„Train your Baby like a Dog“: Das dressierte Kind

Kindererziehung wie im Hundetraining? Darum geht es in „Train your Baby like a Dog“. RTL hat die Pilotfolge des neuen Formats ausgestrahlt. Die Empörung ist groß.
- RTL hat die Pilotfolge des neuen Formats „Train your Baby like a Dog“ ausgestrahlt.
- In der Sendung hilft Hundetrainerin Aurea Verebes verzweifelten Eltern bei Erziehungsfragen - mit Techniken aus dem Hundetraining.
- Pädagogen und Hundetrainer protestieren gegen „Train your Baby like a Dog“.
Wie viel Tier steckt in uns Menschen? „Unser Säugetiergehirn funktioniert immer gleich“, sagt Aurea Verebes. Die 38-Jährige, die in der Nähe von Stuttgart lebt, ist Hundetrainerin, Mutter von drei Kindern – und das Gesicht des neuen Dokuformats „Train your Baby like a Dog“, dessen Pilotfolge RTL am Sonntagabend ausstrahlte.
„Train your Baby like a Dog“ arbeitet mit „positiver Verstärkung“
Die Idee der Sendung ist so simpel wie bizarr: Verebes trainiert Kinder, wie sie es mit Vierbeinern macht – durch „positive Verstärkung“. Im Hundetraining wird mithilfe eines Clickers das Tier dazu gebracht, gewünschtes Verhalten zu zeigen. Das Klickgeräusch ist das Versprechen auf Belohnung, zum Beispiel ein Leckerli. So lernt der Vierbeiner, das zu tun, was Herrchen oder Frauchen erwarten. Ziel ist es, statt unerwünschtes Verhalten zu bestrafen das erwünschte zu verstärken.
Diese Methode wendet Aurea Verebes auch bei Kindern an, sie hat etwa ihren Sohn durch Clickertraining beim Vokabellernen unterstützt. Für RTL besucht die Hundetrainerin unter anderem Pia und ihre Familie in Chemnitz. Die Zweijährige hat eine große Abneigung gegen das Zähneputzen, vor allem aber gegen das Schlafen im eigenen Bett. Ihre Eltern Kristin und Sascha sind verzweifelt, weil sie schon lange keinen Abend zu zweit mehr hatten.
Aurea Verebes plant ein „Deckentraining“ für die zweijährige Pia
Auf Verebes’ „Trainingsplan“ für Pia steht „Deckentraining“. Auch das hat sie aus ihrer Arbeit mit Vierbeinern – wie die Tiere soll das Mädchen die Decke „positiv“ verknüpfen. Dafür wird jeder Kontakt mit dem Stoffstück geklickt und belohnt. Beim Hund etwa mit Leckerlis; Pia dagegen mag Apfelstücke lieber. „Beim Kind ist es so: Wenn ich eine gute Belohnungsliste habe, geht es mindestens genauso schnell wie beim Hund“, erläutert die Tiertrainerin. Mithilfe der Decke soll Pia später entspannt in ihrem Bett einschlafen.
Auch beim zweiten Fall, den RTL vorstellt, arbeitet die Hundefrau mit „positiver Verstärkung“. Ayla aus Berlin ist vier und „bringt die ganze Familie an ihre Grenzen“, wie es heißt: „Sie hört nicht, bockt rum.“ Ein Verhalten, das Verebes kennt – „du hast fast analog die gleiche Körpersprache wie beim Hund“. Sie übt daher mit der Mutter ein „Umorientierungssignal“ ein, um eine „kurze, echte Begegnung“ mit der Tochter zu ermöglichen, „gefolgt von einer Belohnung“. Im Hundetraining nutzt man dieses Wort- oder Geräuschsignal, damit sich das Tier von Umweltreizen weg und zum Halter hin orientiert.
Ein Kinder- und Jugendpsychotherapeut begleitet „Train your Baby like a Dog“
Um bei Ayla Aufmerksamkeit zu erzeugen, sagt ihre Mutter also „Teddybär“, klickt und belohnt das Kind, wenn es ihr in die Augen schaut. So hofft die Hundetrainerin, die „Eskalationsleiter“ zu unterbrechen, die es bei Vierbeinern ebenso gebe wie bei Zweibeinern. Das sei „nichts anderes als ein Gesellschaftsspiel“, erläutert der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Niko Hüllemann, der die Sendung begleitet.
„Meine Kinder sind doch keine Hunde“, sagt Aylas Mutter Stefanie an einer Stelle des knapp 60 Minuten langen Formats. Und tatsächlich gab es schon vor der Ausstrahlung massive Proteste – von Pädagogen wie von Hundetrainern. Bis Montagnachmittag haben mehr als 27 000 Menschen im Internet eine Petition gegen „Train your Baby like a Dog“ unterzeichnet. Die Pädagogin Katharina Saalfrank, von 2004 bis 2011 für RTL als „Supernanny“ unterwegs, ist schockiert von der Produktion. Bei Facebook schreibt sie am Tag vor der Ausstrahlung: „Es scheint somit, als seien wir um Jahrzehnte und damit wieder mindestens ins Jahr 2004 zurückgefallen – denn das, was hier gezeigt werden soll, ist schwarze Pädagogik.“
RTL: Es geht um das „Wohl des Kindes“
Online stellt RTL klar, dass Verebes mit „ihrer tiergestützten Methode“ helfen wolle, „einen Weg aus der Negativ-Spirale zu finden, hin zu positiver Verstärkung, dem bewussten Wahrnehmen der tiefen Bedürfnisse des Kindes und dem Markieren des positiven Verhaltens“. Schließlich gehe es „um das Wohl des Kindes“. Offen bleibt indes, warum nicht ein für solche Fälle ausgebildeter Kinderpsychologe den Familien hilft, sondern eine Hundetrainerin.
Viele Pädagogen und Hundetrainer sind entsetzt über das RTL-Format
Auch Kiran Deuretzbacher ist erschüttert über das Format des Kölner Privatsenders. „Für unsere Kinder wünschen wir uns keine Abhängigkeit – auch nicht von unserem Lob“, erklärt die Eltern-, Familien- und Paarberaterin im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wir wollen doch, dass sie ein zufriedenes, eigenständiges Leben führen können.“ Es sei sinnlos, existenzielle Aspekte wie Schlafen oder Essen über Lob zu stimulieren. „Eltern sollten immer die Selbstregulierung ihrer Kinder stärken“, empfiehlt die 36-Jährige. „Ein Kind lernt aus sich heraus. Wir brauchen weder Lob noch Strafe – wir brauchen authentische Beziehungen.“ Zudem stehe außer Frage, dass Kinder kooperieren wollen – so gut sie es im Moment eben können: „Wir brauchen kein ,Funktionieren‘. Das macht Menschen kaputt.“
Tierärztin Janey May: „Vermischung übersteigt die jeweiligen Kompetenzen“
In der Arbeit mit Vierbeinern sei das anders, berichtet die Tierärztin und Hundetrainerin Janey May auf Anfrage. „Natürlich ist ,positive Verstärkung‘ auch Manipulation. Beim Hund nehmen wir das in gewissen Punkten des Zusammenlebens in Kauf, weil er eine andere Spezies ist, die sich in der Menschenwelt zurechtfinden muss.“ May empfiehlt etwas eigentlich Naheliegendes: Bei Problemen in der Hund-Mensch-Beziehung solle man Hilfe bei einem Hundeverhaltensberater suchen – und wenn’s in der Familie schiefläuft, bei einem entsprechenden Psychologen. „Eine Vermischung übersteigt die jeweiligen Kompetenzen.“
Für Familienberaterin Deuretzbacher bleibt am Ende die Hoffnung, dass sich Eltern von der RTL-Doku nichts abschauen, selbst wenn sie sich manchmal hilflos fühlen. Schließlich gehöre auch Hilflosigkeit zum Elternsein.