Schafskälte: Das steckt hinter dem Wetterphänomen

Feuchte, kühle Luft strömt aus nordwestlicher Richtung nach Mitteleuropa, die Temperaturen sinken um fünf bis zehn Grad Celsius. In höheren Regionen droht Frost. Passiert dies mitten im Juni, kann es sich um die Singularität Schafskälte handeln.
- Bei der Schafskälte handelt es sich um eine sogenannte meteorologische Singularität: eine Abweichung von der ansonsten für eine Jahreszeit üblichen Witterung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert.
- Sie tritt nicht jährlich, aber in regelmäßigem Turnus auf.
- Das plötzliche kühle Wetter im Sommer entsteht durch eine unterschiedlich schnelle Erwärmung von Landmassen und Meerwasser.
Offenbach – Zwischen dem 4. und 20. Juni kann es hierzulande zu einem Kälteeinbruch kommen. Die Bezeichnung Schafskälte kommt tatsächlich von eben diesen: Traditionell sind die Tiere um diese Jahreszeit bereits geschoren. Die plötzlich absinkenden Temperaturen können gefährlich für sie werden. Mittlerweile hat sich die Schur nach der Schafskälte, meist Ende Juni, durchgesetzt.
Schafskälte: Die Ursachen und Auswirkungen auf das Wetter
Meldet der Deutsche Wetterdienst im Juni ungewöhnlich niedrige Temperaturen, stehen die Zeichen auf Schafskälte. Um den 11. Juni herum wird es in Deutschland und Österreich oftmals ungemütlich: Warme Sommertage werden von nasskalter Witterung abgelöst. Die Temperaturen sinken um bis zu zehn Grad. In Höhenlagen kann sogar Schnee fallen. Warum verändert sich das Wetter so stark – und warum gerade in dieser Jahreszeit?
In Deutschland ist es Anfang bis Mitte Juni in der Regel bereits warm. Das Meer jedoch ist zu diesem Zeitpunkt noch kalt. Durch die unterschiedlich schnelle Erwärmung von Wasser und Landmassen entsteht ein Tiefdruckgebiet über Europa. Es bringt polare Luft aus Richtung Nordwesten mit. Mit der Schafskälte einher geht daher auch ein Wechsel der Windrichtung von warmem Südwest- auf kühlen Nordwestwind. Die Folge: nasskaltes Wetter. Plötzliche niedrige Temperaturen, teilweise mit hohen Unterschieden, häufige und starke Regenfälle, mitunter Frost und Schnee sind zu erwarten.
Die Schafskälte wird aufgrund ihrer Entstehung auch als „europäischer Sommermonsum“ bezeichnet. Das Phänomen tritt mit ähnlichen Ursachen ebenfalls auf dem indischen Subkontinent auf und führt zu starken Regenfällen.
Schafskälte: Welche Regionen in Deutschland und Europa sind besonders betroffen?
Die Schafskälte ist ein europäisches Phänomen. Insbesondere die südlichen Teile von Deutschland und Österreich sind betroffen – wie es bei vielen mitteleuropäischen Singularitäten der Fall ist. Die typischen Witterungen sind häufig im Süden stärker ausgeprägt als im Norden. Dabei ist die Veränderung vom sommerlichen zu nasskaltem Wetter vor allem in höheren Lagen zu bemerken. So kommt es häufig etwa im Bayerischen Wald zu starken Temperaturabsenkungen. In den Alpen kann noch Mitte Juni Neuschnee fallen. Dabei sind Höhen von 50 Zentimetern und mehr keine Seltenheit.
Im Alpenraum, etwa in den österreichischen Bundesländern Salzburg, Kärnten, Tirol und Vorarlberg, ist die Schafskälte regelmäßig zu beobachten. Sie tritt üblicherweise sogar an festen Terminen auf:
- Der erste Kälteeinbruch findet zwischen dem 3. und 5. Juni statt.
- Der zweite kommt zwischen dem 15. und 21. Juni.
- Zwischen beiden Daten können Tage mit großer Hitze liegen.
Im Jahr 2010 zum Beispiel ließ sich die Schafskälte sehr exakt auf ein Datum festlegen: Anfang Juni kam es zu einer ersten Kälteperiode. Vom 8. bis 11. Juni 2010 folgte eine subtropische Wetterperiode, anschließend am 20. Juni eine erneute Temperaturabsenkung. Sie ging in Hochlagen von bis zu 1.400 Metern mit Neuschnee einher.
Schafskälte: Weitere Singularitäten als Wetterbote
Die Schafskälte gehört zu den sogenannten Lostagen, auch als Wetterbote bezeichnet. Im Volksglauben gab das Wetter an einem bestimmten Datum Hinweise auf die Witterungsentwicklung der kommenden Wochen und Monate. Wie Bauernregeln basieren sie auf jahrzehnte-, mitunter jahrhundertelangen Beobachtungen. Der hauptsächliche Unterschied zur bäuerlichen Vorhersage: Sie wurden nicht in Reimform überliefert.
Insbesondere Singularitäten – ungewöhnliche, aber häufig auftretende Witterungsbedingungen – waren Anlass, ein bestimmtes Datum oder eine zusammenhängende Folge von Tagen als Lostag zu bestimmen. Weitere bekannte Lostage oder -wochen außer der Schafskälte sind:
- 24. Juni, Johannistag: Das Wetter an diesem Tag galt als Vorbote für die Entwicklung der kommenden Wochen.
- 27. Juni, Siebenschläfer- oder Sieben-Brüder-Tag: Wie das Wetter an diesem Tag ist, soll es dem Volksmund zufolge sieben Wochen lang bleiben.
- 11. bis 15. Mai, die Eisheiligen: In diesem Zeitraum strömt ähnlich wie bei der Schafskälte polare Luft nach Mitteleuropa, die das milde Frühlingswetter unterbricht. Bleibt das Phänomen aus, kommt es Bauernregeln zufolge zu reichen Ernten.
- 29. September, Michaelistag: Schönes Wetter zu Beginn des sogenannten Altweibersommers soll auf einen milden, sonnigen Herbst deuten.
- 3. November, Hubertustag: Schneit es an diesem Tag, stehen die Chancen auf einen weißen November gut, denn: „Bringt Hubertus Schnee und Eis, bleibt’s den ganzen November weiß.“
- 25. Dezember, Weihnachtstag: Ein windiger Weihnachtstag soll eine reiche Ernte im Folgejahr schaffen.
Schafskälte: Bauernregeln und ihr Wahrheitsgehalt
Rund um das Datum der Schafskälte gibt eine Reihe von Bauernregeln, die das Wetter der folgenden Wochen vorhersagen. Vor allem der 11. Juni, St. Barnabas, ist Thema zahlreicher Vorhersagen:
- Regen an St. Barnabas, währet 40 Tage ohne Unterlass.
- Regnet es an Barnabas, schwimmen die Trauben bis ins Fass.
- Wenn Barnabas bringt Regen, so gibt es auch viel Traubensegen.
Das regnerische Wetter der Schafskälte soll demnach positive Auswirkungen auf die herbstliche Ernte haben. Doch stimmt das – und wie sicher ist es eigentlich, dass das Wetterphänomen auftritt?
Schafskälte: Wie wahrscheinlich tritt sie auf?
Bauernregeln beruhen auf jahrhundertelangen Beobachtungen. Viele stammen aus der Zeit des julianischen Kalenders, in dem das Jahr länger war als das Sonnenjahr. Die Daten lassen sich daher nicht mehr exakt auf unseren Kalender übertragen. Ein Beispiel ist der Siebenschläfertag am 27. Juni. Heute wird er eher auf den 7. Juli datiert.
Eine Tendenz zu nasskaltem Wetter lässt sich zwischen Anfang und Mitte Juni jedoch beobachten und das bereits seit vielen Jahrzehnten. Im Jahr 1949 wertete ein Forscherteam die Wetteraufzeichnungen der Jahre 1881 bis 1947 aus und kam zu dem Schluss: Die Schafskälte tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 89 Prozent auf.
Im Jahr 2020 hatte die Schafskälte einen pünktlichen Auftritt: Der erste Hitzetag des Jahres war der 2. Juni. Zwei Tage später strömte kühle Luft nach Mitteleuropa – am 4. Juni verzeichnete der Deutsche Wetterdienst einen Temperatursturz mit starken Gewittern und Regen. 2019 fiel die Schafskälte aus; es bliebt bei mildem Sommerwetter Mitte Juni.
Die Dauer der Schafskälte lässt sich nicht immer exakt eingrenzen. So sprach man ein Jahr zuvor, 2018, von einer „Mini-Schafskälte“: Die Temperaturen brachen relativ spät, nämlich am 21. Juni, ein. Von rund 30 sanken sie in jenem Sommer auf Werte zwischen 15 und 20 Grad, je nach Region. Das kühle Wetter hielt jedoch nur wenige Tage an. Bereits um den 23. Juni herum wurde es erneut wärmer.