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Mondpreise an der Börse: Warum Strom so teuer ist

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Von: Matthias Schneider

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Beim Strom werden aktuell Mondpreise bezahlt. Grund für den Preisschock ist ein Marktmechanismus, von dem Verbraucher lange profitiert haben.

München – Nicht nur Gaskunden fürchten den Winter, auch Stromnutzer reiben sich die Augen, wenn sie dieser Tage Post von ihrem Versorger bekommen. Denn obwohl das teure Erdgas keine 15 Prozent der deutschen Stromerzeugung stemmt, wird der Strom vielerorts über 30 Prozent teurer. Und die Lage an den Großmärkten zeigt: Es könnte noch deutlich mehr werden. Schuld daran ist die Struktur an den Handelsplätzen.

Strombörse: So bildet sich der Preis

„Die Preise an den Strombörsen werden nach dem Merit-Order-System gebildet“, erklärt Serafin von Roon, Geschäftsführer und stellvertretender wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München. „Es wird immer geschaut, wie viel Nachfrage es gibt – also wie viel Strom abgenommen wird – und wie viele Kraftwerke es braucht, um diesen Bedarf gerade so zu decken“, erklärt von Roon.

Dabei werden die günstigsten Kraftwerke zuerst gezogen: „Wir sprechen von den sogenannten Grenzkosten, also die Summe Geld pro Kilowattstunde Strom, die ein Kraftwerk braucht, um in dem Moment kostendeckend zu arbeiten.“ Die geringsten Grenzkosten haben Wind- und Solaranlagen, bei thermischen Kraftwerken richten sich die Kosten größtenteils nach Brennstoffpreisen und Wirkungsgrad. „Somit wird der Strombedarf immer zuerst aus den günstigen, erneuerbaren Quellen gedeckt. Erst, wenn sie nicht mehr ausreichen, vor allem nachts und wenn kein Wind weht, werden die nächst teureren Kraftwerke zugeschaltet“, erklärt von Roon.

Strom-System ist durch hohe Gaspreise aus den Fugen geraten

Wie an Börsen üblich gilt derselbe Preis für dieselbe Ware: „Die Grenzkosten des teuersten Kraftwerks bestimmen die Vergütung für alle anderen Anbieter – die dann Gewinn machen.“ Durch das Auktionssystem werden die Anbieter angeregt, möglichst effiziente und damit kostengünstige Kraftwerke zu bauen. „Dadurch hat die Merrit-Order seit der Marktliberalisierung in den 90er-Jahren immer die wirtschaftlichsten Strompreise ermöglicht“, erklärt der Energieforscher.

Doch durch die hohen Gaspreise ist das System jedoch aus den Fugen geraten: „Die Gaspreise haben sich ja bekanntermaßen vervielfacht, wodurch Gaskraftwerke meist die teuersten Anlagen sind“ – was sich auch auf die Strompreise niederschlägt.

Doch nicht nur die Angebotsseite bestimmt den Preis, erklärt Tobias Federico, Geschäftsführer der Energieberatungsagentur Energy Brainpool: „Würde bei hohen Preisen die Nachfrage sinken, gingen die teuren Gaskraftwerke wieder vom Netz – und der Strompreis würde insgesamt sinken“, so Federico. Das Problem: Die meisten Verbraucher haben über ihre Versorger Einheitsverträge, wodurch sie Preisschwankungen gar nicht bemerken. „Und die Anbieter, die durch sehr kurzfristige Einkäufe günstige Tarife anbieten, sind Anfang des Jahres reihenweise pleitegegangen“, erklärt Federico. Außerdem gibt es für die wenigsten Anwendungen Alternativen zum Strom: „Wer also Strom unbedingt braucht, muss jeden Preis dafür zahlen“, so der Experte.

Energie-Experte: „Sparen, das lohnt sich gerade richtig“

Dabei muss die Nachfrage nichtmal im eigenen Land sein: „Wir haben einen europäischen Stromhandel“, erklärt Tobias Federico, „und Frankreich muss, weil es erhebliche Probleme mit seinen Kernkraftwerken hat, Strom aus Deutschland importieren“. Die Folge: „Die französischen Abnehmer müssen die zusätzliche Produktion bezahlen – aber dadurch steigen auch in Deutschland die Preise.“ Die einzige Lösung für Verbraucher: „Sparen, das lohnt sich gerade richtig“, so Federico.

Und die Krise sei nicht mit einem Sprint zu bewältigen: „Wir haben immer Trägheitsmomente, weil die Versorger aus den Börsenpreisen immer einen Verbraucherpreis mitteln. Und während viele Kunden jetzt noch von Bestandsverträgen profitieren, wird die volle Wucht der Preissteigerungen erst im nächsten Jahr zuschlagen – selbst wenn die Märkte sich zwischendurch beruhigen“.

Ob das so kommt, lässt sich noch nicht sagen: „Der mittlere Großhandelspreis für das kommende Jahr sind 65 Cent pro Kilowattstunde – ohne Steuern und Netzentgelte“, erklärt Federico, „der Markt ist völlig überhitzt“. Ob die Preise sinken, hängt primär am Gaspreis – und der Erzeugung aus Erneuerbaren Energien.

Hohe Strompreise: Angebot kann nicht schnell genug auf die Nachfrage reagieren

Ist das Merrit-Order-System in Zeiten hoher Gaspreise noch sinnvoll? Serafin von Roon glaubt daran: „In der Theorie machen die hohen Preise grüne Kraftwerke attraktiv – das wollen wir ja. Viele Investoren bauen inzwischen schon ohne EEG-Vergütung.“ Denn die Förderung hätte einen Preis von sechs Cent pro Kilowattstunde ermöglicht – am Markt bekäme man etwa 40. „Deshalb gehen auch die Kosten für die Förderung gegen null, weil sie nur die Differenz zum Marktpreis ausgleichen sollte.“ Mit der Zeit würde sich das System aber wieder normalisieren, ist sich von Roon sicher: „Es werden wahrscheinlich so viele EE-Kraftwerke gebaut, dass die Preise wieder auf ein normales Maß gestutzt werden“. Das Problem ist nur die Zeit: „Einen Windpark zu bauen dauert gut acht Jahre – deshalb kann das Angebot nicht schnell genug auf die Nachfrage reagieren, was die aktuellen Preise erklärt.“

Ein Verbot der Gasverstromung ist durch die jüngsten Gesetzesänderungen juristisch grundsätzlich möglich, „könnte aber dennoch entsprechende Schadensersatzforderungen der Betreiber nach sich ziehen, was den volkswirtschaftlichen Nutzen überschaubar machen würde“.

Baustelle für Windenergieanlagen
Grüne Kraftwerke können die teuren Gaskraftwerke aus dem Markt drängen, um den Strompreis zu senken - doch der Ausbau dauert Jahre. © Jens Büttner/dpa

Spanien als Strompreis-Vorbild?

Eine Alternative könnte der spanische Ansatz sein, den von Roon erklärt: „Spanien hat mit Sondergenehmigung der EU den Gaspreis für die Verstromung gedeckelt: Das heißt, alles über 12 Cent wird über eine Umlage vom Staat gezahlt.“ Das koste zwar Geld, sei aber unterm Strich für die Verbraucher deutlich günstiger, als allen anderen Erzeugern die hohen Grenzkosten der Gaskraftwerke zu bezahlen. „Durch diesen Ansatz würde aber zu wenig Gas eingespart werden, was in Deutschland für den kommenden Winter besonders wichtig wäre. Außerdem bliebe es bei einem massiven Markteingriff.“

Eine andere Möglichkeit ist es, die Gaskraftwerke mit günstigeren Quellen aus dem Markt zu drängen. „Mit dem zunehmenden Ausbau der Erneuerbaren Energien, kann die Merit-Order ihrer Hauptfunktion – wirtschaftliche Preise zu schaffen – also wieder nachkommen“, erklärt Tobias Federico. Perspektivisch hätte sie zudem den Charme, das Klima zu schützen: „Durch den steigenden CO2-Preis wird es zunehmend unrentabel, emissionsstarke Kraftwerke zu betreiben.“

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