Bürgergeld und Arbeit im Vergleich: In vielen Fällen lohnt sich der Mindestlohn-Job nicht
Kritiker monieren, dass sich Arbeiten nicht mehr lohnen würde, wenn man Bürgergeld bezieht. Berechnungen zeigen: Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Abstand zum Mindestlohn ziemlich gering.
Kiel/Berlin – Zum ersten Januar 2023 soll das Bürgergeld das bisherige Hartz-IV-System ersetzen. Mit der Reform kommen auch ein höherer Regelsatz und weitere Lockerungen auf Bezieher zu. Doch besonders Arbeitgebervertreter haben in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass das Bürgergeld keinen Anreiz mehr zum Arbeiten bieten würde. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betonte jedoch: „Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeit sich lohnt.“
Anmerkung der Redaktion
Das ifw hat die Berechnung mittlerweile wieder offline genommen. Erklärt wurde dieser Schritt folgendermaßen: „Illustriert werden soll nur der mangelnde Abstand zwischen Lohneinkünften und Bürgergeld. Eine ergänzte Version wird die Hinweise berücksichtigen, um Fehlinterpretationen vorzubeugen. Daher wird die Erstversion zunächst von der Website genommen.“
Bürgergeld: So hoch fallen die Leistungen insgesamt aus
Jetzt zeigen Berechnungen von Forschern des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (ifw) aber, dass der Lohnabstand in vielen Fällen ziemlich gering, beziehungsweise nicht gegeben ist. Die Ökonomen Denis Haak und Ulrich Schmidt haben verschiedene Einkommen mit zwölf Euro Mindestlohn und die Bürgergeld-Leistungen der gleichen Haushalte gegenübergestellt. Die folgende Tabelle zeigt, wie hoch die Leistungen für Bürgergeld-Bezieher ausfallen. Dabei wurden die Leistungen für Musterhaushalte mit einem und zwei Erwachsenen und null bis drei Kindern berechnet.
Bürgergeld und Job mit Mindestlohn im Vergleich
Aus der zweiten Tabelle lässt sich schließlich ablesen, wie viel ein Erwachsener mit einem 40-Stunden-Job und zwölf Euro Mindestlohn zur Verfügung hat. Hierbei wurden auch wieder die gleichen Haushalte zum Vergleich herangezogen, wie in der Bürgergeld-Berechnung. Bei den Haushalten mit zwei Erwachsenen wird nur von einem Vollzeit-Arbeitenden ausgegangen.
Die Ergebnisse zeigen, dass der Lohnabstand bei einem Single ohne Kinder im Vergleich zum Bürgergeld noch am größten ist. Mit steigender Anzahl der Kinder schrumpft dieser dann jedoch. Bei zwei Erwachsenen hat man mit dem Bürgergeld in jedem Fall mehr Geld zur Verfügung – egal ob mit Kindern, oder ohne. Bei drei Kindern im Alter von über 14 Jahren ist der Abstand am deutlichsten.
Die Ergebnisse verdeutlichen laut Haak und Schmidt vor allem eins: „Die erhöhten Sätze des Bürgergeldes in Verbindung mit geringerem Druck zur Arbeitsaufnahme werden in vielen Fällen dafür sorgen, dass die Arbeitsanreize viel zu gering sind, um zum Verlassen der Grundsicherung […] zu motivieren.“ Die Forscher befürchten infolgedessen eine Verschärfung des ohnehin schon kritischen Fachkräftemangels. „Die jetzigen Regelungen gefährden jedenfalls den Wirtschaftsstandort Deutschland in gefährlicher Weise“, warnen sie.
Bürgergeld: Union warnt vor „falschen Signalen“
Diese Befürchtung teilt auch die Union. Sie droht sogar, das Bürgergeld zu blockieren, sollten keine Änderungen vorgenommen werden. Laut den Ampel-Plänen sollen in den ersten beiden Jahren des Bürgergeld-Bezugs die tatsächlichen Kosten der Wohnung anerkannt werden, auch wenn diese größer und teurer ist und über dem als „angemessen“ eingestuften Niveau liegt. Der Druck, sich schnell eine kleinere Wohnung zu suchen, fällt damit weg. Vermögen bis 60.000 Euro und für jede weitere Person im Haushalt bis 30.000 Euro sollen nicht angerechnet werden. Möglichkeiten zur Kürzung von Leistungen sollen mit dem Gesetz in den ersten sechs Monaten („Vertrauenszeit“) eingeschränkt werden, wenn beispielsweise eine zumutbare Arbeit nicht angenommen wird.
Unionspolitiker halten das für „falsche Signale“, sehen „tiefgreifenden Webfehlern“ und warnen davor, dass durch die Bürgergeld-Regeln der Anreiz sinkt, eine Arbeit aufzunehmen, anstatt staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Laut Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gingen die Bürgergeld-Pläne in die „grundfalsche Richtung“ und würden „absolut sozial ungerechte Auswirkungen“ haben.
Ampel-Politiker weisen die Kritik zurück. Betroffene sollten „den Kopf frei haben, sich zu qualifizieren und weiterzubilden, neue Arbeit zu suchen“. Sie sollten sich nicht rumschlagen müssen mit dem Aufbrauchen von Vermögenswerten oder dem Auszug aus der bisher bewohnten Wohnung, verteidigte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Montag (31. Oktober) im Deutschlandfunk die Pläne. (ph/dpa)