Der erfolgreiche Münster-Tatort bekommt heute ein Problem

Münster - Der neue Münster-Tatort wird heute vermutlich wieder fantastische Quoten holen. Allerdings zu Unrecht - der Fall ist schwach, so wie auch die vergangenen Geschichten. Eine Analyse des Tatortes aus Münster.
Das Erste zeigt am Sonntag (8. Mai, 20.15 Uhr) einen neuen Tatort aus Münster. Der alberne Titel heißt "Ein Fuß kommt selten allein". Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Gerichtsmediziner Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) werden in ihrem 29. Fall zu einer grausigen Entdeckung im Wald gerufen. Die Leiche war eine Tänzerin. Alles, was an dieser Geschichte ansatzweise spannend sein könnte, fegen Thiel und Boerne rücksichtslos vom Tanzparkett. Wenn die Münsteraner nicht aufpassen, könnte ihr Tatort bald den Fernsehtod sterben. Lange werden sich die Zuschauer das nicht mehr ansehen. Es gibt vier Gründe, warum der Münster-Tatort ein Problem bekommt.
Grund 1: Wir wollen uns endlich wieder gruseln.
Nimm' es uns nicht übel, Münster, aber deine Fälle langweilen uns. Abgelenkt klappern wie die einzelnen Apps auf unserem Smartphone ab, gehen mal kurz raus in die Küche. Passiert ja nicht viel. Was ist so schwer daran, ein Drehbuch zu schreiben, dem wir 90 Minuten lang unsere Aufmerksamkeit schenken?
Wir wollen uns in deinem Tatort endlich wieder gruseln.
Wir wollen das gleiche mulmige Gefühl spüren, das sich etwa bei den beiden Kiel-Fällen "Borowski und der stille Gast" und "Die Rückkehr des stillen Gastes" in uns breitgemacht hat. Es war Angst, die in uns hochkroch. Angst vor dem psychopathischen, voyeuristischen Postboten Kai Korthals, den der fantastische Lars Eidinger gespielt hat. Dieser Korthals, mit dem es Kommissar Borowski (Axel Milberg) zu tun hatte, schlich sich unbemerkt in das Leben seiner Opfer ein. Der gespenstische Satz eines Opfers "Er kommt überall rein. Er kommt durch die Wand" hat uns erschaudern lassen.
Wir wollen keinen vorhersehbaren Tatort sehen. Wir wollen mit den Kommissaren und den Menschen, die sie beschützen wollen, bangen, dass alles gut geht. Wir wollen in dem Krimi einem Täter begegnen, vor dem wir uns fürchten.
Doch die Münsteraner bringen uns nur noch zum Lachen. Das ist nicht lustig, sondern traurig.
Grund 2: Tatort Münster macht sich nur noch lächerlich
Es war einst das Markenzeichen des Münster-Tatortes: der Klamauk,

die Wortspiele, die politisch völlig inkorrekten Witze. Das tat dem ARD-Krimi-Format gut, denn einige der Filme waren über die Jahre etwas eingestaubt - Münster wirkte wie ein Frühjahrsgroßputz. Der Tatort bleibt sich auch im neuen Fall treu, witzelt immer noch herum: So steht zum Beispiel Alberich (Christine Urspruch) mit Thiel im Wald, hält einen Totenkopf mit gesprengter Schädeldecke in der Hand - und beide lachen sich über irgendetwas halb tot.
Später tanzt Alberich mit Boerne Kriminal-Tango und sagt keck: "Halt die Klappe und schau mir in die Augen, Kleiner." Klar, das ist lustig - aber zu offensichtlich lustig. Denn mittlerweile haben sich auch andere Tatort-Städte mit ihrer ganz eigenen Interpretation von Humor etabliert. Weimar etwa lebt von den gepfefferten Sprüchen zwischen Dorn und Lessing, Dresden ist gerade wegen der schlagfertigen Antworten der Ermittlerfrauen im Zusammenspiel mit ihrem biederen Chef grandios. Der Tatort Münster macht sich leider im Moment nur lächerlich.
Grund 3: Der Fall "Ein Fuß kommt selten allein" ist zu dünn erzählt
"Ein Fuß kommt selten allein" spielt in der harten Welt des Turniertanzes. Klar, dass da auch Boerne aufs Parkett muss - so weit, so vorhersehbar ist der Tatort aus Münster mittlerweile. Die Tänzer aus der Formation, um die sich der Plot dreht, bleiben allerdings seltsam distanziert, obwohl sich der Film auf Jonas Körner (Gordon Kämmerer) und Marie Ade (Mersiha Husagic) konzentriert. Beide hatten etwas mit der toten Elmira zu tun, aber glaubhaft und überzeugend ist das nicht, Sympathien sucht man vergebens. Nicht einmal die blutig getanzten und geschundenen Füße schaffen das.
Das ist wirklich schade, denn: Der Tatort dreht sich endlich mal wieder um einen "normalen" Kriminalfall. Soll heißen: Es geht nicht schon wieder um die Flüchtlingskrise - wie neulich in Stuttgart oder vergangene Woche in Köln. Da überzeugte eine Kongolesin weitaus mehr, die fast nichts sagte, hauptsächlich weinte und sich immer wieder die Bilder ihrer beiden Töchter ansah.
Auch der Moment, als der Täter entlarvt wird, ist im Tatort aus Münster platt. Was unglaublich schade ist, denn zum großen Showdown werden alle Beteiligten im gleichen Raum versammelt und Boerne nagelt den Täter sprichwörtlich fest - wie das einst Agatha Christie in allerbester Krimi-Manier tat. Doch das alleine reicht dem Münster-Tatort nicht mehr.
Grund 4: Boerne und Thiel sind uns als Argument, einen Münster-Tatort zu schauen, zu wenig
Die Dialoge von Kommissar Thiel und Professor Boerne sind der Grund, warum sich Münster zum beliebtesten Tatort entwickelt hat. Seit 2002 spielen Axel Prahl und Jan Josef Liefers zusammen und haben sich in ihren Rollen selten etwas Freundliches zu sagen. Sie sind genervt voneinander, aber es hilft ja nichts. Sie müssen Fälle aufklären.
Dass sie sich ständig herunterbuttern, nervt aber inzwischen uns Zuschauer. Hier aus München wollen wir den Männern in Münster zurufen: Reißt's eich zam! Konzentriert euch auf euren Job und lasst Privates zu Hause.
Dass in jedem Fall das Privatleben der Hauptdarsteller eingebaut wird - egal wie zurechtgebogen und konstruiert die Verknüpfung erscheint - strengt an. Und ständig kommt Thiels schrulliger "Vadder" zugedröhnt im Taxi um die Ecke gefahren, mit irgendeinem brauchbaren Hinweis für den Sohn. Diese Zufälle immer!
Auch wenn es hart klingt: Thiel und Boerne sind uns als Argument, einen neuen Fall zu schauen, zu wenig.
Tatort aus Münster: Das Fazit
Der Tatort aus Münster muss wieder bessere Geschichten erzählen. Denn mit Sherlock Holmes in der gleichnamigen Serie oder den Detektiven aus der BBC-Produktion "Broadchurch" ermitteln derzeit so viele Meisterdetektive in so vielen grandiosen Fällen, dass sich die Tatort-Macher mehr einfallen lassen müssen. Viel mehr. Selbst die uralten Akte-X-Folgen, die teilweise schon vor 20 Jahren ausgestrahlt wurden, sind weitaus besser.
Thiel und Boerne könnten schnell von anderen Ermittlern überholt werden - und das wäre wirklich schade. Denn Münster konnte sich schon einmal vom Wust der Tatort-Kommissare abheben. Gerade in Zeiten, in denen neue Ermittler wie die Fliegenpilze aus dem Boden schießen, die Vadder Thiel im neuen Tatort verspeist (kleiner Spoiler), sollten sie deswegen nicht ebenso einstauben und vorhersehbar werden, wie die Tatort-Reihe das schon einmal war.
Tatort am Sonntag aus Münster: "Ein Fuß kommt selten allein" im TV und Internet
Der Münster-Tatort läuft am Sonntag (8. Mai) um 20.15 Uhr in der ARD. Der Tatort mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers ist danach 30 Tage in der Das-Erste-Mediathek abrufbar.
Lesen Sie hier die letzten Tatort-Folgen nach: "Der scheidende Schupo" (Tatort aus Weimar), "Schock" (Tatort aus Wien), "Wacht am Rhein" (Köln-Tatort), "Land in dieser Zeit" (Frankfurt-Tatort), "Klingelingeling" (München-Tatort), "Wendehammer" (Frankfurt-Tatort), "Sumpfgebiete" (Polizeiruf aus München), "Taxi nach Leipzig" das 1000. Tatort-Jubiläum, "Borowski und das verlorene Mädchen" aus Kiel, "Echolot" aus Bremen, "Feierstunde" aus Münster, "Wir - Ihr - Sie" aus Berlin, "Das Recht, sich zu sorgen" aus Franken, "Fünf Minuten Himmel" aus Freiburg, "Mia san jetz da wo's weh tut" aus München und "Die Geschichte vom bösen Friedrich" aus Frankfurt.
pak/sah