Die Opferzahlen steigen von Stunde zu Stunde – es sind bereits über 11.000. Von dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet könnten nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis zu 23 Millionen Menschen betroffen sein, darunter fünf Millionen ohnehin besonders verletzliche Menschen, teilte die hochrangige WHO-Vertreterin Adelheid Marschang in Genf mit.
Die Menschen im Erdbebengebiet leiden zudem unter Kälte und Hunger– die Geschäfte haben zu oder sind zerstört, wo Händler Brot verkaufen, ist es in kürzester Zeit ausverkauft. Das Erdbeben der Stärke 7,8 hatte das türkisch-syrische Grenzgebiet am frühen Montagmorgen getroffen. In den Stunden danach wurde die Region von mehr als 240 Nachbeben erschüttert. Eines von ihnen hatte die Stärke 7,5.
Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Die Suche über Nacht sei wegen Sturms und fehlender Ausrüstung „sehr langsam“ verlaufen, hieß es von den Weißhelmen, die in den von Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens aktiv sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete ist die Region Idlib, die von den Rebellen kontrolliert wird. Dies erschwert dort die staatliche Nothilfe. Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg kontrollieren Regierungstruppen des Machthabers Baschar al-Assad wieder rund zwei Drittel Syriens.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte die Öffnung aller Grenzübergänge, um schnelle humanitäre Hilfe auch in Syrien zu ermöglichen. Derzeit gebe es nur einen offenen Grenzübergang, der bei dem Erdbeben aber auch beschädigt worden sei, sagte die Grünen-Politikerin. „Deswegen ist die Öffnung der Grenzübergänge so zentral.“ Es sei „das absolute Gebot jetzt, dass die humanitäre Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird“. Eine deutsche Spitzen-Politikerin hat das Erdbeben in der Türkei indes hautnah mitbekommen.
Im Nordwesten Syriens sei die Versorgung der Menschen ohnehin schon schwierig. „Deswegen sollten alle internationalen Akteure – Russland eingeschlossen – ihren Einfluss auf das syrische Regime nutzen, dass die humanitäre Hilfe für die Opfer dort auch ankommen kann“, betonte Baerbock. Es dürften keine zusätzlichen Hürden aufgebaut werden, weil es hier auf jede Minute ankomme. So können Sie helfen.
Der syrische Rote Halbmond forderte den Westen nach der Erdbebenkatastrophe zur Aufhebung von Sanktionen und zu Hilfsleistungen auf. „Nach diesem Erdbeben ist die Zeit gekommen“, sagte der Leiter der Organisation, Chaled Habubati, bei einer vom syrischen Staatsfernsehen übertragenen Pressekonferenz. Er appelliere an „alle EU-Länder, die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufzuheben“.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rief nach der Erdbebenkatastrophe einen Ausnahmezustand in zehn betroffenen Provinzen aus. „Um sicherzustellen, dass die Such- und Rettungsarbeiten und die anschließenden Arbeiten schnell durchgeführt werden, habe ich beschlossen, auf der Grundlage der mir durch Artikel 119 der Verfassung übertragenen Befugnisse den Ausnahmezustand auszurufen“, sagte Erdogan. Die Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht, unter anderem im Falle von Naturkatastrophen einen Ausnahmezustand von einer Dauer von bis zu sechs Monaten auszurufen.
Erdogan kann damit unter anderem Ausgangssperren zu verhängen, den Fahrzeugverkehr zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Gegenden verbieten und Demonstrationen untersagen.