Mogelpackungen überfluten den Markt: Kunden zahlen ordentlich drauf – „Höhepunkt kommt erst noch“

2022 ist kein gutes Jahr für Verbraucher. Die Preise stiegen im ersten Halbjahr immer weiter. Doch die Unternehmen tricksen zusätzlich mit immer mehr Mogelpackungen.
Hamburg - Nicht nur die Preise beim Einkauf im Supermarkt steigen dank der Inflation, jetzt werden Kunden auch noch bei den Verpackungen zum Narren gehalten. Denn es ist gut möglich, dass die vertraute Packung oder auch nur der Packungsinhalt geschrumpft ist, auch wenn der Preis der alte ist. „Wir erleben gerade die erste Welle solcher versteckter Preiserhöhungen“, sagte Armin Valet, Lebensmittelexperte bei der Verbraucherzentrale Hamburg, der Deutschen Presse-Agentur. „Aber ich denke, der Höhepunkt kommt erst noch.“
Verbraucherzentrale Hamburg: Immer mehr Beschwerden über Mogelpackungen
Valet beobachtet schon seit Jahren, wie Hersteller und Handel mit Packungsgrößen tricksen, um die Preiserhöhungen zu verschleiern und kürt alle zwölf Monate eine Mogelpackung des Jahres. Im Moment gebe es bei der Verbraucherzentrale Hamburg aber besonders viele Beschwerden über Tricksereien wie diese, sagte Valet. 2021 war die Mogelpackung des Jahres eine Paprika-Sauce.
Doch woran liegt das: Die Lebensmittelpreise steigen zurzeit dramatisch. Im Juli waren Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 14 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Neben den gestiegenen Rohstoffpreise machen sich hier ebenso höhere Energiekosten oder Mehrausgaben für Logistik infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges bemerkbar.
Video: Dieses beliebte Produkt ist die „Mogelpackung des Monats August“
„Shrinkflation“: Hersteller kaschieren Preiserhöhung durch kleinere Verpackungen
Die Versuchung für Hersteller und Händler, die Preiserhöhung etwas zu kaschieren, ist offenbar gerade sehr groß. Wenn die Packung ein bisschen schrumpft, fällt das häufig weniger auf, als wenn der Preis steigt. Es gibt sogar schon ein Wort dafür: „Shrinkflation“ - eine Verbindung des englischen Wortes für Schrumpfen - shrink - und Inflation.
„Wir werden das in Zukunft öfter sehen als in der Vergangenheit“, ist der Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf überzeugt. Der Grund: Handel und Hersteller scheuten sich, die eingeübten Preisschwellen wie beispielsweise 1,99 Euro zu überschreiten. „Wenn eine solche Schwelle überschritten wird, erscheint ein Produkt plötzlich deutlich teurer und es besteht die Gefahr, dass die Absatzmenge drastisch einbricht“, beschreibt Fassnacht das Problem.
Der Experte hat durchaus Verständnis für diese Praxis. Jedoch findet er, dass die Hersteller dann gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit offenen Karten spielen sollten. „Wichtig ist aus Fairness-Gründen, dass die Hersteller bei Mengenreduzierungen auch die Verpackungen verkleinern.“ Dann könnten sie durchaus auch auf Verständnis der Konsumenten hoffen. „Manch einer ist vielleicht auch froh, durch die Mengenreduzierung nicht mehr bezahlen zu müssen.“
Mogelpackungen: Haribo verkleinert Packung bei selben Preis - 12,5 Prozent weniger Inhalt
Doch wo machen sich diese „Schrumpfkuren“ bemerkbar? Haribo zum Beispiel verkleinerte kürzlich seine Goldbärentüte von 200 auf 175 Gramm. Der empfohlene Preis von 0,99 Cent blieb gleich - trotz 12,5 Prozent weniger Inhalt. „Als Unternehmen sind wir bereits seit Anfang des Jahres mit außergewöhnlich steigenden Kosten für hochwertige Zutaten, aber auch für Folien, Verpackungsmaterialien, Kartonage sowie Energie und Logistik im hohen doppelstelligen Bereich konfrontiert“, begründete Haribo den Schritt. Das Unternehmen passe Verpackungsgrößen und Preis an, um weiterhin erschwinglich zu bleiben.

„Wichtig war uns, dass wir nicht mehr ‚Luft‘ im Beutel haben, also den Beutel in seiner Größe beibehalten, sondern auch den Beutel sichtbar verkleinern“, betonte ein Unternehmenssprecher. Dadurch sei die Verringerung der Füllmenge für die Kunden klar erkennbar.
Auch Henkel ging bei seinem Weichspüler Vernel einen ähnlichen Weg. „Da wir die Kostensteigerungen in einigen Fällen nicht vollständig auffangen konnten, haben wir uns entschieden, die Füllmengen unserer Produkte teilweise anzupassen“, berichtete das Unternehmen. Der Knabberartikel-Hersteller Intersnack sah sich ebenfalls durch den Kostenanstieg „zur Anpassung der Füllmenge der ültje Erdnüsse“ gezwungen. Aber auch bei Marmelade, Margarine, Chips und sogar Tiefkühlpizza stießen die Verbraucherschützer in den vergangenen Wochen auf schrumpfende Packungsinhalte. Auch Rama hat kürzlich seine Packung bei gleichem Preis verkleinert.
Immer mehr Mogelpackungen am Markt: Anzahl fast verdoppelt
Verboten sei das nicht, räumt Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg ein. Aber die Tricksereien gingen natürlich zu Lasten der Kunden. Auffällig ist nach seinen Worten, dass auch Supermärkte und Discounter bei ihren Eigenmarken immer öfter zu solchen verstecken Preiserhöhungen greifen. Dies habe es bei Aldi, Edeka, Rewe und Co. in der Vergangenheit kaum gegeben.
Gestiegen ist nach Angaben der Verbraucherzentrale Hamburg aber auch die Häufigkeit sogenannter doppelter Preiserhöhungen auf der Mogelpackungsliste des Verbandes. Gemeint sind damit Produkte, bei denen nicht nur die Füllmenge reduziert, sondern zusätzlich der Preis vom Handel erhöht wurde. Betraf das in den vergangenen zwei Jahren durchschnittlich 18 Prozent der aufgenommenen Artikel, so waren es im ersten Halbjahr 2022 bereits rund 35 Prozent.
Ein Ende der Schrumpfkur bei Produkten des täglichen Bedarfs erwartet der Verbraucherschützer Valet vorläufig nicht. Im Gegenteil: Der Höhepunkt könnte noch bevorstehen. Der Handel brauche ungefähr ein halbes Jahr Vorlauf zur Umstellung der Etiketten und dem Abverkauf der alten Ware, rechnet er vor. „Ich denke, dass da noch einiges auf uns zukommen wird.“ (md mit dpa)