„Ganz, ganz selten“: Zwei Freundinnen bewegen sich im Aikido in besonderen Sphären

Lorena Pfaff (14) und Sarah Vavrovec (13) teilen die Leidenschaft fürs Aikido. Die beiden haben eine Leistungsstufe erreicht, die in ihrem Alter außergewöhnlich ist.
Weilheim – „Ichi“, „ni“, „san“, sagt Lorena Pfaff. Und ohne groß überlegen zu müssen, zählt die 14-Jährige weiter auf Japanisch die noch fehlenden Ziffern bis hin zur Zehn. Sarah Vavrovec, die neben ihr sitzt, kommen danach ebenso locker einige Worte über die Lippen, die, wie sie erklärt, auf Japanisch Kommandos darstellen.
Wer im Aikido vorankommen möchte, der muss, wie bei vielen anderen asiatischen Kampfsportarten auch, neben Sportlichkeit auch Interesse für die jeweilige Sprache und die Kultur mitbringen. Die Kommandos in den Prüfungen werden im Aikido ausschließlich auf Japanisch gegeben. Die beiden jungen Frauen haben schon diverse dieser Leistungstests bestanden.
Meistergrade bei Kindern sind sehr selten
Pfaff hat im Januar den ersten Meistergrad (DAN) für Kinder erreicht. Vavrovec trägt den zweiten Braungurt und wird im Juli die Prüfung zum schwarzen Gürtel angehen. „Einen Schwarzgurt bei Kindern sieht man ganz, ganz selten“, sagt Thomas Fabian, Trainer und Funktionär beim TSV Weilheim. Da müsse man schon dabei bleiben, so Fabian. „Es ist keinesfalls alltäglich.“ Im Falle von Pfaff und Vavrovec ist es aber auch das Ergebnis harter Arbeit: „Die beiden haben sehr fleißig trainiert“, sagt Fabian, der selbst den 4. DAN für Erwachsene inne hat.
Deswegen und weil sie durch die Beschränkungen während Corona ausgebremst wurden, gibt es auch eine Ausnahme: Normalerweise müssen Athleten, wenn sie 14 Jahre alt sind, schon den Prüfungskatalog für Erwachsene absolvieren. Bei beiden sind es nur wenige Monate, die zwischen 14. Geburtstag und Prüfung liegen.
Lorena Pfaff und Sarah Vavrovec sind fasziniert vom Aikido
Auf den Urkunden, den die beiden jungen Aikidoka für ihre braunen Gürtel bekommen haben, stehen die Zahlen 43 (Pfaff) und 44 (Vavrovec). In dem Dojo in München, das die Urkunden ausstellt, haben also erst 42 Kinder davor den Braungurt geschafft. Die DAN-Urkunden kommen direkt aus Japan, erklärt Fabian. Da wird dann eine weltweite Nummer eingetragen. Wie hoch sie bei ihr ist, weiß Pfaff noch nicht. Denn bislang hat sie sie noch nicht zugestellt bekommen.
Warten spielt in Sachen „Graduierung“ im Aikido eine nicht unerhebliche Rolle. Denn zwischen den einzelnen Graden (Kyu und DAN genannt) besteht eine Wartezeit. Zwischen dem vierten und dem dritten Kyu beträgt sie ein Jahr. „Man soll das, was man gelernt hat, auch verinnerlichen“, sagt Fabian.
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Im Wartemodus, allerdings unfreiwillig, befindet sich derzeit Sarah Vavrovec: Bei der 13-jährigen Pollingerin brach vor einigen Wochen das Schlüsselbein – bei einer Übung, die zum Ziel hatte, einen Angreifer mit einem Schwert abzuwehren. Zuletzt trug sie den Arm deswegen in einer Schlinge. „Im Rollen bin ich falsch aufgekommen. Ich habe mich zu sehr auf das Schwert konzentriert“, sagt Vavrovec. Es ist ihre erste nennenswerte Verletzung, die sie sich beim Aikido zugezogen hat. Und sie und ihre Freundin betreiben den Kampfsport beim TSV Weilheim nun schon seit rund acht Jahren. Es ist ja nicht zuletzt das Ziel des Trainings, Verletzungen zu vermeiden. „Am Anfang lernt man das richtige Fallen“, erklärt Pfaff.
Aikido ist für alle Altersschichten geeignet
Die beiden haben etwa zur gleichen Zeit das Aikido-Training begonnen. Vavrovec diente Bruder Felix (16) quasi als Vorbild. Der hatte seinerzeit mit Judo begonnen. Sie habe sich dann „beschwert, warum nur er so was machen darf“, erzählt die 13-Jährige schmunzelnd. Auch sie begann schließlich mit Judo (beim damaligen Coach Ingo Barth) und wechselte danach – wie auch der Bruder – zum Aikido. Im Falle von Pfaff war es ein Bekannter der Eltern, der gesagt habe, dass Aikido für sie eine gute Sportdisziplin sein könnte. Im Training lernten sich Vavrovec und Pfaff kennen, mittlerweile verbindet sie eine Freundschaft. Im Gymnasium gehen sie in der achten Jahrgangsstufe auch in dieselbe Klasse – was aber „ein Zufall“ sei, wie beide parallel und schmunzelnd betonen.
Aikido beim TSV Weilheim
Beim TSV Weilheim gibt es eine gemeinsame Sparte Judo/Aikido. Aikido wird im TSV seit über 25 Jahren betrieben. Abteilungsleiter ist Josef Olbrich (4. DAN). Die Aikido-Sparte für sich hat laut Schriftführer Thomas Fabian (4. DAN) derzeit an die 100 Mitglieder, der Großteil davon sind Kinder und Jugendliche. Trainiert wird im Dojo im Vereinszentrum an der Pollinger Straße, und zwar jeden Montag und Freitag.
Zwischen 17 und 21.30 Uhr sind Kinder (ab fünf Jahre), Jugendliche und Erwachsene gestaffelt in Aktion. Das Training leiten Josef Olbrich, Thomas Fabian, Dominik Juckel und Moritz Fabian. Weitere Infos gibt es online unter www.tsv-weilheim.com/aikido/. Beim TSV wird die Stil-Richtung Yoshinkan gelehrt und praktiziert. Dabei wird zunächst vor allem auf die saubere Ausführung der Techniken, weniger auf Tempo geachtet. Regelmäßig finden beim TSV Weilheim Gürtelprüfungen und Lehrgänge statt.
Aikido übt auf sie eine Faszination aus, das wird im Gespräch deutlich. „Es hat nicht viel mit Kraft zu tun. Man nutzt den Schwung des Gegners“, sagt Vavrovec. Sie selbst hatte mal eine Durststrecke, das Training etwas schleifen lassen, aber doch wieder zurückgefunden. „Desto weiter man kommt, umso mehr Spaß hat man.“ Das Entdecken und Neu-Lernen „hört nie auf“, sagt Pfaff. Ihr gefällt der Aspekt, dass das eigene Körpergewicht nur eine untergeordnete Rolle spielt. Aikido ist rein zur Abwehr konzipiert, daher gibt es keine Wettkämpfe. „Wir messen uns nicht mit anderen, wir verteidigen uns nur“, erläutert Pfaff.
Aikido ist Kampfsport rein zur Gegnerabwehr
Das Fehlen von Wettkämpfen ist ein Grund, warum Aikido als Sport in der TV-Berichterstattung praktisch nicht vorkommt. Der Ansatz der Disziplin „ist völlig konträr zu anderen Sportarten“, sagt Fabian. Man kämpfe nicht gegen jemand anderen, sondern gegen sich selbst und darum, sich zu verbessern. Der überregionale und sogar transnationale Austausch findet über Lehrgänge in ganz Bayern statt. Die Teilnahme daran ist ein größerer Kostenfaktor. Ansonsten ist der Sport relativ günstig. Ein Anzug, Dōgi genannt, ist um die 40 Euro zu haben. Träger von Meistergraden tragen zudem schwarze Hosenröcke, die Hakama heißen.
Aikido weltweit
Aikido ist eine moderne, betont defensive Kampfkunst, die Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Japaner Morihei Ueshiba (1883 bis 1969) entwickelt wurde. Ziel des Aikidos ist es, einem Angriff so zu begegnen, dass man die Angriffskraft abwehrt und es dem Gegner unmöglich macht, seinen Angriff fortzuführen. Dies geschieht durch Wurf- und Haltetechniken. Die aggressive Kraft des Angreifers wird mit kreisrunden und spiralförmigen Bewegungen umgelenkt. Erstmals in Europa wurde Aikido 1951 in Frankreich vorgestellt.
Über die Jahre haben sich verschiedene Stilrichtungen (Yoshinkan, Iwama-Ryu, Ki-Aikido, Tendoryu etc.) entwickelt. Es gibt keinen weltweit umfassenden Verband (allein in Deutschland gibt es mehrere Organisationen) und auch das Graduierungssystem ist unterschiedlich geregelt. Die Gürtel (von weiß über gelb, orange, grün, blau bis braun) werden Kyu (von 10 bis 1) genannt. Die Meistergrade (von 1 bis 10) heißen DAN.
Thomas Fabian (56) hat eigenem Bekunden nach mit Aikido „relativ spät angefangen“. Seit rund drei Jahrzehnten betreibt er die Disziplin. Zu Beginn war da bei ihm der Selbstverteidigungsgedanke, doch mit der Zeit „rutscht das alles in den Hintergrund“. Für ihn bildet der Sport vor allem die Möglichkeit, fit und gelenkig zu bleiben. „Man kann es bis ins hohe Alter betreiben und trainiert nicht nur ein Körperteil.“ Im TSV Weilheim sind auch Über-60-Jährige noch aktiv. Darüber hinaus mache es Spaß, „Techniken zusammen mit anderen zu üben und zu praktizieren“.
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Ins Training der Jüngeren und Jüngsten sind neben den insgesamt vier erwachsenen Schwarzgurtträgern beim TSV Weilheim auch die Jugendlichen eingebunden, die bereits entsprechendes Wissen haben. Pfaff und Vavrovec gehören schon zu denjenigen. Beide Jugendliche wollen auch zu der Gruppe des TSV Weilheim (und befreundeter Dojos) gehören, die Ende des Jahres einen Trip nach Japan unternimmt. Dort sind Trainingseinheiten im „Honbu Dojo“, sozusagen das Aikido-Hauptquartier, geplant. Die Aussicht auf den besonderen Trip nach Fernost sei „ein zusätzlicher Motivationsschub“, sagen Pfaff und Vavrovec gleichlautend.