Der Energiepreisschock gefährdet die Klimawende

Die Preise für Strom, Gas oder Sprit sind zuletzt stark gestiegen. Das trifft einkommensschwache Haushalte besonders hart, denn ihnen steht damit weniger Geld für anderen Konsum zur Verfügung. Für die Akzeptanz der Klimawende ist das eine gefährliche Entwicklung, schreibt der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Prof. Sebastian Dullien im Gastbeitrag.
Düsseldorf - Derzeit sind Benzin und Diesel an den deutschen Zapfsäulen so teuer wie noch nie. Und all jenen, die mit Erdgas heizen, droht in den kommenden Monaten der Preisschock: Die Preise für Gasimporte* haben sich gegenüber dem Vorjahr vervierfacht. Wenn die Gasversorger den Anstieg an die Endkunden weitergeben, könnte auf viele eine Verdopplung der Heizrechnung zukommen.
Mit diesem Energiepreisschock gehen derzeit zwei Erzählungen in Deutschland einher: Erstens glauben viele Menschen, der Preisschock komme von der CO2-Bepreisung durch höhere Energiesteuern. Zweitens wird oftmals behauptet, dieser Preisschock sei eine gute Nachricht für das Klima, weil endlich Energie richtig schön teuer werde.
Falsche Narrative
Tatsächlich sind beide Narrative falsch. Die CO2-Abgabe macht nur einen Bruchteil des Preisanstieges der vergangenen zwölf Monate aus. Von den knapp 40 Cent, die Diesel seit Januar 2021 teurer geworden ist, gehen 1,6 Cent auf die zum 1.1.2022 erhöhte CO2-Abgabe zurück, der Rest ist dem Preisanstieg für Rohöl auf den Weltmärkten geschuldet.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona*-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
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Beim Erdgas ist das Verhältnis noch krasser: Für Neukunden stellten Gasversorger im Januar dieses Jahres etwas mehr als 12 Cent pro Kilowattstunde in Rechnung, etwa 5,5 Cent mehr als im ersten Halbjahr 2021. Die CO2-Abgabe stieg in der gleichen Zeit um gerade einmal 0,15 Cent pro Kilowattstunde.
Der zweite Irrtum ist, dass dieser plötzliche und massive Preisanstieg* gut für das Klima sei. Auch das ist leider falsch. Zwar ist unter Ökonomen unbestritten, dass langfristig ein steigender Preis für CO2-Emissionen oder alternativ für fossile Energien ein wichtiges Instrument für die Klimawende ist, aber wichtig ist hier das Wort „langfristig“.
Energiepreisanstieg hilft dem Klima kaum
Wie man aus Dutzenden Studien weiß, hilft kurzfristig ein Energiepreisanstieg dem Klima kaum. Die Privathaushalte reagieren beim Verbrauch von Diesel und Benzin, erst recht aber von Erdgas, kaum kurzfristig auf höhere Preise. Der Grund ist klar: Die meisten jener, die viel Auto fahren, sind auf das Auto angewiesen, weil es meist keine guten Alternativen gibt.
Und beim Heizen kann man kurzfristig die Raumtemperatur etwas niedriger stellen und einen Wollpullover mehr anziehen, aber große Einsparungen lassen sich so nicht erreichen. Deshalb wird bei steigenden Energiepreisen von den Privathaushalten auch eher bei anderen Ausgaben gespart.
Wenn die Menschen aber ihren Energieverbrauch nicht kurzfristig ändern können, haben Energiepreisschocks vor allem Verteilungseffekte: Weil Energie teurer wird, bleibt den Haushalten weniger Geld für anderen Konsum. Und weil ärmere Haushalte üblicherweise einen größeren Anteil ihres Einkommens für Haushaltsenergie ausgeben als die Reichen, sind sie besonders getroffen.
Energiewende: Gefahr sinkender Akzeptanz
Wenn aber die Preise steigen und arme Haushalte belastet werden, ohne dass ein wirksamer Beitrag zum Klimaschutz sichtbar wird, untergräbt das die politische Unterstützung für die Klimawende. Vielen Menschen, die eigentlich politisch die Energiewende unterstützen, dürfte angesichts der in den kommenden Monaten sprunghaft steigenden Heizrechnungen der Appetit auf weitere Energiesteuern vergehen.
Dabei ist zu erwarten, dass in der öffentlichen Diskussion nicht differenziert wird, was die CO2-Bepreisung war und was die globalen Energiemärkte. Das musste schon die Regierung unter Gerhard Schröder nach dem Wahlsieg 1998 erleben. Damals traten die moderaten Erhöhungen der Steuer auf Benzin und Diesel just in jenem Moment in Kraft, als der Rohölpreis auf den Weltmärkten stieg. In der öffentlichen Diskussion wurde die Ökosteuer mit dem generellen Ölpreisanstieg vermischt.
Klimawende ist ein Langstreckenlauf, kein Sprint
Die Ökosteuer war schnell als Idee so unpopulär, dass Rot-Grün das Projekt der kontinuierlichen Energieverteuerung in der zweiten Legislaturperiode auf Eis legte. Die Klimawende aber ist ein Langstreckenlauf, kein Sprint. Um damit erfolgreich zu sein, muss die politische Unterstützung der Bevölkerung erhalten bleiben.
Aber regen nicht die aktuell hohen Energiepreise die Menschen an, die Heizung gegen CO2-neutrale Technologien oder den Verbrenner gegen das E-Auto einzutauschen? Wenn die Menschen rational sind, dann eher nicht. Denn für die Investitionsentscheidungen sind die künftigen Energiepreise wichtig und nicht die aktuellen.
Future-Märkte signalisieren Entlastung
Und da spricht einiges dafür, dass nach dem Energiepreisschock die Preise wieder fallen: An den Future-Märkten wird Gas zur Lieferung schon ab 2023 zu spürbar sinkenden Preisen gehandelt, für 2026 können Versorger Gas schon jetzt wieder fast zu Vorkrisenpreisen einkaufen. Wer nun den Austausch der Gasheizung angeht und vielleicht ab 2023 mit der Wärmepumpe heizt, ist dann womöglich doppelt gekniffen: Er hat jetzt noch die hohen Kosten mitgenommen, die günstigeren Gaswinter der Zukunft aber verpasst.
Wie man es dreht und wendet: Verlässlich und moderat steigende Energiepreise helfen dem Klima*. Preiskapriolen, wie wir sie jetzt sehen, leider nicht.
Zum Autor: Prof. Dr. Sebastian Dullien ist wissenschaftlicher Direktor des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
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