Anzeichen für heftiges Erdbeben in Istanbul verdichten sich - Top-Geologe warnt: „Es ist ziemlich nah“
Experten sind sich schon lange sicher: Istanbul steht ein heftiges Erdbeben bevor. Neue Forschungsergebnisse untermauern die Annahme.
Istanbul - Bei dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien wird die Zahl der Toten unaufhörlich nach oben korrigiert. Zwar gibt es vereinzelt noch wundersame Rettungen, wie die eines unter den Trümmern geborenen Babys in Syrien, doch mit jeder Stunde schwindet bei Temperaturen um den Gefrierpunkt bei Rettern - auch aus Bayern starten Freiwillige ins Krisengebiet - die Hoffnung, noch Überlebende zu finden.
Ein Beben dieser Stärke und dieses Ausmaßes droht auch Istanbul. Da sind sich Experten sicher. Die Frage ist nicht ob, sondern wann. Es könnte sich in den nächsten Tagen ereignen oder erst in 20 Jahren. Die Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten. Nach dem jetzigen Erdbeben in der Türkei und Syrien wachsen nun auch in der Millionenmetropole am Bosporus die Sorgen.
Geologe Sengör warnt vor schwerem Erdbeben am Bosporus: „Ziehen Sie weg aus dem Zentrum Istanbuls!“
Das hat auch mit einem Unglück zu tun, das sich am 23. November 2022 ereignete. Damals bebte im 200 Kilometer östlich von Istanbul gelegenen Düzce die Erde. Dieses Beben sei „eine furchtbar schlechte Nachricht“, sagte damals der renommierte türkische Geologe Celal Sengör. Der 67-Jährige, der auch international großes Ansehen genießt, lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor an der Technischen Universität Istanbul.

Sengör sieht das Düzce-Beben (Stärke 5,9) als Vorboten eines bevorstehenden schweren Erdbebens am Bosporus. Im Anschluss hatte Sengör dem Sender Habertürk gesagt, dies sei „vielleicht die letzte Chance einer Warnung“. Dem Interviewer empfahl er gar: „Ziehen Sie weg aus dem Zentrum Istanbuls!“ Neben Italien und Griechenland ist die Türkei in Europa besonders erdbebengefährdet.
Erdbeben in Istanbul laut Experten „ziemlich nah“
Drastische Worte, von einem, der es wissen muss, und die er jetzt - nach dem Erdbeben in der Südost-Türkei - bei Habertürk wiederholte. „In Istanbul wird es ein Erdbeben geben, das ähnlich heftig wird, wie das jetzige. Unsere anfängliche Schätzung war 7,8 Magnitude“, sagte Sengör. „Es ist ziemlich nah“.
Seine Prognosen sind jetzt von Wissenschaftlern des Deutschen GeoForschungsZentrums untermauert worden. Das Team um Patrizia Martínez-Garzón konnte mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) viele kleinere Beben in der Gegend um die im Marmarameer gelegene Halbinsel Armutlu südlich von Istanbul identifizieren und auswerten, die bislang in den Messdaten verborgen blieben.
Forscher machen mithilfe von Künstlicher Intelligenz besorgniserregende Beobachtung
In Bohrlöchern wurden Seismometer platziert, welche die lokale Seismizität aufzeichneten. Mittels KI-Analyse wurde erstmals ein „starker Einfluss der gezeitenbedingten Wasserstandsänderungen auf die lokale Seismizität“ nachgewiesen, berichtete Martínez-Garzón dem TV-Sender Welt.
Die Daten zeigen: Die Zahl der kleinen Erdbeben steigt, wenn der Meeresspiegel nach einem Absinken wieder ansteigt. Die Schwankungen des Meeresspiegels konnten allerdings erst durch den Einsatz von KI entdeckt werden. Dieser Effekt bereitet den Forschern Sorge. „Wenn bereits solch geringe Spannungsschwankungen aufgrund von Veränderungen des Meeresspiegels ausreichen, um Seismizität auszulösen, könnte dies darauf hindeuten, dass die lokalen Verwerfungen in Armutlu kurz vor dem Versagen stehen“, bilanziert Martínez-Garzón.
Erwartetes schweres Erdbeben um Istanbul könnte bis zu 100.000 Todesopfer fordern
Die Region um Armutlu und Istanbul ist Teil des nordanatolischen Verwerfungssystems. Der Hauptarm der Verwerfung erstreckt sich direkt zwischen Istanbul und Armutlu. Zuletzt hatte sich dort 1999 ein Beben der Stärke 7,6 ereignet, das rund 20.000 Menschenleben forderte. Ein Erdbeben in der Region wäre auch heute verheerend. Allein in Istanbul leben rund 16 Millionen Menschen.
Nach einer Studie der Stiftung für urbane Transformation (Kentsev) könnte ein Beben der Stärke 7,1 bis 7,7 491.000 der 1,2 Millionen Gebäude in Istanbul zerstören. Etwa 13.000 Häuser könnten völlig einstürzen. Prognosen über Todesopfer liegen zwischen 40.000 und 100.000. Beim Beben im Südosten der Türkei und Syrien wurden bislang mehr als 11.000 Todesopfer gezählt (Stand: Mittwochmittag, 8. Februar). (mt)