„Historischer Wendepunkt“: Solarenergie statt Abhängigkeit von Gas?

Aus Sicht von Forschern bietet die Energiewende eine historische Chance, die Energieabhängigkeit Deutschlands zu reduzieren. Solaranlagen sind ein Teil der Lösung.
Berlin - Greta Thunberg sprach sich in der Energiekrise kürzlich gegen Kohlekraftwerke und für Atomkraftwerke aus - zumindest, wenn diese ohnehin schon laufen. Die Klimaaktivistin betonte aber auch, dass der Weg aus der Klimakrise langfristig nur über erneuerbare Energien führe - also etwa Wind- und Wasserkraft oder Solarenergie. Wie viel Gas kann Deutschland mit Solarenergie ersetzen? Aktuelle Studien zeichnen ein positives Bild.
Solarenergie deckt an sonnigen Tagen zeitweise zwei Drittel des deutschen Stromverbrauchs
Die Energiekrise, ausgelöst durch die russische Invasion in die Ukraine, kann die Energiewende beschleunigen. Das geht auch aus dem Jahresbericht der Internationalen Energieagentur (IEA) vom Donnerstag hervor. Würden die Staaten ihre jetzigen Pläne umsetzen, könnte das die weltweiten Investitionen in saubere Energien bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent steigern, hieß es. Der IEA-Direktor Fatih Birol sprach von einem „historischen und endgültigen Wendepunkt hin zu sauberen, erschwinglicheren und sicheren Energiesystemen.“
Ähnlich äußern sich auch Forscher des Frauenhofer Instituts. Sie untersuchten in einer aktuellen Studie von Mitte Oktober den Einfluss der Solarenergie auf die Energiewende. Schon heute liefert Photovoltaik demnach einen relevanten Beitrag zur Stromversorgung in Deutschland: Im Jahr 2021 gab es hierzulande bereits 2,2 Millionen Solaranlagen mit einer installierten Leistung von 59 Gigawatt, die 8,9 Prozent des nationalen Bruttostromverbrauchs deckten. An sonnigen Tagen lag der Anteil zeitweise bei über zwei Drittel, so das Frauenhofer Institut. Alle erneuerbaren Energien zusammengenommen kamen auf etwa 42 Prozent des nationalen Stromverbrauchs.
Preise für Solaranlagen fielen um 90 Prozent innerhalb von zehn Jahren - und sinken weiter
Gleichzeitig sanken die Preise für Photovoltaik-Module zwischen den Jahren 2010 und 2020 um 90 Prozent. Deshalb können auch kleine Photovoltaik-Anlagen nach Ansicht der Forscher des Frauenhofer Instituts „attraktive Renditen“ einbringen. Die Wissenschaftler erwarten, dass die Preise für Solarenergie dank Skalen- und Lerneffekten sowie des technologischen Fortschritts weiter fallen.
Ein Beispiel für Innovation in dem Bereich sind neue Ansätze beim Aufstellen der Solarmodule. Bislang sind Solaranlagen in Richtung Süden ausgerichtet, um die Stromgewinnung um die Mittagszeit zu optimieren. Doch eine Ost-West-Ausrichtung und ein vertikaler Aufbau könnten einer im August veröffentlichten Studie von Forschern der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur zufolge auch in den Morgen- und Abendstunden Solarstrom erzeugen. Damit wären geringere Speicherkapazitäten nötig und die Nutzung von Gaskraftwerken würde sinken.

Erdgas keine Brückentechnologie: Methanemissionen von Erdgas womöglich unterschätzt
In der Energiekrise versucht die Politik kurz vor dem Winter Maßnahmen zu ergreifen, die Auswirkungen fehlenden Gases aus Russland einzugrenzen. Direkten Einfluss hat Deutschland darauf, die Nachfrage anzupassen. Deshalb rufen Politiker vermehrt zum Sparen auf. Deutschland werde eine Gasnotlage im Winter ohne mindestens 20 Prozent Einsparungen im privaten, gewerblichen und industriellen Bereich kaum vermeiden können, betonte auch Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur.
Doch auch auf der Angebotsseite soll gedreht werden. Deshalb sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Ampel-Streit um den Weiterbetrieb der noch verbliebenen drei Atomkraftwerke in Deutschland ein Machtwort und auch die Erdgasinfrastruktur wird ausgebaut. So sollen beispielsweise drei neue Flüssiggas-Terminals an der deutschen Küste zum Jahreswechsel ihre Arbeit aufnehmen. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht womöglich keine gute Idee.
Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung warnen, dass Erdgas keine Brückentechnologie sei. In einer im Juli in der Fachzeitschrift Nature erschienenen Studie bezeichnen die Wissenschaftler die Auswirkungen von Gas auf die Umwelt als ähnlich schädlich wie Kohle oder Öl. Methan ist eines der bedeutendsten Klimagase. Die Methanemissionen von Erdgas seien bislang womöglich unterschätzt worden und der Ausbau der Erdgasinfrastruktur gefährde die Energiewende, so die Studie.
Die Sonne scheint auch in Deutschland: Neue Abhängigkeit in der Energieversorgung vermeiden
Wenn die Kosten für Risiken und Lasten von nuklearer und fossiler Stromerzeugung eines Tages in die Strompreise einfließen, werde es dazu kommen, dass die Photovoltaik-Stromerzeugung günstiger werden. „Bis wir so weit sind, wird fossiler und nuklearer Strom zu Preisen verkauft, die seine externen Kosten verschleiern und als Hypothek in die Zukunft abschieben“, so die Forscher des Frauenhofer Instituts. Wenn Deutschland eine neue Abhängigkeit in der Energieversorgung vermeiden will, muss das Land in die Photovoltaik-Produktion investieren, lautet das Resümee der Forscher. „Mit fortschreitender Energiewende wird Deutschland das ‚fossile‘ Jahrhundert hinter sich lassen, ein Jahrhundert, in dem wir jährlich bis zu 90 Milliarden Euro für Öl- und Gasimporte ausgeben.“
„Die Sonne scheint auch in Deutschland“, schlussfolgert die Studie des Frauenhofer Instituts pragmatisch. Die Energiewende biete eine historische Chance, aus ökonomischen und politischen Abhängigkeiten auszusteigen. Auch Rohstoffe für die Produktion von Photovoltaik-Anlagen seien hierzulande verfügbar und die Technologien zur solaren Stromerzeugung seien in Deutschland maßgeblich mitentwickelt worden. Das Fazit ist laut Forschern offenbar klar: „Eine PV-Produktion in Deutschland bietet langfristige Versorgungssicherheit bei hohen Umwelt-, Sozial- und Qualitätsstandards.“ Von 59 Gigawatt im Jahr 2021 müsste die installierte Leistung in Deutschland auf 300 bis 450 Gigawatt steigen. Dafür wäre ein jährlicher Zubau von 12 bis 20 Gigawatt nötig. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 kamen 5,3 Gigawatt hinzu. Auch in Kriegszeiten sollten wir die Folgen der Klimakrise nicht aus dem Blick verlieren, warnte Greta Thunberg kürzlich: „Jeder Krieg ist ein Desaster. Auf ganz vielen Ebenen. Aber wir müssen in der Lage sein, uns mit verschiedenen Dingen zur selben Zeit zu beschäftigen.“