Schon wieder die Flüchtlingskrise im Tatort? Ja, unbedingt!

Köln - Nicht schon wieder die Flüchtlingskrise als Thema im Tatort heute - das könnte man sagen, denn im neuen Fall aus Köln dreht sich alles darum. Doch die „Wacht am Rhein“ muss derzeit sein.
Irgendetwas passiert gleich. Es ist Nacht in Köln, die Stimmung ist aufgeheizt. Männer und Frauen in zivil sind auf der Straße unterwegs, observieren eine Zoohandlung, reden miteinander über Walkie-Talkies, koordinieren einen Einsatz. Ein Mann spricht eine ältere Dame an, die an einer Ecke steht, sagt ihr, sie solle nach Hause gehen. „Mir tut keiner was“, sagt die ältere Dame. „Die Zeiten haben sich geändert“, entgegnet der Mann. Ist die Polizei bei einem verdeckten Einsatz unterwegs? Dieser Eindruck entsteht - und deswegen verwundert es auch, als eine der observierenden Frauen plötzlich fragt: „Sollen wir die Polizei verständigen?“
Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Ein paar Männer stürmen in die Zoohandlung, das Licht geht aus und plötzlich fällt ein Schuss. Der Sohn des Inhabers ist sofort tot. Als Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) am Tatort eintreffen, ist klar: Es war eine Bürgerwehr, die „Wacht am Rhein“, die die Observation durchgeführt hat. Solche Bürgerwehren wurden vermehrt nach der Silvesternacht 2015 in Köln gegründet, sagt Schenk. Die Menschen aus dem „Veedel“, wie in Köln ein Viertel genannt wird, fühlen sich nicht mehr sicher und wollen deswegen selbst etwas für ihre Sicherheit tun. Die Polizei, finden sie, schafft das nicht mehr.
Dann beginnt die Tätersuche: Wer hat den Sohn des Zoogeschäft-Inhabers erschossen? Mehrere Menschen kommen dafür in Frage, doch tatverdächtig ist ziemlich schnell ein Nordafrikaner, der einen schwarzen Kapuzenpulli trug.
Lohnt es sich, den neuen Tatort „Wacht am Rhein“ aus Köln zu schauen?
Tatort heute aus Köln: „Schon wieder“ die Flüchtlingskrise?
Der Tatort am vergangenen Sonntag aus Frankfurt trug den Titel „Land in dieser Zeit“. Dieser Titel würde auch auf den Kölner Tatort passen, denn auch dieser Film zeigt, wie unser Land in dieser Zeit für viele Menschen aussieht. Die Flüchtlingskrise ist abermals Thema - trotzdem oder gerade deswegen ist der Krimi absolut sehenswert. Denn der neue Fall von Ballauf und Schenk schafft es, nicht anzuklagen, was ein Grund dafür ist, einzuschalten. Es gibt nicht nur eine Wahrheit.
Irgendwie hat jeder Recht: Der Mann, der sich zum Anführer der Bürgerwehr aufspielt, der angeklagte Nordafrikaner, der fließend Deutsch spricht, die junge Mutter, die sich in der Bürgerwehr engagiert und ihre Kinder vernachlässigt, der marokkanische Lebensmittelladenbesitzer, der sich von den neuen Flüchtlingen aus seinem eigenen Land bedroht fühlt und sich seinen hart erarbeiteten Status im „Veedel“ nicht kaputt machen will. Was ist richtig? Was ist falsch? Die Grenzen sind unscharf.

Auch die Kommissare wissen das nicht mehr so genau. Bürgerwehr? Gute Idee, findet Freddy Schenk zunächst, denn die Polizei ist chronisch unterbesetzt. Als Max Ballauf irgendwann mit einem Döner ins Auto einsteigt, schimpft Schenk wild herum. Ballauf entgegnet: „Soll ich mir lieber eine deutsche Bratwurst kaufen?“ Die Stimmung ist auch unter den Kollegen aufgeheizt. Immer wieder sind riesengroße Plakate zu sehen, die am Kölner Polizeipräsidium hängen. „Wir leben Integration“, ist darauf zu lesen. Doch wie lebt man eigentlich Integration?
Es ist am Sonntag also „schon wieder“ ein Tatort, der sich mit der Flüchtlingskrise beschäftigt. Könnte man sagen. Man könnte aber auch sagen: Vermutlich braucht unser Land gerade jetzt solche Filme. Damit wir nicht vergessen, was vielerorts los ist - so oder so ähnlich. Für viele Menschen in unserem Land ist nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen. Warum also sollte der Krimi am Sonntagabend etwas anderes zeigen? Das Format „Tatort“ hat immer schon aktuelle Probleme aufgegriffen. War realitätsnah. Das schafft auch die „Wacht am Rhein“.
Tatort heute aus Köln: Die Kommissare sind stark
Die Kommissare Ballauf und Schenk sind ein weiterer Grund dafür, am Sonntag einzuschalten. Dass die beiden Beamten auch nicht unfehlbar sind und ebenso wenig wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen, wird einprägsam dargestellt. Am stärksten ist eine Szene in der Zoohandlung, in der die beiden Polizisten den Mord rekonstruieren - und keinen Satz dabei sprechen.

Die Auflösung des Falls liegt zunächst im Dunkeln, ist aber gegen Ende fast schon ein bisschen zu vorhersehbar. Da hätten sich die Tatort-Macher ruhig mehr trauen können. Auch die Parallelhandlung um den marokkanischen Lebensmittelladenbesitzer und die Mutter aus der Bürgerwehr wäre nicht unbedingt nötig gewesen. Dennoch passt die Gesamtstimmung aus Köln. Die Gaukler aus Münster wären für einen solchen Flüchtlingstatort vermutlich zu klamaukig gewesen.
In der „Wacht am Rhein“ ist übrigens Klaus Doldinger als Straßenmusiker zu sehen - Doldinger ist der Komponist der Tatort-Titelmelodie und tritt nun zum ersten Mal selbst in einem Fall auf.
Tatort heute aus Köln am Sonntag in der ARD
„Wacht am Rhein“ läuft am Sonntag, 15. Januar, um 20.15 Uhr in der ARD und ist danach 30 Tage in der Mediathek verfügbar.
TV-Kritiken zu früheren Tatort- und Polizeiruf-110-Fälle
„Sturm“ (Tatort aus Dortmund), „Fangschuss“ (Tatort aus Münster), „Borowski und das dunkle Netz“ (Tatort aus Kiel), „Nachtsicht“ (Tatort aus Bremen), „Tanzmariechen“ (Tatort aus Köln), „Der scheidende Schupo“ (Tatort aus Weimar), „Land in dieser Zeit“ (Frankfurt-Tatort), „Klingelingeling“ (München-Tatort), „Dunkelfeld“ (Berlin-Tatort), „Sumpfgebiete“ (Polizeiruf München), „Es lebe der Tod“ (Wiesbaden-Tatort), „Taxi nach Leipzig“ (Jubiläumstatort, die 1000. Tatort-Folge), „Borowski und das verlorene Mädchen“ (Kiel-Tatort), „Echolot“ (Bremen-Tatort), „Die Wahrheit“ (München-Tatort), „Zahltag“ (Dortmund-Tatort), „Der König der Gosse“ (Dresden-Tatort), „Feierstunde“ (Tatort Münster mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl), „Wölfe“ (Polizeiruf mit Matthias Brandt), „Und vergib uns unsere Schuld“ (Polizeiruf mit Matthias Brandt), „Wir - Ihr - Sie“ (Berlin-Tatort), „Das Recht, sich zu sorgen“ (Franken-Tatort), „Fünf Minuten Himmel“ (Freiburg-Tatort), „Mia san jetz da wo's weh tut“ (Jubiläumsfall München-Tatort), „Ein Fuß kommt selten allein“ (Münster-Tatort), „Die Geschichte vom bösen Friedrich“ (Frankfurt-Tatort).
pak