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Alternativen zu russischem Gas - Experte über LNG in Deutschland: „Da müssen wir noch nachholen“

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Von: Matthias Schneider

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Pumpstation der „Druschba“-Pipeline in Belarus
Arbeiter an einer Pumpstation der „Druschba“-Pipeline in Belarus. © AP/dpa/Sergei Grits

Kann Europa sich aus der Abhängigkeit vom russischen Erdgas lösen? Thomas Peiß, Analyst bei der BayernLB, erläutert die aktuellen Möglichkeiten im Interview.

Herr Peiß, angesichts des Krieges in der Ukraine haben sich die Preise für Termingeschäfte im Sommer und Winter beinahe verdoppelt. Rechnen Sie mit einem Komplettausfall der Lieferungen?

Nein, denn damit würde sich Putin ins eigene Fleisch schneiden. Auch von westlicher Seite wird man ihn mit einem Importstopp nur bedingt treffen, weil er auf großen Geldreserven sitzt und China ist ein dankbarer Abnehmer für sein Erdgas. Aber um entsprechende weitere Pipelines nach Osten zu bauen, verginge viel Zeit, in der er keine Devisen erwirtschaften kann. Allerdings könnte er versuchen, seine Flüssiggas-Kapazitäten Richtung China zu erhöhen, um dadurch Ertragsausfälle aus europäischen Gaslieferungen teilweise oder ganz zu kompensieren.

Viele Politiker wollen mögliche Defizite mit Flüssiggas (LNG) auffangen. Welche Mengen sind gerade auf dem Weltmarkt verfügbar?

2020 waren etwa 500 Milliarden Kubikmeter LNG auf dem Weltmarkt, das meiste aus den USA, Katar, Australien und Russland. Nur etwa 37 Prozent des LNGs war auf dem Spotmarkt verfügbar, also frei verkäuflich. Der Rest ist in langfristigen Lieferverträgen gebunden, vor allem in Asien. Langfristig heißt im Beispiel Katar übrigens 20 Jahre. Demnach stehen Abnehmern wie Europa rein rechnerisch 185 Milliarden Kubikmeter zur Verfügung. Darüber hinaus wollen die USA ihre Produktion kurzfristig hochschrauben, bis zur Mitte des Jahrzehnts um ein Drittel. Außerdem hat Australien angeboten, im Falle eines russischen Totalausfalls mit seinem Abnehmer Japan zu verhandeln. Die japanischen Speicher sind gut gefüllt und könnten zeitweise Lieferausfälle verkraften. Russland liefert bisher rund 40 Prozent des europäischen Gasbedarfs, in Zahlen sind das etwa 190 Milliarden Kubikmeter, die es zu ersetzen gilt. Aber: Die Preise am Spotmarkt sind nachfragegetrieben, können also beliebig hoch steigen.

Reicht die Infrastruktur, um entsprechend große Mengen LNG hier anzulanden?

In Europa gibt es derzeit 36 Hafenterminals, an denen Flüssiggas per Tanker angeliefert und regasifiziert werden kann. Keines davon ist in Deutschland. Bisher können pro Jahr rund 165 Milliarden Kubikmeter Erdgas verarbeitet, also in die Verteilnetze eingespeist werden. Da müssen wir noch nachholen. Außerdem kann es strategisch sinnvoll sein, ein eigenes LNG-Terminal zu bauen. Wenn Russland das Gas abdrehen würde, wären wir derzeit voll davon abhängig, ob wir das LNG bekommen, dass etwa in Südeuropa oder in Großbritannien angelandet wird.

Können wir uns vom LNG Erleichterung erwarten, was die mittelfristigen Gaspreise angeht?

Nein, weil die großen Kontingente in langen Verträgen gebunden sind, müssen wir am Spotmarkt einkaufen. Dort bestimmt nur der Preis, wer beliefert wird. Wir stehen in starker Konkurrenz zu Asien, wo gerade die Kohle durch Gas ersetzt werden soll. Japan und China haben 2020 etwa so viel LNG bezogen wie ganz Europa. Deshalb müssen wir am Spotmarkt immer mehr bezahlen, als in Asien geboten wird. 2020 etwa lag der LNG-Preis in Japan fast beim Doppelten der deutschen Gas-Importpreise. Mit den aktuellen deutlichen krisenbedingten Preisaufschlägen bei Gas dürfte sich die Preisdifferenz zwischen LNG und Pipelinegas aber einengen.

Gibt es andere Länder, die Pipelinegas liefern könnten?

Es gibt einige Möglichkeiten in Europa selbst. Norwegen hatte angekündigt, bereits auf Volllast zu liefern, will jetzt aber 18 Milliarden Euro in neue Projekte investieren. In der Nordsee liegt ein Gasfeld, dass Deutschland und die Niederlande gemeinsam erschließen könnten, das wollte die Bundesregierung bisher aus Umweltschutzgründen nicht. Auch Italien könnte fünfmal so viel Gas fördern wie bisher. Dort gibt es Felder vor Sizilien. Spannend ist auch die Förderung vor der israelischen Küste: Von dort sollen ab 2026 per Pipeline zehn Milliarden Kubikmeter geliefert werden.

Wird es bei so vielen Lieferanten Wettbewerbsvorteile für Deutschland geben?

Betrachtet man den jetzigen Markt, sieht man vor allem jahrelange Kontrakte. Wenn Europa sichere Energie will, muss es sich darauf einlassen. Was passiert, wenn man sich zu kurzfristig bindet, sieht man an der aktuellen Lage.

Die Aussichten für die kommende Heizsaison sind wenig rosig. Was kann Deutschland kurzfristig tun?

Möglichst unabhängig von Importen werden. Dazu gehört auch, jetzt so viel Gas zu sparen wie möglich und günstige Gelegenheiten zu nutzen, um die Speicher zu füllen. Einen Beitrag können die Erneuerbaren Energien leisten. Wir hatten beispielsweise im Februar solche Leistungsspitzen bei der Windkraft, dass der Strompreis deswegen gegen null ging. Würde man mit der überschüssigen Energie synthetisches Methan erzeugen, könnten wir dieses dem Erdgas zum Heizen beimengen. Auch Solarthermie, also die Wärme aus Sonne, bietet großes Einsparpotenzial. Problematisch ist aber die Stromversorgung. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen Gaskraftwerke mit 20 Gigawatt Leistung zugebaut werden, um Atomstrom und Kohle zu ersetzen. Das wird den Bedarf wieder erhöhen.

Das Interview führte Matthias Schneider.

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