Schwere Vorwürfe im Tönnies-Skandal: Jetzt geht der Fleischkonzern in die Offensive - „Völlig normaler Vorgang“
Will der vom Corona-Skandal gebeutelte Fleischkonzern Tönnies das geplante Arbeitsschutzkontrollgesetz umgehen? Das Unternehmen gibt prompt eine Stellungnahme zu den Vorwürfen heraus.
- Das Bundeskabinett hat den Entwurf des Arbeitsschutzkontrollgesetzes verabschiedet.
- Langfristig könnten die Folgen des Tönnies-Skandals 90 Prozent aller Unternehmen treffen.
- Der Fleischkonzern sieht sich indes mit neuen Vorwürfen konfrontiert - und geht in die Offensive.
Update vom 30. Juli, 11.47 Uhr: Deutschlands größter Fleischverarbeiter Tönnies weist jüngste Vorwürfe von sich. Der Konzern, der wegen eines Corona-Ausbruchs in seinem Werk in die Schlagzeilen kam, wird verdächtigt, mit Firmenneugründungen die Abschaffung von Werksverträgen und Leiharbeitern in der Branche ab 2021 umgehen zu wollen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte davon gesprochen, damit der „organisierten Verantwortungslosigkeit“ ein Ende setzen zu wollen (siehe Erstmeldung).
Tönnies hatte zuletzt 15 sogenannte Vorratsgesellschaften am Amtsgericht Gütersloh für die Firmenzentrale in Rheda-Wiedenbrück ins Handelsregister eintragen lassen. „Wir haben angekündigt, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kernbereichen der Produktion direkt anzustellen. Dabei bleibt es uneingeschränkt. Wir sind bereits mitten in diesem Prozess, da wir Mitte September die ersten 1000 ehemals Werkvertragsarbeiter fest eingestellt haben wollen“, sagte ein Konzernsprecher dazu nun der dpa.
Corona-Skandal/Tönnies zu Firmenneugründungen: „Völlig normaler Vorgang“
Die Gründung dieser Vorratsgesellschaften sei ein völlig normaler Vorgang in einem internationalen Konzern. „Für die Festanstellungen braucht es rechtliche Grundlagen. Es ist momentan noch völlig unklar, welche Organisationsformen das geplante Gesetz vorsieht. Vorsorglich haben wir deshalb diese Gesellschaften gegründet“, sagte der Sprecher. Mit diesen Gesellschaften könne Tönnies Direkteinstellungen an verschiedenen Standorten und für die verschiedenen Gesellschaften im Konzern schnell umsetzen.
Unterdessen wurde in Deutschland der erste Fall der Afrikanischen Schweinepest bestätigt.

Tönnies-Skandal hat enorme Folgen für die Wirtschaft - Arbeitsminister Heil will „aufräumen, und zwar gründlich“
Erstmeldung vom 29. Juli: Nach dem Coronavirus-Skandal beim Fleischkonzern Tönnies hat das Bundeskabinett laut Regierungskreisen am Mittwoch den Entwurf des Arbeitsschutzkontrollgesetzes verabschiedet. Die Fleischindustrie ist in der Corona-Krise in die Kritik geraten, weil zahlreiche Mitarbeiter auf Schlachthöfen positiv getestet wurden.
Oft waren diese nicht direkt bei den Firmen, sondern bei Subunternehmern angestellt - wodurch häufig keine guten Arbeitsbedingungen und kein ausreichender Schutz vor dem Coronavirus* gewährleistet waren. Denn die Werkverträge werden nicht selten genutzt, um Kosten zu sparen. Etwa weil die Arbeitskräfte ähnliche Aufgaben wie Angestellte erledigen, jedoch zu schlechteren Konditionen wie etwa Mindestlohn statt Tariflohn.
Tönnies-Skandal: Regierung verbietet Werkverträge
Demnach sollen Werkverträge in der Fleischindustrie bald nicht mehr erlaubt sein. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat das geplante Verbot gegen Kritik verteidigt. „Wichtig ist, dass wir Werkverträge und Leiharbeit in dieser Branche verbieten, damit ein Unternehmen verantwortlich ist“, sagte der Minister am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Das geplante Arbeitsschutzkontrollgesetz gewährleiste, „dass wir Verantwortlichkeit klar machen können“. Allerdings sei neben schärferen Gesetze, auch deren Kontrolle sehr wichtig, wie Heil erklärte.
Konkret besagt das Verbot, dass künftig nur noch Angestellte des eigenen Betriebs Tiere schlachten und zerlegen dürfen. Weiter wird es Mindestanforderungen für die Unterbringung von Beschäftigten in Gemeinschaftsunterkünften auch außerhalb des Unternehmensgeländes - nicht nur für die Fleischindustrie, sondern branchenübergreifend.
„Wir wollen, dass Menschen festangestellt werden und dass Gesundheitsschutz, Arbeitsschutz und faire Arbeitsbedingungen auch gewährleistet sind“, legte Heil die Ziele des geplanten Gesetzes dar. In den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, dass „durch diese Art von Sub-Sub-Sub-Unternehmertum Verantwortung nicht übernommen wurde“. Das sei „vor Corona* schon eine Katastrophe“ gewesen und habe nun zu einem Risiko vor dem Hintergrund der Pandemie geführt. „Deshalb will ich da aufräumen, und zwar gründlich.“
Corona-Tönnies-Skandal mit Konsequenzen: Verbot von Werkverträgen - doch es gibt Ausnahmen
Bundeslandwirtschaftswirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ist erleichtert, dass kleinere Betriebe vom geplanten Verbot von Werksarbeitsverträgen in der Fleischindustrie ausgenommen sein werden. Erst ab 50 Beschäftigten seien Werkverträge verboten. So werde das regionale Fleischhandwerk gestärkt, wie Klöckner betonte. Den Beschluss an sich beführwortete Glöckner: „Mit dem Beschluss heute haben wir der unhaltbaren Praxis des Subunternehmertums in der Fleischwirtschaft einen Riegel vorgeschoben.“ Es werde „klare Verantwortlichkeit statt Kaskaden von Schattenunternehmen“ geben.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) begrüßt das vom Kabinett beschlossene Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie ebenfalls und bezeichnete es als „historisch“. Denn Werkverträge und Leiharbeit seien in dieser Branche erstmals untersagt, wie der Vize-Gewerkschaftsvorsitzende Freddy Adjan erklärte. Im Gegensatz zu Glöckner hingegen bewertete er die Ausnahme für kleinere Beitriebe als „nicht nachvollziehbar“. Auch, dass Leiharbeit noch bis Ende März erlaubt bleiben soll, kritisierte er.
Tönnies-Skandal hat enorme Folgen für die Wirtschaft
Zunächst ist das Verbot von Werkverträgen auf die Fleischindustrie begrenzt, da der Corona*-Skandal die Dringlichkeit in dieser Branche deutlich gemacht hat. Jedoch hat Heil bereits angekündigt, auch andere Branchen zu prüfen. „Wir werden uns Branche für Branche angucken und dann für die jeweilige Branche geeignete Maßnahmen ergreifen, wenn es nötig ist“, sagte er.
Laut einer Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung von 2017 arbeiten mehr als 90 Prozent aller Unternehmen mit Werkverträgen - aus verschiedenen Gründen. „Aufträge lassen sich so an Firmen mit spezialisierten Fachkräften vergeben, die man ansonsten auf dem Arbeitsmarkt nicht finden würde oder nur für eine bestimmte Aufgabe braucht“, erklärt ZEW-Forscherin Angelika Ganserer gegenüber Welt. Ein anderer Grund ist, saisonal hohe Auslastungen zu bewältigen, etwa während der Grillsaison. (dpa/afp) *Merkur.de istTeil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.