Corona-Zahlen steigen nicht mehr: Experten erklären Ursachen - Vier Faktoren entscheidend

Deutschland winkt eine Entspannung in der Corona-Pandemie - und damit Lockerungen. Bricht verfrüht Freude aus? Warum die Infektionszahlen aufgehört haben, zu steigen.
Berlin/München - Zwischen Mitte März und Mitte April 2021 schnellten die Infektionszahlen mit Corona in Deutschland wieder in die Höhe, doch diese Entwicklung ist glücklicherweise gebremst worden. Die „dritte Welle“ der Pandemie scheint gebrochen und die Sieben-Tage-Inzidenzen bewegen sich landesweit zurück in Richtung 100er-Marke.
Am vierten Tag in Folge entwickelt sich die Inzidenz rückläufig, laut Robert Koch-Institut beträgt die wichtige Kennzahl am Freitag 153,4. Indes bleibt es mit 24.329 gemeldeten Neuinfektionen bei einem relativ hohen Tageswert, inklusive 306 weitere Todesfällen. Mehrere Wissenschaftler sind dennoch optimistisch, was den Verlauf der kommenden Wochen betrifft.
„Ich rechne nicht mehr mit einer Zunahme, aber auch nicht mit einer schnellen Abnahme“, sagte Mobilitätsforscher Kai Nagel von der TU Berlin bei einer Anhörung im Bundestag. Wenn es nach einer Physikerin vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation geht, besteht Grund für mehr Euphorie. Viola Priesemann glaubt, dass in einigen Wochen Inzidenzen von deutlich unter 50 zu erreichen seien - ähnlich wie im vergangenen Sommer 2020.
Nach Meinung von Wissenschaftlern ergeben vier Aspekte die aktuelle Entwicklung von Sars-CoV-2 in Deutschland:
Corona-Zahlen in Deutschland stagnieren - Schutz wegen Impfspritzen und Antikörper
Überstandene Infektionen: Seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es alleine in Deutschland 3.381.597 nachgewiesene Infektionen, die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher liegen. Menschen, die sich schon mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert haben, sind nach der Erkrankung aufgrund der Antikörper zunächst mehrere Monate immun. Bedeutet das womöglich einen neuerlichen Anstieg, wenn der Herbst anbricht? Das hängt natürlich auch mit der Entwicklung des nächsten Punktes zusammen.
Impffortschritt: Das Impfen von Menschen aus Risikogruppen hat augenscheinlich positive Effekte auf Klinikeinweisungen in Deutschland. Laut RKI stieg der Anteil der Einweisungen wegen Covid-19 seit Ende Februar nicht mehr an, stagnierte vielmehr. Er verharrte bei sieben bis acht Prozent der gemeldeten Infizierten. Das belegt übrigens, warum die Intensivstationen in deutschen Krankenhäusern nicht hauptsächlich wegen Corona ausgelastet sind. Vielmehr gab es längst vor der Pandemie Probleme, wie ein Berliner Pfleger zuletzt in der Bundespressekonferenz schilderte:
Auf dem Höhepunkt der ersten Pandemie-Welle hatte der Anteil der Klinikeinweisungen übrigens bei bis zu zwanzig Prozent der zu diesem Zeitpunkt gemeldeten Infizierten gelegen, bei der zweiten Welle bei bis zu zwölf Prozent. Zu einem großen Teil seien die Corona-Infektionen bei über 80-Jährigen zurückgegangen, heißt es beim RKI. In einem Interview nennt Karl Lauterbach die für ihn entscheidenden Faktoren, warum die Inzidenzen derzeit sinken.
Corona: Infektionszahlen sinken - Notbremse flankiert von Ostern und dem Frühling
Osterferien: Auch die Osterfeiertage spielen bei der Stagnation der Infektionszahlen eine Rolle, wie Mobilitätsforscher Nagel bestätigt: „Hier sind nicht nur die Ansteckungen in den Schulen ganz weggefallen, sondern es waren auch viele Eltern nicht bei der Arbeit“, erklärt der Berliner Forscher. Zudem habe es über die Osterfeiertage wohl deutlich weniger Kontakte gegeben, als befürchtet.
Höhere Temperaturen: Ist es wärmer, zieht es mehr Menschen ins Freie. Diese Faustregel spielt ebenfalls bei der Verringerung der Infektionszahlen eine Rolle. Die Voraussetzung ist natürlich, dass die geltenden Kontaktbeschränkungen umgesetzt werden. Gutes Wetter lässt mehr Freizeitaktivitäten draußen stattfinden. Virologe Klaus Stöhr lässt gegenüber dpa wissen: „Wir haben im Moment eine Gemengelage aus gegenläufigen Trends.“ Sobald es draußen wärmer werde, gingen die Zahlen weiter nach unten, prognostiziert der Forscher.
Nicht zu vergessen, kommen natürlich die Maßnahmen aufgrund der bundesweiten Corona-Notbremse hinzu. „Letztlich sind es viele Effekte, die für sich genommen eher klein sind“, schränkt der Wissenschaftler ein und führt aus, dass keine der Maßnahmen höher zu gewichten sei, sondern dass es vielmehr um die Kombination geht.
RKI-Chef Lothar Wieler und Gesundheitsminister Jens Spahn, der im Wirbel um seine Villa eine Gerichts-Pleite kassierte, warnen allerdings vor verfrühter Nachlässigkeit. Wieler schilderte, dass selbst bei älteren Menschen noch große Impflücken klaffen. Außerdem gibt es noch markante Unterschiede zwischen den Bundesländern: Sachsen und Thüringen kommen auf Sieben-Tage-Inzidenzen von rund 200, Hamburg liegt bereits unter 100. Der Krösus? Schleswig-Holstein mit 64. (PF mit Material der dpa)