Kernfusion gelungen: „Das ist vergleichbar mit dem ersten Flug der Brüder Wright“
Um es mit dem Wort des Jahres zu sagen, es ist eine Zeitenwende in den USA gelungen. Erstmals hat eine Kernfusion auf der Erde mehr Strom erzeugt, als zugeführt wurde.
München – Professor Markus Roth, 57, ist Physiker und Experte für Laserfusion-Forschung an der TU Darmstadt. Er war in den 90er-Jahren am Bau des Lasersystems für das Forschungsprojekt in den USA beteiligt und ist seitdem im engen Austausch mit den Wissenschaftlern vor Ort. Im Interview erklärt er, wie das jüngste Experiment abgelaufen ist – und was das Ergebnis für den Bau eines Fusionskraftwerks bedeutet.
Herr Roth, erleben wir gerade den großen Durchbruch in der Kernfusion?
Roth: Mit dem großen Durchbruch tun wir uns in der Wissenschaft immer schwer. Aber es ist sicher ein gewaltiger Schritt nach vorne. Nach vielen Jahrzehnten der Forschung ist es zum ersten Mal gelungen, dass aus einer kontrollierten Fusion mehr Energie herauskommt, als vorher hineingesteckt wurde. Viele sagen: Das ist vergleichbar mit dem ersten Flug der Brüder Wright. Da wusste man auch vorher, dass man mit Tragflächen fliegen kann. Aber dann ist es zum ersten Mal wirklich gelungen.
Erklären Sie uns in einfachen Worten: Wie funktioniert die Kernfusion?
Roth: Im Gegensatz zur Kernspaltung werden bei der Fusion zwei leichte Atome miteinander verschmolzen, sodass ein schweres entsteht. Diese Verschmelzung kann nur funktionieren, wenn die Teilchen unter hohen Temperaturen zusammengehalten werden.
Und da gibt es zwei Wege: Laser oder Magnet.
Roth: Unsere Kollegen von der Magnetfusion versuchen, ein sehr dünnes Plasma mit Magnetfeldern über sehr lange Zeit zusammenzuhalten. Und wir von der Laserfusion versuchen, ein heißes Gas extrem stark zu komprimieren, sodass die Abstände zwischen den Teilchen sehr kurz werden. Und dann läuft die Reaktion so schnell ab, dass die eigene Trägheit der Masse dafür sorgt, dass die Teilchen lange genug zusammenbleiben, um zu fusionieren.
Kernfusion in den USA: Energiegewinn vom Faktor 1,5
Wie lief das aktuelle Experiment in den USA konkret ab?
Roth: Man hat ein kleines Plastikkügelchen, zwei Millimeter Durchmesser, genommen. Dort wurde Wasserstoff als Brennstoff eingefüllt. Dieses Kügelchen sperrt man in einen hohlen Zylinder aus einer Goldmischung. Dann wird mit 192 Laserstrahlen aus beiden Seiten in diesen Zylinder eingestrahlt und somit sozusagen der Ofen angeheizt. Das Kügelchen wird dadurch außen so heiß, dass es explodiert. Und durch den Rückstoß dieser Explosion werden die Teilchen in der Kugel nach innen beschleunigt. Wenn diese Masse im Inneren der Kugel zusammentrifft, gibt es Dichten von tausendfacher Festkörperdichte, Drücke von 500 Milliarden Atmosphären und eine Temperatur von etwa 140 Millionen Grad. So zündet die Fusionsreaktion. Und so wird die Energie freigesetzt.
In welchem Verhältnis ist das in den USA gelungen?
Roth: In dem Fall waren das drei Megajoule Energie, gegenüber zwei Megajoule, die man über die Laser hineingegeben hat. Man hat also einen Energiegewinn vom Faktor 1,5 erreicht. Und das ist eine Premiere.
Was bedeutet das nun für die weitere Forschung auf dem Weg zu einem Fusionskraftwerk?
Roth: Bis zu einem Kraftwerk sind noch mehrere Schritte zu gehen. Das Verfahren der Amerikaner ist für Experimente und Grundlagenforschung hervorragend, aber für ein Kraftwerk ist es noch zu ineffizient. Ziel ist, auf den Ofen – also den Zylinder – zu verzichten und das Kügelchen direkt zu bestrahlen. So lassen sich 90 Prozent Verluste bei der eingesetzten Laserenergie einsparen. Dann gibt es auch schon effizientere Verfahren zur Zündung, die wir gerade erproben, sowie modernere Laser. Auch das spart weitere Energie. Und die Lasersysteme müssen in einem Kraftwerk nicht einmal alle zwei Stunden feuern, wie jetzt in den USA – sondern zehnmal pro Sekunde. Es gibt also noch Optimierungsbedarf. Aber die Technologie ist bekannt. Und wird übrigens auch in Deutschland entwickelt.

Erste Anlage am Netz ist geplant für 2037/38
Die Experimente in den USA kommen ursprünglich aus der Militärforschung.
Roth: Ja, für zivile Forschung hätte man in den USA wohl das Geld nicht ausgegeben.
Bis wann können wir denn realistisch mit einem Kernfusionskraftwerk rechnen?
Roth: Wir haben hier in Darmstadt ein amerikanisch-deutsches Startup namens „Focused Energy“ gegründet, das genau an diesem Projekt arbeitet. Übrigens auch mit ehemaligen Mitarbeitern aus dem Forschungsteam in den USA. Wir haben der Bundesregierung einen Fahrplan vorgelegt. Wir werden noch einige Testanlagen brauchen, aber das Ziel ist, bis zum Jahr 2037/38 die erste Anlage ans Netz zu bringen. Nur dann haben wir die Chance, auch noch etwas gegen den Klimawandel beizutragen.
Die große Debatte bei den derzeitigen Kernkraftwerken dreht sich um die Sicherheit. Wie sieht es da bei Fusionskraftwerken aus?
Roth: Der erste große Unterschied: das radioaktive Material. Bei der Kernspaltung sind das etwa 130 Tonnen pro Reaktorladung. Bei der Laserfusion verwenden wir Tritium, ein radioaktives Gas, das nach zehn Jahren zur Hälfte schon wieder zerfallen ist. Davon befinden sich zu jeder Zeit maximal ein bis zwei Milligramm im Reaktor. Das gesamte radioaktive Inventar in einem Fusionskraftwerk liegt bei ein bis zwei Kilogramm. Sehr geringe Mengen also. Die englische Regierung hat deshalb beschlossen, zukünftige Fusionskraftwerke komplett aus dem Atomrecht rauszunehmen und in den Bereich Gesundheit und Umwelt zu packen. Weil sie sagt, das Gefahrenpotenzial entspricht der einer Tumortherapieanlage.
Was bleibt übrig, wenn ein Fusionskraftwerk abgeschaltet wird?
Roth: Der Reaktor selber. Der ist radioaktiv geworden und muss für 50 bis maximal 100 Jahre zwischengelagert werden. Danach ist die Radioaktivität abgeklungen und das Material kann wiederverwendet werden.
Und im Falle eines Unfalls?
Roth: Kann keine unkontrollierte Kettenreaktion ausgelöst werden. Und es gibt keine Nachwärme. Bei den derzeitigen Atomkraftwerken müssen die Reaktoren ja über Tage gekühlt werden, selbst wenn sie aus sind. Bei einem Fusionskraftwerk ist nichts da, was noch Wärme abgeben könnte. Das macht die Sache so sicher.
Hat die Laserfusion das Rennen gegen die Magnetfusion gewonnen?
Roth: Das Rennen gewinnt, wer das erste Kraftwerk ans Netz bringt. Aktuell haben wir die Nase ein bisschen vorne. Aber ich sehe uns nicht als Konkurrenten, sondern als Partner. Der Markt ist so groß, dass wir beide Technologien benötigen. Ich sehe das als freundschaftlichen Wettbewerb.
Das Interview führte Dominik Göttler