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Medizin-Nobelpreis für den Zellforscher Yoshinori Ohsumi

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Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an den Japaner Yoshinori Ohsumi.
Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an den Japaner Yoshinori Ohsumi. © AFP

Stockholm - Er entdeckte, wie die Müllabfuhr der Körperzellen funktioniert. Der Japaner Yoshinori Ohsumi erhält dafür in diesem Jahr den Nobelpreis für Medizin. Forscher hoffen auf Therapien für diverse Krankheiten.

Für die Entschlüsselung der lebenswichtigen Müllentsorgung in Körperzellen bekommt der Japaner Yoshinori Ohsumi (71) den Medizin-Nobelpreis. Mit Hilfe der sogenannten Autophagie baut die Zelle nicht mehr benötigte Bestandteile ab und recycelt sie. Ist der Mechanismus gestört, können Parkinson, Diabetes Typ 2, Krebs und andere vor allem im Alter auftretende Leiden entstehen. Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Die höchste Auszeichnung für Mediziner ist mit umgerechnet 830.000 Euro (8 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert.

"Das ist eine Freude für einen Forscher, die nicht zu übertreffen ist", sagte Ohsumi dem japanischen Fernsehsender NHK. Auf die Frage, warum er sich auf die Auflösung und nicht auf die Zusammensetzung von Proteinen fokussiert habe, erklärte er: "Ich wollte etwas tun, das die anderen nicht taten." Und er möchte weiter forschen: "Seit 27 Jahren arbeite ich an dem Thema, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich das alles verstanden habe. Es gibt noch vieles zu entdecken, und ich möchte meine Forschung weitertreiben."

"Seine erste Reaktion war: Aach"

Beim Anruf des Nobel-Komitees kurz zuvor wirkte Ohsumi noch sehr überrascht: "Seine erste Reaktion war: Aach", sagte der Sekretär des Nobelkomitees am schwedischen Karolinska-Institut, Thomas Perlmann. "Ich glaube, er hat das wirklich nicht erwartet." Ohsumi gilt in Forscherkreisen als offen, bescheiden und warmherzig.

Ohsumi "entdeckte und erforschte Mechanismen, die der Autophagie zugrunde liegen", begründete das Nobel-Komitee seine Entscheidung. Auto heißt griechisch "selbst" und phagein bedeutet "essen". Bei der Autophagie verdaut die Zelle nicht mehr benötigte Bausteine und bereitet sie zur Wiederverwertung auf. Ohne die Autophagie würde sie im Zellmüll versinken.

Mit den entscheidenden Experimenten startete der 1945 geborene Forscher erst in den frühen 1990er Jahren an Hefezellen. Es war bereits bekannt, dass bestimmte Zellorganellen, die Lysosomen, Zellbestandteile abbauen. Dafür hatte bereits 1974 Christian de Duve den Nobelpreis erhalten. Ohsumi entdeckte zunächst entscheidende Gene, die bei unterschiedlichen Situationen aktiv werden, und zeigte später, dass dieses System ähnlich auch beim Menschen existiert.

Nobeljurorin lobt Ohsumi

"Dank seiner Pionierarbeit haben wir heute ein Verständnis der Mechanismen von Autophagie", sagte Nobeljurorin Maria Masucci. Damit wachse die Hoffnung für die Behandlung vieler Krankheiten. Ohsumi habe ein total neues Wissen darüber geschaffen, wie die Zelle ihren Inhalt recycelt, teilte das Komitee mit. "Seine Entdeckungen haben den Weg geebnet, um die immense Wichtigkeit der Autophagie in vielen physiologischen Prozessen zu verstehen, beispielsweise bei der Anpassung an Mangelversorgung oder bei der Antwort auf Infektionen."

So werden in Hungerzeiten Zellbestandteile zur Energiegewinnung abgebaut. Das System ist aber auch wichtig zur Bekämpfung von Infektionen, beim embryonalen Wachstum und bei der Reaktion auf Stress.

Weitere Nobelpreisträger im Laufe der Woche

"Autophagie wurde zum ersten Mal in den 1960ern beobachtet", sagte Masucci. Die Forschung habe sich stark weiterentwickelt, nachdem Ohsumi sich in den 1990ern entschieden habe, den Prozess zu untersuchen. Mit seiner Strategie habe er herausgefunden, dass "Autophagie von einer großen Zahl Genen reguliert wird". Sind sie gestört, können Parkinson, Alzheimer und andere Leiden entstehen. Momentan gebe es intensive Forschungen, um mit diesem Wissen einmal Krankheiten bekämpfen zu können, schreibt das Nobel-Komitee.

Mit dem Medizin-Preis startete der Nobelpreis-Reigen: An diesem Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Nobelpreises benannt. Es folgen die für den Friedens- (Freitag) und den Literatur-Nobelpreis (13. Oktober). Am Montag (10. Oktober) werden Forscher für den von der schwedischen Reichsbank gestifteten sogenannten Wirtschaftsnobelpreis gekürt. Die feierliche Überreichung aller Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.

Berliner Forscher: Nobelpreis an Ohsumi war überfällig

Aus Sicht eines Berliner Forschers war der Nobelpreis an Ohsumi "seit langem überfällig". Ohsumi sei es gewesen, der den Prozess der Autophagie entdeckt und über viele Jahrzehnte seit Beginn der 80er Jahre weiter studiert habe, sagte Volker Haucke, Direktor des Leibniz-Instituts für Molekulare Pharmakologie, am Montag in Berlin. Den Japaner beschrieb Haucke als "bescheidenen Grundlagenforscher", der seiner Zeit voraus gewesen sei.

Der von ihm entdeckte Prozess habe sich als "fundamental wichtig für alle Organismen, Zellen und höheren Lebensformen erwiesen", sagte Haucke.

Medizin-Nobelpreise gehen selten an eine Einzelperson

Die Jury für den Medizin-Nobelpreis benennt recht selten nur einen Preisträger - wie jetzt den Japaner Yoshinori Ohsumi. In den vergangenen 20 Jahren wurde lediglich drei weiteren Forschern diese Ehre zuteil. So erhielt Robert Edwards 2010 den Preis für die Entwicklung der Reagenzglas-Befruchtung. Außerdem stehen Günter Blobel (1999) und Stanley Prusiner (1997) auf der Liste.

Bei den Physik-Nobelpreisen wurde zuletzt 1992 ein Forscher allein geehrt: der Franzose Georges Charpak für die Entwicklung von Teilchendetektoren. Beim Chemie-Nobelpreis gab es in den Jahren 1996 bis 2015 insgesamt vier Einzel-Preisträger, zuletzt 2011 Dan Shechtman (Israel) für die Entdeckung sogenannter Quasikristalle.

In der Regel müssen sich in den Naturwissenschaften mehrere Forscher den Preis teilen, entweder weil sie gemeinsam an einem Thema gearbeitet haben oder auch weil die Jury mehrere Entdeckungen würdigen will.

dpa

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