Erdings neueste Sportattraktion: Die Alpenkranzl-Kletterhalle

Die BoulderAirea des Erdinger Alpenkranzls ist so gut wie fertig. Unser Sportchef Dieter Priglmeir durfte schon mal testen. Der Erfahrungsbericht eines Neueinsteigers.
Erding – Das Schönste am Klettern ist der Moment, an dem du die Schuhe wieder ausziehst. Das sagt mein Trainer, als ich versuche, das bisserl schwarzen Stoff über meine Zehen zu zwängen. Ist etwa so, als wolle man einen Tupperdeckel auf eine zu kleine Schüssel drücken. „Das ist doch nie und nimmer Größe 45.“
„Doch, die sind genau richtig“, sagt Stephan Scherzinger, „die müssen eng anliegen. Fuß und Schuh müssen zu einer Einheit verschmelzen, damit du mit den Zehen arbeiten kannst.“ Der 42-Jährige ist heute mein Trainer. Er wird mit mir die ersten Schritte in der neuen Boulderanlage des Alpenkranzls gehen. Und er wird mir noch mehrfach verraten, was das „Schönste am Klettern“ ist. Nämlich vieles.
Deshalb baut das Alpenkranzl Erding seit dem Spatenstich im Dezember 2020 eine Kletteranlage, die BoulderAirea. Am kommenden Wochenende lädt der Verein zur Schnupperstunde ein (siehe Kasten), nach Ostern soll sie geöffnet werden.
Ich darf schon vorher rein. Mein Job als Journalist macht das möglich. Das ist Fluch und Segen. Denn ich bin völliger Laie – ein echter Neueinsteiger. Andererseits bin ich seit jeher fasziniert von diesen in der Wand hängenden Bergfexen.
Bevor ich aber den Großglockner überwinde, muss erst mal der Große Onkel bezwungen werden. Ah, jetzt ist auch der rechte Ballettschuh – so schaut er aus – dran. Jetzt noch ein paar Stufen hoch, dann stehen Stephan und ich vor der ersten Wand. Verzeihung, vor der Sterr-Lechner-Traverse, der schwersten Route der BoulderAirea. Wobei „Route“ auch schon falsch ist. „Die gibt’s nur am Kletterturm, hier sprechen wir von Boulder-Problemen“, erklärt Stephan.
Er muss es wissen, denn er hat sie alle verschraubt. Rund 600 Griffe hat er an 250 Quadratmeter Wände und Decken angebracht – und damit 40 Probleme für alle Hobby- und Profikletterer. „Es sollte für jeden etwas dabei sein“, erklärt der Kanadier, der 2003 der Liebe wegen nach Deutschland kam, aber schon in der Heimat Routen gebaut hat. Ausbildung bei der Toronto Climbing Academy, Studium zum Management für Sportanlagen und alpine Klettererfahrung seit fast 30 Jahren, auch Erstbegehungen reizen ihn. Und dann gibt er sich jetzt mit mir ab?
„Klettern kann jeder“, sagt er.“ Naja, das wird sich gleich zeigen. Keine Ahnung wie gut ich bin. Ich kraxel gern in Kirsch- oder Zwetschenbäumen, was aber viel mit den Kirschen und Zwetschgen zu tun hat. Im Turnunterricht bin ich aber schon beim Felgaufschwung gescheitert – sogar theoretisch, denn ich dachte immer, das heißt Feldaufschwung.
Aber für eine Reportage nimmt ja ein Reporter einiges auf sich. Ich weiß auch schon, wie sie enden wird: an der Sterr-Lechner-Traverse, die bisher noch niemand bezwungen hat.
Aber jetzt erst mal: ran an die graue Wand mit all den bunten Griffen, die mir Stephan erklärt. Die meisten sind aus Polyester oder Polyurethan. Die Formen können nicht unterschiedlicher sein: vom schwarzen Mini-Griff, in dem du nicht mal die Fingerkuppen verstecken kannst bis zu fußballgroßen Halbkugeln, die zwar glatte und raue Flächen, aber keinen Angriffspunkt haben. „Und das hier sind die Bierhenkel“, sagt Stephan und deutet auf ein paar orangefarbene Haltegriffe. „Die könntest du vermutlich auch noch mit drei Halbe versuchen.“
Alkohol beim Klettern gehe natürlich gar nicht, sagt Scherzinger. Er wolle damit nur verdeutlichen, dass die BoulderAirea für jeden Optionen bietet. Jung, alt, Neulinge, Inklusionsgruppen, Blinde – die Kletterlandschaft sei für alle da. „Es geht nicht darum, die schwierigste Route zu meistern, sondern für sich den Spaß zu finden“, sagt Scherzinger. Das sei das Schönste am Klettern.
Vielleicht ist die Bierhenkel-Tour der passende Beginn für mich? „Nein, da hätte ich was anderes“, sagt mein Trainer und zeigt auf einen gelb gehaltenen Einstieg nahe des Bodens. „Probier mal!“
Darf ich? Und schon bin ich auf der ersten Tour. Ich blicke nach oben an die Wandkante in 4,50 Meter Höhe. Großglockner, ich komme.
„Stop!“
„Häh, ich habe doch erst einen Schritt gemacht?“
„Du musst schon bei einer Farbe bleiben“, sagt Stephan. (Wir Bergfexe duzen uns natürlich, deshalb nur der Vorname).
Ah, das bunte Allerlei ist also keine Sache der Optik. Jede Farbe definiert eine Tour, Verzeihung, ein Boulder-Problem, wie es der Fachmann nennt.
Wird schon komplizierter, aber noch geht’s. Die Schuhe umgreifen jetzt tatsächlich die sehr kleinen Griffe und mit den Händen ziehe ich mich an die Wand ran. „Nicht die Arme beugen“, höre ich von unten, denn ich bin ja schon circa 70 Zentimeter über dem Boden. Hey, das sind immerhin 463,70 Meter über Meeresspiegel.
„Mit gestreckten Armen tust du dich viel leichter“, kommt vom Tal gerufen. Tatsächlich, es funktioniert. Der gelbe Weg gefällt mir. Ich hangele mich Stück für Stück nach oben – eigentlich mehr in die Breite als in die Höhe, aber irgendwann bin ich am obersten Griff angelangt. Applaus von der Talstation, Zeit für ein Gipfelbier? Oder doch für die nächste Tour. Kein Alkohol an der Wand und im Dienst! Außerdem muss ich jetzt erstmal wieder runter.

„Das ist oft schwerer als nach oben zu klettern“, sagt Stephan. „Man kann auch runterspringen“, fügt er hinzu, als ich einen Meter über dem Boden nicht mehr weiter weiß. Der Boden wäre mit 50 Zentimeter Schaumstoff geschützt. Aber nein, jetzt packt mich der Ehrgeiz. Ich werde doch wohl da runter kommen. „Hüfte zur Wand drehen“, rät Stephan. Ein weiter Schritt, noch einer, dann ein kurzes, viel zu dramatisches Stöhnen – geschafft!
Wo geht’s weiter? Ich greife nach den grünen Slopern (Aufleger), dann folgt die knallrote Tour. Jugs (Henkel), Crimps (Leisten) – ich habe alles Im Griff. Läuft. Bin ich ein Naturtalent, oder ist Klettern doch nicht so schwer? Die Antwort liefern meine rot angelaufenen Unterarme. „Flash pumps“, meint Stephan und grinst. Ja, plötzlich pumpen Muskeln in mir, die ich gar nicht kenne. Es brennt, es zieht. Was ist das?
„Ausschütteln“, rät Stephan. „Lass dir Zeit, das ist die Milchsäure, das vergeht wieder.“ Er sucht schon das nächste Boulder-Problem: einen Überhang. Nicht sein Ernst, oder? Der 56-Jährige, der schon mit 22 am zweiten Klimmzug gescheitert ist, soll da hoch? Und was ist mit meinem Muskelkater?
„Der kommt erst morgen“, beruhigt mich Stephan. Seine Muskeln zu spüren, das sei doch das Schönste am Klettern. Er zeigt auf den Einstieg für den Überhang: „Nimm den und den!“ Meine Zehen klammern sich dran. Für meine Hände habe ich auch schon zwei Griffe gefunden. Und da hänge ich jetzt und komm nicht mehr weiter.
„Körperspannung“, ruft Stephan. Er zeigt auf den nächsten Griff. „Aber der ist unerreichbar.“ – „Nicht, wenn du mit rechts übergreifst.“ Ich zweifele und denke nach, während mich gleichzeitig meine 80 plus x Kilo an die Erdanziehung erinnern: Wie hat Stephan das eben gemacht?
Der ist zuvor den Pink-Panther geklettert, seine Lieblingstour. Dabei hing er einhändig an der Decke, der Rest von ihm baumelte in der Luft und suchte nach dem nächsten pinkfarbenen Bisserl-was, in das er die Fingerkuppen eingraben konnte. Wie hat er das nur gemacht?

Ein „Arsch zusammenkneifen, und auf!“ bringt mich zurück zu meinem Problem; ich, der Klammeraffe im Überhang. Wie war das noch mal? Übergreifen. Im ersten Versuch scheitere ich. Dann klappt’s. Nun ja, Stephan stützt mich leicht von unten ab. Überhaupt sei Hilfestellung beim Klettern immer wichtig, sagt er. Dann lässt er los. Und ich hänge im Berg – nach unten. Aber noch hänge ich. Wo ist der nächste Griff, was machen die Füße?
Drei, vier Sekunden glaube ich an den nächsten Schritt. Zeit genug für unseren Fotografen. Er wird ein – zumindest für mich – spektakuläres Foto schießen, das ich anschließend in den sozialen Medien poste. Die Reaktionen: Nette Menschen nennen mich „Spiderman“, Familienmitglieder stimmen den Simpsons-Klassiker „Spiderschwein“ an, andere drehen zweifelnd das Bild, Kollege Wolfi postet ein Foto von einem am Ast hängenden Faultier. Egal . Jich habe meinen Moment. Ich habe vier Sekunden lang die Schwerkraft besiegt, dann nehme ich die Abkürzung – nach unten.

Zeit für den Schlussakt: ab zur Sterr-Lechner-Traverse. Da geht doch zumindest der erste halbe Meter? Ich schaffe nicht mal einen Zentimeter. Das Ganze beginnt im Sitzen. Stephan zeigt mir die beiden Einstiegsgriffe von der Dicke eines Kugelschreibers, von denen aus ich mich am Boden sitzend erst einmal in die Hocke ziehen soll, um überhaupt in die Startstelle zu kommen. Um es abzukürzen: Ich bringe meinen Hintern nicht einen Zentimeter nach oben. Ich scheitere also schon vor dem Start – und plane das Reportage-Ende um.

Vielleicht doch die Bierhenkel am Schluss? „Gern“, sagt Stephan. Ja, das schaut fast wie eine Leiter aus, die ich nur noch nach oben klettern müsste. „Aber was heißt hier nur noch?“, lassen mich meine Flash pumps geplagten Unterarme wissen. Ich komme keine zwei Meter weit.
„Alles zu seiner Zeit“, sagt Stephan, und ich suche mir ein neues Happy End für die Reportage. Die Schuhe! Vergessen Sie enge Skistiefel. Wer sich aus Kletterschuhen schält, weiß, was Fußfreiheit bedeutet. Aber so viel steht fest: Ich werde mich da wieder reinquälen. Dafür ist der Spaß an der Wand einfach zu groß. Ich würde sogar sagen: grenzenlos, auch wenn mir selbige deutlich aufgezeigt wurden. Ob übrigens das Nachlassen des Muskelkaters an Tag drei das Schönste am Klettern ist, will ich nicht behaupten. Aber es tut so gut.
Schnuppertage am kommenden Wochenende, Eröffnung nach Ostern
Südlich des Kronthaler Weihers hat das Alpenkranzl Erding in den vergangenen vier Jahren auf 2500 Quadratmetern ein Vereinsgelände geschaffen, das für seine derzeit 3277 Mitglieder sowohl sportlich als auch gesellschaftlich sehr viele Wünsche erfüllt. Es bietet Platz für Clubtreffen und Vorträge.
Im Februar 2020 wurde dann das Fundament für den Kletterpark gelegt, der eigentlich bereits im vergangenen Herbst hätte eröffnet werden sollen. „Zwischendrin hat Corona aber für erhebliche Bauverzögerungen gesorgt“, erklärt Hans Sterr, Chronist der Anlage. Nach dem Aufstellen der Halle sei alles in Eigenleistung erfolgt. Unter der Leitung des nimmermüden Baukoordinators Wolfgang Lex, der auch den Windfang vor den Kletterwänden gebaut hat, haben die Mitglieder laut Sterr 1250 Stunden ehrenamtlich an der BoulderAirea gearbeitet (für die gesamte Vereinsanlage bisher mehr als 5000 Stunden). Da aber pandemiebedingt zeitweise nur zwei Personen gleichzeitig auf der Baustelle sein durften, habe sich alles etwas verzögert. Dennoch sei der Verein im Kostenrahmen geblieben. Für die Boulderanlage waren 240 000 Euro veranschlagt, „und es sieht laut Schatzmeisterin so aus, als würden wir da ziemlich genau hinkommen“, so Sterr.
Jetzt aber ist die BoulderAirea so weit fertig, dass die Alpenkranzler am kommenden Wochenende zum Schnuppertag einladen können. Am Samstag und Sonntag, 2./3. April, können Interessierte zwischen 12 und 18 Uhr unter fachlicher Betreuung der Alpenkranzl-Trainer Probeklettern. Der Verein hat zudem ein kleines Rahmenprogramm auf die Beine gestellt, Näheres dazu auf der Website, aktiv.alpenverein-erding.de.
Endgültig geöffnet wird die Anlage nach Ostern, wenn die Restarbeiten wie zum Beispiel die Installation der Schließanlage erfolgt sind. Dann wird die eingezäunte Arena für Mitglieder oder Kletterer mit einem kleinen Kletterschein zugelassen sein. Zudem sind Tageskarten, aber auch Jahreskarten geplant, um auch Kletterer, die noch keine Mitglieder sind, an den Verein zu binden.
Und das nächste Projekt steht auch schon an: ein 17 Meter hoher Klettertum, der ebenfalls noch heuer stehen wird. Das 2,50 Meter tiefe Fundament dafür wird im Mai gegossen. pir