Grundsteuer „verfassungswidrig“: Jura-Professor rät Eigentümern in mehreren Bundesländern zur Klage
Bis Ende Januar läuft die Frist für die Grundsteuererklärung. Die neue Grundsteuer soll dann ab 2025 gelten. Jura-Professor Gregor Kirchhof hält das Grundsteuergesetz des Bundes allerdings für verfassungswidrig.
Berlin – Ab 2025 soll die neue Grundsteuer-Berechnung gelten. Deshalb müssen alle Eigentümer in Deutschland bis Ende Januar eine Grundsteuererklärung abgeben. Doch noch im Vorfeld gibt es Ärger mit der Grundsteuer-Reform – viele Eigentümer sind mit dem Ausfüllen der Formulare für die Grundsteuererklärung überfordert und Experten halten das Grundsteuergesetz des Bundes sogar für verfassungswidrig.
Grundsteuer-Reform: 36 Millionen Grundstücke müssen neu berechnet werden
Die Grundsteuer-Reform wurde auf Forderung des Bundesverfassungsgerichts angestoßen. Zuletzt kalkulierten die Finanzämter den Wert einer Immobilie auf Grundlage völlig veralteter Daten, von 1935 in Ostdeutschland und von 1964 in Westdeutschland. Für die Neuberechnung müssen jetzt fast 36 Millionen Grundstücke neu bewertet werden.
Die Steuerbehörden stehen damit vor einem ihrer größten Projekte in der Nachkriegsgeschichte. Von allen Eigentümern brauchen sie Daten. Meist geht es um die Grundstücks- und Wohnfläche, die Art des Gebäudes, Baujahre und den sogenannten Bodenrichtwert, die die Besitzer in einer Art zusätzlichen Steuererklärung über die Steuersoftware „Elster“ oder ein Portal des Finanzministeriums hochladen müssen.
Dabei müssen die Eigentümer allerdings unterschiedliche Daten angeben, je nachdem in welchem Bundesland sich ihr Grundstück, Haus oder Wohnung befindet. Denn die Bundesländer wenden unterschiedliche Modelle an. Es gibt das Bundesmodell, das die meisten Länder verwenden. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen tanzen mit ihrem jeweils eigenen Modell zur Grundsteuer aus der Reihe.
Grundsteuer: Bundesmodell und Modell Baden-Württembergs „verfassungswidrig“
Dabei geraten vor allem das Bundesmodell und das Modell Baden-Württembergs in die Kritik von Experten. Verfassungsrechtler Gregor Kirchhof, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht an der Universität Augsburg, hält diese sogar für verfassungswidrig.

Er rät in einem Interview mit focus.de betroffenen Eigentümern deshalb, „unter Einhaltung der Fristen Einspruch gegen den Grundsteuerbescheid zu erheben und dann zu klagen“. Er erklärt dazu: „Mir ist bewusst, dass das eine Vielzahl von Fällen betrifft. Doch geht es nicht darum, keine Grundsteuer zu entrichten. Die Bewertung der Steuern muss realitätsgerecht sein, dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen. Noch wäre Zeit, die Abgabengesetze zu korrigieren.“
Doch warum gelten diese Modelle laut Kirchhof als verfassungswidrig? Ein Problem sei, dass der Bundesgesetzgeber sich entschieden habe, die Einheitswerte zur Grundsteuer-Bewertung, die das Bundesverfassungsgericht eigentlich bemängelt hatte, fortzuentwickeln. Der Verfassungsrechtler resümiert gegenüber focus.de: „Ein sehr schwieriger Auftrag. Eigentlich sollte eine gleichheitsgerechte Vereinfachung gelingen. Doch ist das System weiterhin zu kompliziert.“ Die vielen Parameter würden sich nicht „zu einem folgerichtigen Bewertungssystem“ verbinden. „Die Grundsteuer des Bundes ist bereits deshalb gleichheitswidrig“, so Kirchhoff gegenüber dem Nachrichtenportal.
Grundsteuer und Bodenrichtwerte: Problemkind Baden-Württemberg
Dem Professor zufolge geht es dabei um die Bodenrichtwerte. Er erklärt bei focus.de: „Es handelt sich, wie der Name schon sagt, um Richtwerte und damit um unscharfe Parameter. Weil die Werte ungenau sind, lässt das Steuerrecht, wenn es sie bei anderen Steuern nutzt, den Gegenbeweis eines realitätsnäheren Wertes zu. Dieser Gegenbeweis wurde aber den Steuerpflichtigen bei der Grundsteuer des Bundes und in Teilen auch bei der Steuer Baden-Württembergs verwehrt, weil das Massenverfahren mit zu vielen Gegenbeweisen zu aufwendig würde. Doch betont der Bundesfinanzhof, dass die ungenauen Werte zu einer gleichheitswidrigen Steuer führen, wenn man den Gegenbeweis nicht zulässt.“
Vor allem in Baden-Württemberg sei die Umsetzung laut Kirchhof „vollständig missglückt“. „Immobilien spielen nach dem Modell für die Bemessung der Grundsteuer keine Rolle. Doch eine Grundsteuer zu erheben, die auf die Bodenrichtwerte und die Grundstücksgröße abzielt, nicht aber auf die Gebäude, die draufstehen, ist ersichtlich gleichheitswidrig“, sagt der Verfassungsrechtler dem Nachrichtenportal. Denn: In Baden-Württemberg müssen Eigentümer gleich großer Grundstücke die gleiche Grundsteuer entrichten – egal, ob darauf eine Villa oder eine Bruchbude stehe. Das sei gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen, so Kirchhoff.
Grundsteuer-Reform: Lob für Bayern, Hessen, Hamburg und Niedersachsen
Daran könnten auch die Hebesätze der Gemeinden, die schlussendlich festlegen, wie viel die Grundsteuer für die einzelnen Eigentümer betragen wird, nicht viel ändern. Denn da schon die Einheitswerte sehr ungleich seien, würden die neuen Grundsteuerwerte im Vergleich zu geltenden Steuer zu sehr unterschiedlichen Lasten führen, erklärt Kirchhoff gegenüber focus.de. „Der Steuerpflichtige, der die alte Steuerlast mit der neuen und beides mit einem Nachbar vergleicht, wird etwas ratlos dastehen“, prophezeit der Verfassungsrechtler.
Kirchhof hat aber auch Lob für die Grundsteuer-Reform – so wie sie in den übrigen Bundesländern umgesetzt wird. Bayern habe hierfür ein einfaches Flächenmodell auf den Weg gebracht; Hamburg, Niedersachsen und Hessen hätten dieses um eine Wertkomponente ergänzt. Der Verfassungsrechtler lobt: „Ich halte diese vier Ländergesetze für sehr effizient und verfassungskonform. Sie sind Vorbilder, wie moderne Steuergesetze gelingen können.“
Mit Material der dpa