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Heilsbringer „Totimpfstoff“? Studien zu Novavax und Valneva lassen aufhorchen

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Von: Jonas Raab

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Mit Novavax und Valneva könnten bald zwei neue Vakzine zugelassen werden, die landläufig als „Totimpfstoffe“ bezeichnet werden. So funktionieren sie. Und wirken sie auch?

München - Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2020 erhielt eine 101-jährige Frau die erste Corona-Impfung in Deutschland. 72,6 Prozent der Bevölkerung (Stand: 13. Dezember) haben es der Heimbewohnerin aus Halberstadt gleichgetan und sich mindestens einmal gegen Covid impfen lassen – zu wenig, wie Experten prophezeit und die ersten Wintermonate bestätigt haben.

Ein beträchtlicher Teil der deutschen Bevölkerung steht der Covid-Impfung nach wie vor skeptisch gegenüber. Bei manchen, den Querdenkern, scheint sich das auch nicht mehr zu ändern. Bei anderen, den Skeptikern, heißt es nicht selten, dass sie Langzeitstudien vermissen – oder auf einen Totimpfstoff warten, wie man ihn beispielsweise aus Hepatitis- oder Poliovakzinen kennt. Laut einer Befragung der Universität Erfurt schätzen Impfskeptiker solche Präparate als sicherer ein. „Warum auch immer“, kommentiert Gesundheitsminister Karl Lauterbach dieses Phänomen kürzlich bei Twitter.

Novavax und Valneva: Zwei neue Impfstoffe in den Startlöchern

Mit den Covid-19-Impfstoffen „Nuvaxovid“ des US-amerikanischen Herstellers Novavax und dem Vakzin „VLA2001“ des französischen Pharmaunternehmens Valneva stehen nun zwei solcher Totimpfstoffe kurz vor der EU-Zulassung. Beide werden aktuell ausgiebig getestet und nähren die Hoffnung auf einen „Impfboost“ bei bisher Unentschlossenen – ein Totimpfstoff ist allerdings nur eines der beiden Vakzine und erste Studien kratzen etwas am Heilsbringer-Image der Präparate.

Wo liegt der Unterschied? Und was sind Totimpfstoffe überhaupt? Nach gängiger Definition bestehen sie entweder aus inaktivierten Erregern oder Erregerbestandteilen. Das gilt für den französischen Valneva-Impfstoff genau wie für Novavax – und genaugenommen auch für mRNA- und Vektorimpfstoffe, denn vermehren können sich auch ihre Bestandteile nicht. Unterschiede gibt es dennoch; sie liegen in der Wirkweise der einzelnen Vakzine.

Das ist der Unterschied zwischen mRNA-, Vektor- und Totimpfstoffen

mRNA-Impfstoffe (zum Beispiel Biontech oder Moderna) enthalten Genabschnitte des SARS-CoV-2-Virus in Form von messenger-RNA (kurz mRNA), die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Ausgehend von der mRNA werden nach Verimpfung in Körperzellen Proteine hergestellt, die dann das Immunsystem zu einer gezielten Antikörperbildung gegen SARS-CoV-2 und einer zellulären Abwehr gegen SARS-CoV-2-infizierte Zellen anregen und so eine Immunreaktion erzeugen. Eine Immunreaktion anregende Proteine werden als Antigene bezeichnet.

Vektorbasierte Impfstoffe (zum Beispiel AstraZeneca) bestehen aus für den Menschen harmlosen Viren, die gentechnisch so verändert sind, dass sie in ihrem Genom die genetische Sequenz mit dem Bauplan für einen oder mehrere Bestandteile des Erregers (Antigen) enthalten, gegen den der Impfstoff gerichtet ist. Die Covid-19-Vektorimpfstoffkandidaten enthalten ungefährliche, gut untersuchte Trägerviren, in deren Genom ein Gen eingebaut wurde, das den Bauplan für das SARS-CoV-2-Oberflächenprotein, das Spikeprotein, enthält.

Totimpfstoffe enthalten keine vermehrungsfähigen Viren. Sie enthalten abgetötete Erreger oder Erreger-Bestandteile, die sich weder vermehren, noch eine Erkrankung auslösen können. „Der Totimpfstoff heißt Totimpfstoff, weil er sich im Körper nicht vermehrt. Das, was in der Spritze drin ist, das allein wirkt quasi als Impfstoff“, erklärt Martina Sester, Professorin für Immunologie an der Universität des Saarlandes, gegenüber br.de.

Im Gegensatz zum ganz klassischen Totimpfstoff Valneva ist Novavax ein rekombinanter Proteinimpfstoff, wie Florian Krammer, Professor für Impfstoffkunde, kürzlich auf Twitter klarstellte. „Stimmt zwar. Aber weil so viele Ungeimpfte nur Totimpfstoff wollen, warum auch immer, wird bald erhältliches Novavax als solcher bezeichnet“, antwortete Lauterbach.

Sei’s drum. Novavax besteht jedenfalls aus dem Spikeprotein, das auf der Oberfläche des Coronavirus sitzt und wurde mithilfe gentechnischer Methoden hergestellt. „Im Prinzip werden fast alle Impfstoffe heutzutage, und auch viele Medikamente, mithilfe gentechnischer Verfahren oder mindestens modernster Labortechnik hergestellt“, erklärt Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Charité Berlin im Spiegel.

Novavax ist im Gegensatz zu Valneva kein Totimpfstoff - doch sie haben eine Gemeinsamkeit

Der Unterschied zwischen den Covid-19-Impfstoffen bestehe im Wesentlichen darin, dass der inaktivierte Impfstoff von Valneva und der Proteinimpfstoff von Novavax – im Gegensatz zu den bereits zugelassenen Vakzinen –, mit Wirkverstärkern versetzt werden müssten, damit sie eine verlässliche Immunantwort erzeugen, so der Impfstoffexperte weiter. Nötig sind solche Verstärker, weil der Körper nach einer Totimpfstoff-Spritze sonst relativ wenige Antikörper bildet und auch die T-Zellantwort schwach ausfällt.

novavax Tot Impfstoff
Novavax wird landläufig als Totimpfstoff bezeichnet, ist eigentlich aber ein „rekombinanter Proteinimpfstoff“. © Sven Simon/imago

Sowohl der Totimpfstoff Valneva als auch das Protein-basierte Vakzin Novavax haben in ersten Studien ansehnliche Ergebnisse abgeliefert. Novavax reduziert das Risiko einer symptomatischen Covid-Erkankung demnach um mindestens 86 Prozent. Valneva erzielte – im Gegensatz zu Novavax schon zu Delta-Zeiten – die gleichen Ergebnisse wie AstraZeneca.

Novavax und Valneva: Direkte Vergleiche mit Biontech, AstraZeneca und Co. fehlen noch

Beide Impfstoffe seien nach den bisher bekannten Daten gut verträglich, sagt Impfstoffexperte Sander im Spiegel. „Direkt vergleichbare Daten zur Grundimmunisierung mit mRNA- und Vektorimpfstoffen fehlen aber noch.“ Einen großangelegten Vergleich der neuen Impfstoffe mit Biontech, Astra und Co. gibt es derzeit nur zur Boosterwirkung – also dem Einsatz als Drittimpfung.

Alle Booster haben funktioniert, die mRNAs jedoch mit Abstand am besten abgeschnitten.

Leif Erik Sander

2900 grundimmunisierte Personen in Großbritannien bekamen entweder einen der vier zugelassenen Impfstoffe oder Novavax beziehungsweise Valneva verabreicht. Moderna schnitt am besten am, Valneva am wenigsten gut. „Alle Booster haben funktioniert, die mRNAs jedoch mit Abstand am besten abgeschnitten“, fasst Sander im Spiegel zusammen. „Ich hätte eigentlich auch erwartet, dass der Proteinimpfstoff von Novavax die Antikörpertiter ähnlich stark erhöht. Das war in der Studie aber nicht der Fall“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité.

Wie gut wirken Novavax und Valneva? Fachleute äußern Befürchtung

Laut Spiegel gehen Fachleute zudem davon aus, dass Totimpfstoffe wie Valneva bei der Omikron-Variante gegenüber Vektor- und mRNA-Vakzinen im Nachsehen sind. Dazu zitiert das Nachrichtenmagazin den Impfstoffexperten Florian Krammer: Mehr Sorgen als um die breit angewendeten Vakzine mache er sich bei Omikron um „die inaktivierten Impfstoffe“ – also um Valneva und Novavax, heißt es.

Es gibt einen weiteren Wehrmutstropfen; ihn liefert die eingangs erwähnte Befragung der Universität Erfurt zur Impfbereitschaft. „Es sollte nicht damit gerechnet werden, dass sich ein Großteil der bislang ungeimpften Personen mit einem möglicherweise zukünftig verfügbaren Totimpfstoff impfen lassen wird“, heißt es darin. (jo)

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