„Das ist wirklich gefährlich“: Drosten widerlegt Corona-Irrglauben und warnt eindringlich

Die Corona-Inzidenz ist in Deutschland so hoch wie noch nie, die Intensivstationen sind am Limit. Virologe Christian Drosten stellt nun klar, dass es sich nicht nur um eine Pandemie der Ungeimpften handelt.
Berlin - Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt immer stärker an und hat erstmals in der Corona-Pandemie den Höchstwert von 50.196 Corona-Neuinfektionen erreicht. Das geht aus Zahlen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von Donnerstagmorgen, 03.40 Uhr, wiedergeben. Am Vortag waren es „nur“ 39.676 Ansteckungen.
Corona-Zahlen explodieren: Drosten widerlegt Fehlglaube: „Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften“
Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz erreichte mit 249,1 ebenfalls wieder einen Höchstwert. Zum Vergleich: Vor einer Woche lag die Inzidenz bei 154,5 (Vormonat: 66,5). Zudem wurden gestern bundesweit 235 Todesfälle verzeichnet. Auch auf den Intensivstationen wird die Lage immer schlimmer. In München rechnet OB Dieter Reiter mit „einem Kollaps des notfallmedizinischen Versorgungssystems“. Die 380 Intensivbetten in der Stadt seien „voll“. Ein Bild, das sich überall in Deutschland ähnlich zeigt.
Da mittlerweile 67,3 Prozent der Deutschen vollständig geimpft sind, sprechen viele von einer Pandemie der Ungeimpfte, da vor allem sie mit Symptomen auf in den Krankenhäusern landen. Virologe Christian Drosten widerspricht dem nun deutlich. „Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: die Pandemie der Ungeimpften“, sagte er gegenüber der Zeit und nahm damit Bezug auf Äußerungen mehrerer Politiker in Deutschland. Er stellt klar: „Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, wir haben eine Pandemie. Und wir haben Menschen, die noch sehr gefährdet sind, die älteren Ungeimpften. Bei den über 60-Jährigen haben wir nur eine Impfquote von 86 Prozent vollständig Geimpfter, das ist irrsinnig, das ist wirklich gefährlich.“
Drosten: „Verbreitungsschutz der Impfung sinkt“ - Virologe fordert Impflücken zu schließen
Wer nicht geimpft sei, infiziere sich mit seinem jeweils alterstypischen Risikoprofil, erklärt der Virologe. „Viele werden dann auf der Intensivstation landen. Das überlastet die Intensivmedizin. Darum ist das akute Ziel, nicht zu viele Infektionen auf einmal zuzulassen.“ Die Delta-Variante hätte leider die Eigenschaft, sich trotz der Impfung zu verbreiten.
Drosten weist im Zeit-Interview darauf hin, dass schon nach zwei, drei Monaten der Verbreitungsschutz der Impfung zu sinken beginne. Nach wenigen Monaten verlieren die Impfungen laut einer Studie schon den Großteil ihrer Wirkung. „Und wir haben ganz viele Menschen gerade in den relevanten Altersgruppen, die schon im Mai oder im Juni geimpft worden sind. Die verlieren jetzt allmählich ihren Verbreitungsschutz, und sie werden immer mehr. Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen – auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger.“
Doch wie könne die Situation gelöst werden? Drosten fordert, dass die Impflücken mit aller Macht geschlossen werden müssten. Er erläutert weiter: „Rein wissenschaftlich gesehen, würde eine flächendeckende Impfung der gesamten erwachsenen Bevölkerung die Belastung auf den Intensivstationen nachhaltig reduzieren. Dann wäre jede Infektion ein Impfdurchbruch, und die sind deutlich weniger pathogen.“ Das wäre dann mit einer schweren Influenza-Saison zu vergleichen.
Drosten: Geimpfte können Coronavirus weitergeben - Booster-Impfungen als Lösung
Da auch Geimpfte das Virus weitergeben könnten, vor allem wegen der ansteckenderen Delta-Variante, sei er davon überzeugt, „dass wir nur einen geringen Nutzen von vollständig geimpften Erwachsenen haben, die sich nicht boostern lassen.“
Deshalb müsse man nun mit großem Elan eine Booster-Aktion durchzuführen: „Eine Kampagne für Drittimpfungen bei allen, die jetzt schon geimpft sind, beginnend bei den Alten. Damit würde man wahrscheinlich zumindest für die Dauer des Winters den Herdenschutz gewährleisten.“
Neben dem Schutz der Alten würde man laut Drosten so wahrscheinlich den Übertragungsschutz wieder zurückerobern, „dann wird die Inzidenz rapide sinken“. Allerdings erklärt er auch: „Ich fordere hier wohlgemerkt gar nichts, und ich will auch nicht suggerieren, dass Boostern allein das Problem lösen könnte. Die Zeit ist dafür wahrscheinlich ohnehin zu knapp.“ Er rechne deshalb mit erneuten Kontakteinschränkungen. Also ein Lockdown für Ungeimpfte, dank 2G. „Ob das noch im November die Inzidenz senkt – ich habe da meine Zweifel.“ (md)