurt fuhr Turek angeblich 250 Kilometer mit dem Rad.

Der deutsche Fußball begann bald zu brummen, zum ersten Nachkriegsländerspiel in Stuttgart kamen 115 000 Zuschauer. Deutsche Mannschaften reisten zu „Versöhnungsspielen“ in die USA, Rot-Weiß Essen ging 1954 für zwei Monate auf Süd- und Nordamerikatournee, wodurch Tureks Rivale Fritz Herkenrath die WM verpasste. Toni Turek war allerdings der mit Abstand populärste deutsche Torwart – das bestätigte die damals schon stattfindende Leserwahl des „kicker“.

Am Torwart Turek wurde seine Fähigkeit zur Antizipation gerühmt, er brauchte keine spektakulären Paraden. Es hieß über ihn: „Wie ein Luftkompressor saugt er die Bälle an.“ Oder er habe eine Ruhe wie ein Wiener Hausmeister, Herberger meinte, Turek gehe dem Risiko nicht entgegen, „sondern erwartet es auf der Torlinie“.

Markant an Turek war seine Haartolle – die ihm nach der WM 1954 einen kleinen Werbevertrag mit der Firma „Brisk“ einbrachte. Ansonsten zeigte er keine Ambition, den Ruhm nachhaltig zu versilbern. Er blieb auf seinem Arbeitsplatz bei der Düsseldorfer Rheinbahn, war für 580 D-Mark Monatslohn ein zufriedener „Leiter Post/Registratur/Mikrofilm“. Erst 1967 reichten die Ersparnisse für den Erwerb eines Reihenhäuschens.

1977 wurde Turek schwer krank, nach einer rätselhaften Virusinfektion saß er im Rollstuhl, die Leute schickten ihm Schmalz zum Einreiben der Beine und Heilwasser. Man vergaß ihn nicht. Der Torwart beim populären Tipp-Kick-Set wurde „Toni“ genannt, zur WM 2018 legte die Deutsche Post eine Briefmarke mit dem Zimmermann-Spruch auf: „Toni, du bist ein Fußballgott.“

Götter sterben nie.

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