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Bundesarbeitsgericht kippt Tarifeinheit

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Erfurt - In deutschen Betrieben können künftig parallel verschiedene Tarifverträge gelten. Das Bundesarbeitsgericht hob den Grundsatz “Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ auf.

Das Urteil gilt als Sieg für kleine Spartengewerkschaften. DGB-Chef Michael Sommer und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hatten schon am 4. Juni eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit gefordert. Das Bundesarbeitsgericht machte unter anderem verfassungsrechtliche Bedenken geltend.

Der Zehnte Senat erklärte, es gebe keinen Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen könnten. Er schloss sich damit der Rechtsausfassung des Vierten Senats an, der schon zu Jahresbeginn die Abkehr von der Tarifeinheit angekündigt hatte. Die Entscheidung betrifft konkret einen Klinikarzt, der seinen Arbeitgeber auf Zahlung eines Urlaubsaufschlages nach Bundesangestellten-Tarifvertrag verklagte.

Das Krankenhaus argumentierte, dass der Tarifvertrag durch eine speziellere Einigung mit der Spartengewerkschaft Marburger Bund verdrängt worden sei. Die Richter gaben dem Mediziner recht. Die Verdrängung eines geltenden Tarifvertrags nach dem Grundsatz der Tarifeinheit ist demnach in diesem Fall nicht mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit zu vereinbaren. “Die aus einer Tarifpluralität möglicherweise erwachsenden Folgen, zum Beispiel für Arbeitskämpfe, sind im Bereich des Arbeitskampfrechts zu lösen“, schrieben die Richter im Januar.

Dumping-Tarife befürchtet

Der Marburger Bund begrüßte das Urteil: “Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit darf durch Tarifkartelle welcher Art auch immer nicht ausgehebelt werden“, sagte der Vorsitzende Rudolf Henke. Er wies in der “Frankfurter Rundschau“ die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit zurück. “Der DGB will seine Konkurrenz bremsen und behindern“, kritisierte Henke. Und die Arbeitgeber wollten “möglichst bequeme Verhältnisse“. Die SPD forderte die Bundesregierung auf, die Tarifeinheit schnell gesetzlich vorzuschreiben.

Der stellvertretende Parteichef und frühere Bundesarbeitsminister Olaf Scholz sagte zu Handelsblatt Online, die Tarifeinheit sei “ein wichtiges Fundament der Sozialpartnerschaft in Deutschland“. SPD-Generalsekretärin Andreas Nahles kritisierte, das Ende der Tarifeinheit führe die Ellbogengesellschaft in die Betriebe. “Einerseits wird zweifelhaften 'Pseudogewerkschaften' der Weg zu Dumpingtarifverträgen weiter erleichtert, und auf der anderen Seite werden Einzelgewerkschaften von spezialisierten Berufsgruppen das Beste nur für sich herausholen.“

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bemängelte an der Gerichtsentscheidung: “Damit bieten selbst geltende Tarifverträge keinen Schutz mehr vor Arbeitskämpfen. Wenn konkurrierende Gewerkschaften jederzeit den Betriebsfrieden gefährden können, geht ein entscheidender Vorteil der Flächentarife insgesamt verloren.“ Ähnlich äußerte sich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). “Während der Laufzeit eines Tarifvertrages muss Verlässlichkeit und Arbeitsfrieden gegeben sein. Dies setzt die uneingeschränkte Weitergeltung des Grundsatzes der Tarifeinheit voraus.

Es darf nicht die Gefahr ständiger Tarifauseinandersetzungen und Streiks bestehen.“ Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der DGB wollen gemeinsam erreichen, dass in einem Betrieb mit konkurrierenden Tarifverträgen nur derjenige der Mehrheitsgewerkschaft angewendet wird. Für die Dauer dieser vorrangigen Tarifvereinbarung bestünde für alle Gewerkschaften Friedenspflicht.

“Was wir jetzt nicht brauchen, ist eine neue Krise an der Tariffront“, erklärte DGB-Chef Sommer in Vancouver. “Die Betriebe und Belegschaften leiden ohnehin unter der Wirtschaftskrise und der anhaltenden Sorge um den Arbeitsplatz.“

Grit König

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