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Als sich Christian Neureuther in Rosi Mittermaier verliebte: „Zwei Zöpfe und zwei Grübchen“

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Von: Günter Klein

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Rosi Mittermaier ist tot. Deutschland trauert um die Ski-Legende, du zu ihren Lebzeiten so viele Menschen verzauberte.

Garmisch-Partenkirchen – Es gibt grobkörnige Filmaufnahmen, ein paar Sekunden lang nur und aus einer Zeit, in der Rosi Mittermaier noch nicht bekannt war. Dieser Super-8-Schnipsel aus den 60er-Jahren erzählt alles über sie.

Es ist Frühling, der offizielle Skibetrieb eingestellt, doch auf den Bergen rund um die Winklmoosalm liegt noch Schnee, an manchen Stellen verwandelt er sich unter der Einstrahlung der Sonne in kleine Rinnsale. Und dann kommt die Rosi ins Bild, ein unbeschwertes Mädchen, das das Glück des Tages nutzt und Ski fährt. Sie trägt keinen Anorak oder Pulli, sondern ein Bikini-Oberteil. Sie wird eins mit dem Gelände, mit der Natur, sie wedelt von Schneehaufen zu Schneehaufen, springt über die Pfützen, landet sicher, lacht, und weiter geht die Abfahrt. Ganz bei sich, eins mit der Natur, unkompliziert, optimistisch. Eine, die sich nie verstellt.

Rosi Mittermeier war eine, die sich nie verstellt

Ein Bild von einem Menschen, das sich oft bestätigen sollte, als sie eine berühmte Sportlerin war, eine deutsche Legende. Ein Bild, das alle noch einmal abriefen, als am Donnerstag, den 5. Januar 2023, die schockierende Nachricht die Runde machte: Rosi Mittermaier-Neureuther war am Abend zuvor im Alter von 72 Jahren gestorben. Sie hatte Krebs, seit August wusste sie es. Sie ging im Kreis ihrer Familie.

In den Nachrufen in den Nachrichtensendungen steht Rosi an einem Bergsee, hält ihr Smartphone in den Händen und nennt es das „Kastl“, das sie eigentlich gar nicht brauche, denn viel gewinnbringender sei es doch, sich nicht mit virtuellen Welten zu beschäftigen, sondern mit realen, „und in dieser Zeit eine Blume anzuschauen“.

Kurz vor ihrem 70. Geburtstag: Rosi Mittermaier strahlte wie immer. Ziemlich genau zwei Jahre später erfuhr sie von ihrer Krebserkrankung. Sie machte das aber nicht öffentlich.
Kurz vor ihrem 70. Geburtstag: Rosi Mittermaier strahlte wie immer. Ziemlich genau zwei Jahre später erfuhr sie von ihrer Krebserkrankung. Sie machte das aber nicht öffentlich. © Angelika Warmuth/dpa

Rosi Mittermaier machte ihre Krebserkrankung nicht öffentlich

Die berühmtesten und bleibendsten Bilder lieferte Rosi Mittermaier im Februar 1976. Die Frauen-Skirennen der Olympischen Winterspiele von Innsbruck wurden auf der Axamer Lizum ausgetragen. Die Menschen trugen sie auf Schultern aus dem Zielraum, viele deutsche Fans waren über die Grenze aus Bayern gekommen, in einer Dreiviertelstunde war man oben auf 1600 Metern in den Innsbrucker Hausbergen.

Eine Blaskapelle schmetterte, die Leute drückten sich an die Zäune und sangen: „Rosi, Rosi, noch einmal, es war so wunderschön.“ Das Lied gab es danach sogar auf Platte.

Olympia macht Rosi zur Gold-Rosi

Eigentlich waren diese Olympischen Spiele ans amerikanische Denver vergeben worden, das aber drei Jahre zuvor von den steigenden Kosten erschlagen wurde. Innsbruck, schon 1964 Gastgeber, sprang ein. Die Spiele kamen Deutschland ganz nah. Rosi Mittermaier, 25 damals, erlebte die beste Saison ihrer Karriere, fuhr in der Gesamtweltcupwertung vorne mit.

Doch was sie in Axams ablieferte, übertraf alle Erwartungen. Sie startete mit dem Sieg in der Abfahrt, eine Überraschung, weil sie im Weltcup als gute Technikerin bekannt war, aber noch nie ein Speed-Rennen gewonnen hatte. Es folgte die zweite Goldmedaille, im Slalom, das war ihr Ding. Doch auch dieser Triumph war keine Selbstverständlichkeit, denn mit Pamela Behr aus Sonthofen, die nach dem ersten Durchgang führte, und der Berchtesgadenerin Christa Zechmeister gab es starke interne Konkurrenz neben der internationalen.

Die Winklmoosalm: Hier wuchs Rosi Mittermaier auf.
Die Winklmoosalm: Hier wuchs Rosi Mittermaier auf. © Oliver Bodmer

Rosi Mittermaier: Deutsche Ski-Heldin bei den Olympischen Spielen 1976

Den möglichen dritten Olympiasieg im Riesenslalom verfehlte Mittermaier um zwölf Hundertstelsekunden. Vielleicht war ihr „Pech“, dass dieser Wettbewerb 1976 noch in nur einem Lauf ausgetragen wurde. In einem zweiten hätte sie die Kanadierin Kathy Kreiner, 19, vielleicht noch abfangen können. Aber was soll‘s? Rosi Mittermaier strahlte nicht weniger. „Aufs Gewinnen kam es mir gar nicht so sehr an“, sagte sie viele Jahre später, „ich wollte vor allem Freunde haben.“

Sie konnte gönnen – und freute sich für die junge Mitbewerberin. Zwei Goldene und einmal Silber (und mehr als die drei klassischen Disziplinen waren noch nicht im olympischen Alpin-Programm) – das stach heraus, das hatte es in der deutschen Geschichte der Winterspiele noch nicht gegeben. Und überhaupt war die Bundesrepublik vor fast 50 Jahren kein Land, das an den Berghängen, in den Loipen und Eisrinnen die Medaillen nur so abgeräumt hätte. Die Skifahrerin aus Reit im Winkl war die einzige deutsche Olympiasiegerin 1976, und neben ihren drei Medaillen gab es nur sieben weitere für das gesamte Team. Vor allem die Sowjetunion (13 Mal Gold) und die DDR (7) beherrschten die Szenerie – doch niemand hatte eine Sportlerin mit dieser unverfälschten Ausstrahlung, den markanten Lachgrübchen.

Als sich Christian Neureuther in Rosi Mittermaier verliebte: „Zwei Zöpfe und zwei Grübchen“

Deutschland war kollektiv und schwer verknallt in Rosi Mittermaier. Es ahnte aber schon, dass Rosis Herz längst vergeben war. An Christian Neureuther, den Slalomfahrer, der ein paar Mal im Weltcup gewann, bei den Großereignissen immer Nerven zeigte, aber halt auch einer war, der mit Heiterkeit und einer positiven Aura durchs Leben ging.

Christian erzählte später Kollegen bei der ARD, für die er lange als Experte arbeitete, wie schwer ihn schon der erste Anblick von Rosi – sie 15, er 16 – erwischt hatte: „Das Gesicht eingerahmt von zwei Zöpfen und zwei Grübchen.“ Da hatte er gewusst: Die ist es und keine andere. In den frühen 70er-Jahren fuhren sie sogar in einem Team Ski – immer am 1. Mai, wenn in Hochfügen im Zillertal der Winter mit einem speziellen Rennen ausgetrieben wurde: Zwei Männer und eine Frau mussten, verbunden durch ein 25 Meter langes Seil, einen Riesenslalom absolvieren. „Da gab es brutalere Stürze als bei der Abfahrt in Kitzbühel auf der Streif“, erinnerte sich Neureuther an die Skitage in Hochfügen, wo er einige Male mit Rosi in der Siegerliste stand.

Eine glückliche Ehe: Christian und Rosi auf Hochzeitsreise in der Karibik.
Eine glückliche Ehe: Christian und Rosi auf Hochzeitsreise in der Karibik. © imago sportfotodienst

Christian Neureuther und Rosi Mittermaier heirateten 1980: Ameli und Felix komplettierten das Glück

1980 heirateten sie, es kamen die Kinder Ameli und Felix. Wenn man nach der Definition suchte, was eine Musterehe ist und wie sich eine nicht nachlassende, lebenslange Liebe gestaltet, konnte man auf Mittermaier und Neureuther verweisen.

Nach dem Erfolg von 1976 war klar, dass Rosi Mittermaier nicht weiter Skirennfahrerin bleiben könnte. Auch das war die Zeit: Geprägt von einem strengen Amateurstatus, der es den Besten des Sports unmöglich machte, mit ihrem Können Geld zu verdienen. Die Größten ihres Fachs waren quasi gezwungen abzutreten.

Rosi Mittermaier: Ein Weltstar wollte sie nie sein

Rosi Mittermaier hätte ihr bisheriges Sportlerleben ohnehin nicht mehr so weiterführen können, wie sie es gewohnt war: Reit im Winkl und die von den Mittermaiers betriebene Alm wurden überrannt wie in der deutschen Sportgeschichte Jahrzehnte später Wallgau nach den Biathlon-Erfolgen von Magdalena Neuner, der zweiten bayerischen Sportkönigin.

Rosi berichtete, „dass die Leute mit den Autos bis ans Haus gefahren sind, dass da gar kein Gras mehr wuchs“ und „dass die Wäsche von der Leine genommen wurde als Souvenir“. Auch sprachen zahlreiche Geschäftsleute vor, „die mein Manager sein wollten“. Unterschrieben hat Rosi Mittermaier dann bei Mark McCormack, einem großen amerikanischen Vermarkter.

Felix Neureuther wusste lange nicht, dass seine Mutter ein Skistar war

Eine Weltgröße zu werden, darauf hatte sie aber gar keine Lust. Sie zog um von der Winklmoosalm nach Garmisch-Partenkirchen, zum Christian, das war’s dann auch schon. Das Ehepaar war durchaus geschäftstüchtig – so kaufte es etwa die Skifirma Erbacher, gründete eine Skischule, betrieb das obligatorische Sportgeschäft, ließ sich für die BR-Skigymnastik engagieren, wurde zum Treiber einer werbefinanzierten Nordic-Walking-Kampagne, schwärmte in der RTL-Chart-Show von vergangenen Hits.

Doch Rosi lebte auch das Muttersein. Felix, der selbst zum Skistar wurde, schilderte stets die Gluckenhaftigkeit von Rosi, die ihm übrigens lange gar nicht erzählt hatte, was für eine Sportlerin sie mal gewesen war. Er hörte das alles bei Nachwuchsrennen von seinen Konkurrenten – die ihn „Rosi“ nannten.

Rosi. Der Name genügt, und schon sind die Bilder da. Das Mädchen im Schnee, die Grübchen, der junge Star, der gefeiert wird, die reife Frau, die zufrieden war mit dem, was das Leben ihr gab und ihr Glück gerne teilte. Und als vor einigen Monaten das Glück ging, wollte sie niemandem eine Last sein. Sie starb nicht öffentlich, sondern still. (gük)

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