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Warum häufiges Maskentragen nicht schadet – „Immunsystem ist kein Muskel“

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Die Maskenpflicht ist vielerorts gefallen, nun stellt sich für viele die Frage: Maske an oder aus? Dem Immunsystem kann ein häufiges Maskentragen jedenfalls nicht schaden (Symbolbild). © picture alliance/dpa | Marijan Murat

Überdurchschnittlich viele Menschen in Deutschland leiden aktuell an Atemwegserkrankungen. Ist unser Immunsystem womöglich durch das Tragen von Masken aus der Übung?

Berlin - Wer sonst in der Wintersaison die Uhr danach stellen konnte, an einer Erkältung oder Grippe zu erkranken, achtete seit Beginn der Corona-Pandemie vielleicht auf die Desinfektion der Hände, trug eine Maske oder hielt Abstand zu Mitmenschen. Siehe da: Erkältungen gehörten für viele plötzlich der Vergangenheit an. Auch Zahlen der US-Gesundheitsbehörde CDC und des RKI zufolge gab es im Jahr 2021 weltweit deutlich weniger Grippefälle als sonst. Doch aktuell steigen Atemwegserkrankungen in Deutschland plötzlich an. Was, wenn das Tragen der Maske das Immunsystem auf Dauer schwächt?

Mehr Atemwegserkrankungen in Deutschland als in vorherigen Jahren - selbst vor Corona

Aktuell sind überdurchschnittlich viele Menschen in Deutschland an akuten respiratorischen Erkrankungen, kurz ARE, erkrankt. Innerhalb einer Woche waren es Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge zuletzt 4,5 Millionen Erkrankte in Deutschland. Das entspricht etwa einer Erkrankung pro 18,5 Einwohner. In den Vorjahren - sowohl während als auch vor der Pandemie - lagen die Werte für Atemwegserkrankungen mit Fieber, Husten oder Halsschmerzen deutlich darunter.

Warum es derzeit so viele Atemwegserkrankungen in Deutschland gibt

Allerdings: Korrelation ist nicht gleich Kausalität, lautet ein wichtiger Grundsatz in der Wissenschaft. Einfach erklärt ist dies mit Scheinkorrelationen, also zwei Ereignissen, die nur auf den ersten Blick zusammenhängen. So gibt es etwa eine Korrelation zwischen der Veröffentlichung von Filmen, in denen der Schauspieler Nicolas Cage mitspielt - und anderseits der Zahl der Menschen, die in den gleichen Jahren in Swimmingpools ertranken. 

Während hier deutlich ist, dass Nicolas Cage-Filme wohl kaum für das Ertrinken verantwortlich sein können, liegt das bei anderen Themen nicht so klar auf der Hand. Etwa, wenn der Mediziner Michael Kulas vermutet, dass das Immunsystem in den vergangenen zwei Jahren durch das dauerhafte Masketragen nicht trainiert wurde. Zwar wies er gegenüber der Welt darauf hin, dass die Maske in „Situationen in denen besonderer Schutz erforderlich ist“, weiterhin getragen werden sollte. Er plädierte jedoch gleichzeitig dafür, dem Immunsystem ein gewisses Training zu gewähren.

Das sind die wirklichen Gründe für aktuelle Atemwegserkrankungen: „Immunsystem ist kein Muskel“

Dass das Immunsystem nun trainieren müsse, sieht der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, offenbar nicht so. „Das Immunsystem ist kein Muskel: Es bildet sich nicht zurück, wenn es nicht oder weniger gebraucht wird“, erklärte Watzl der dpa. Das Immunsystem habe außerdem auch in zwei Jahren Pandemie aus seiner Sicht noch genug zu tun gehabt. Menschen kämen nicht nur über die Atemwege, sondern auch über die Haut oder die Nahrung mit Krankheitserregern in Kontakt, so dass das Immunsystem anspringe, so Watzl. „Rhinoviren etwa bekommt man, weil sich das Virus ständig verändert und dem Immunsystem somit neu erscheint. Es liegt nicht an mangelnder Erfahrung.“ 

Den RKI-Angaben zufolge ist für die hohe Zahl an Erkrankungen bei Erwachsenen hauptsächlich das Coronavirus verantwortlich. Anders als in den Jahren 2020 und 2021 gibt es durch die ansteckendere Omikron-Variante derzeit eine Corona-Sommerwelle. Bei Kindern kursierten insbesondere Rhino- und Parainfluenzaviren. Auch Influenzaviren spielten weiterhin eine Rolle, so das RKI.

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Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI), steht in einem Labor. Der Experte geht davon aus, dass sich die Corona-Variante BA.5 auch hierzulande durchsetzt (Archivbild). © picture alliance/dpa/Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) |

Watzl sieht zudem einen „Nachholeffekt“ als mögliche Erklärung. Manche Viren seien saisonal. Wer diese saisonalen Coronaviren während der vergangenen zwei Jahre verpasst habe, könne jetzt mehrere Erkältungen nacheinander kriegen, meint der Immunologe. „Viele von uns haben sich in der Pandemie daran gewöhnt, lange Zeit am Stück keine Erkältungen mehr zu haben. Dabei war es davor schon so, dass man immer wieder einmal betroffen war“, so Watzl weiter.

Experten empfehlen weiterhin das Masketragen in Innenräumen

Gesundheitsminister Karl Lauterbach erwartet nach der aktuellen Sommerwelle eine schwere Herbstwelle. Schutzmaßnahmen wie das Maskentragen können nach Ansicht eines Corona-Expertengremiums auch weiter gegen Corona hilfreich sein. Da das Coronavirus drinnen eher übertragen werden könne als draußen, „sollte eine Maskenpflicht zukünftig auf Innenräume und Orte mit einem höheren Infektionsrisiko beschränkt bleiben“, empfiehlt das Gremium. Die Masken müssen aber richtig getragen werden. „Eine schlecht sitzende und nicht eng anliegende Maske hat jedoch einen verminderten bis keinen Effekt“, so die Experten.

Vorsicht ist aus Sicht von Wissenschaftlern im kommenden Herbst allerdings wegen der Grippe geboten: „Wenn wir in diesen Jahren nun nicht mit Influenza in Berührung gekommen sind, kann es sein, dass uns das Virus in der Evolution „davonläuft“, wir es also irgendwann mit einem Virus zu tun haben, das wir weniger gut kennen“, schildert Bernd Salzberger, Infektiologe am Universitätsklinikum Regensburg der dpa. Das Immunsystem vergesse aber die alten Begegnungen nicht so schnell. Antikörper gegen Influenza nähmen über die Zeit der Pandemie kaum ab. Dennoch: „Impfmüdigkeit in diesem Herbst und Winter wäre fahrlässig“, so der Wissenschaftler. (bm/dpa)

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