EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen pries die Einigung im Kurznachrichtendienst Twitter als „entscheidenden Meilenstein zu Erreichung unseres Klimaziels für 2030“ an. Die Regelungen für Neuwagen sind Teil eines umfassenden Klimaschutzpakets, mit dem die EU bis 2030 ihre CO2-Emissionen um 55 Prozent reduzieren will.
Ausnahmen soll es für Hersteller geben, die weniger als 10.000 Autos pro Jahr produzieren - also Hersteller von Luxusautos wie Ferrari. Die Einigung lässt zudem die Möglichkeit offen, dass es künftig auch grünes Licht für mit sogenannten E-Fuels betriebene Neuwagen mit Verbrennern gibt.
In Deutschland hatte es in der Berliner Ampel-Koalition Streit über das angestrebte Aus für Verbrennungsmotoren gegeben. Grüne und SPD waren für das Verbot von Neuzulassungen für Verbrennungsmotoren ab 2035, die FDP pochte darauf, dass Technologien wie E-Fuels nicht ausgeschlossen werden dürften.
E-Fuels werden unter Einsatz von Strom meist aus Wasser und CO2 hergestellt. Ob dies umweltfreundlich ist, hängt davon ab, woher der Strom stammt und mit welchem Aufwand die Treibstoffe zur Verfügung gestellt werden können. Im EU-Parlament, das sich Anfang Juni auf ein Aus für den Verbrennungsmotor ab 2035 geeinigt hatte, war eine größere Bedeutung für synthetische Kraftstoffe abgelehnt worden.
FDP-Chef Christian Lindner sprach mit Blick auf die EU-Einigung von einer „klugen Entscheidung“, die Technologieoffenheit sichere. „Einseitige politische Festlegungen bei naturwissenschaftlich-technischen Fragen sollten vermieden werden“, erklärte er auf Twitter.
Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken sprach von einem „doppelt guten Signal“. Die Einigung sei gut für den Klimaschutz, schaffe aber auch Planungssicherheit für die europäische Automobilindustrie.
Der Verhandlungsführer für die EVP-Fraktion, Jens Gieseke (CDU), kritisierte hingegen: „Aus unserer Sicht hätte es eine freiwillige Regelung für klimaneutrale Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe geben müssen.“
Kritik kam auch vom Verband der Automobilindustrie (VDA). Die Einigung setze „ambitionierte Ziele“, ohne die notwendigen Voraussetzungen voranzutreiben, um die Transformation erfolgreich zu meistern, erklärte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Dies gelte insbesondere mit Blick auf den Ausbau der Lade-Infrastruktur für E-Autos.
Der Präsident des europäischen Autoherstellerverbands Acea, der BMW-Chef Oliver Zipse, nannte die Einigung „extrem weitreichend“. Er erklärte, die europäische Automobilindustrie sei der Herausforderung gewachsen. Allerdings rief Zipse die EU dazu auf, die wesentlichen Voraussetzungen für dieses Ziel zu schaffen, etwa „eine Fülle an Erneuerbaren Energien, ein nahtloses privates und öffentliches Ladeinfrastruktur-Netzwerk und Zugang zu Rohstoffen“.
„Mit dieser Entscheidung wird der Verbrennungsmotor endgültig zum Auslaufmodell, aber das Enddatum liegt deutlich zu spät“, erklärte der Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup. Um das im Pariser Klimaabkommen festgeschriebene 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, dürften in Europa spätestens ab dem Jahr 2028 keine neuen Diesel und Benziner mehr auf die Straße. oer/
Alte Kohlekraftwerke gehen wieder ans Netz, die Industrie steigt von Gas auf noch klimaschädlicheres Öl um und tausende Haushalte wollen plötzlich mit Holz oder sogar Kohle heizen - auf den ersten Blick kommt die derzeitige Energiekrise als Katastrophe für den Klimaschutz daher. Kurzfristig rechnen Experten wegen der hohen Energiepreise aber nicht mit einem Anstieg des CO2-Ausstoßes - und Gasmangel und Ukraine-Krise könnten die Energiewende sogar bedeutend beschleunigen.
Nur begrenzte Zunahme durch Kohleverfeuerung
Die gestiegene Nachfrage nach Kohle wegen der hohen Gaspreise hält sich in Grenzen. Der erhöhte CO2-Ausstoß „scheint relativ gering und vorübergehend zu sein“, schätzt die Internationale Energieagentur (IEA). Bereits der Ausbau von erneuerbaren Energien und etwa die Verbreitung von Elektroautos hätten dies bislang ausgeglichen. Auch der Weiterbetrieb der verbleibenden deutschen Atomkraftwerke wirkt sich positiv auf die CO2-Bilanz der heimischen Stromproduktion aus.
Weniger Industrieproduktion
Die Verknappung der fossilen Energieträger Öl und Gas und die stark gestiegenen Energie- und Kraftstoffpreise bremsen die Industrieproduktion. Weniger Produktion ist zwar schlecht für die Wirtschaft, senkt aber den Verbrauch und damit den CO2-Ausstoß. Allein der Preisanstieg bei Benzin- und Diesel „impliziert bereits einen marktwirtschaftlich getriebenen, dämpfenden Effekt auf den Energieverbrauch“, erklärt die Ariadne-Forschergruppe am Potsdam-Instituts für Klimaforschung (PIK).
Sinkender Privatverbrauch
Die hohen Preise haben auch Privatverbraucher aufgeschreckt. Laut Bundesnetzagentur sind zu Beginn der Heizsaison deutliche Einsparungen beim Gasverbrauch sichtbar. Die Ariadne-Forscher sehen vor allem im Verkehrsbereich Potenzial für weitere kurzfristige Einsparungen. So würden etwa mit einer Ausweitung des Homeoffice Autofahrten ins Büro wegfallen. Ein günstiges Nahverkehrsticket hätte einen ähnlichen Effekt. Denkbar sei auch ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.
Schub für die Verkehrswende
Langfristig erhoffen sich die Klimaforscher im aktuellen Kontext einen bedeutenden Schub für die Verkehrswende. „Ein schnellerer Hochlauf der Elektromobilität senkt zum einen die Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen und zum anderen den Endenergieverbrauch des Pkw-Verkehrs insgesamt“, heißt es in einem Papier des Ariadne-Projekts. Die Forscher gehen auch von einer „schrittweisen Segmentverschiebung hin zu kleineren Pkw aufgrund von Verhaltensänderungen der Haushalte und Unternehmen“ aus.
Geplante Sanierungswelle
Die Effizienzsteigerung im Gebäudesektor ist im Zuge der Energiekrise in den Vordergrund gerückt. Die Bundesregierung will diese nun mit einer Sanierungswelle im Gebäudebestand forcieren. Nach Einschätzung der Klimaforscher vom PIK ist bei der Gebäudewärme aber eine „deutliche Trendwende“ notwendig, der Sektor habe in der Vergangenheit „kaum Verbrauchsminderungen realisieren“ können.
Ausbau der Erneuerbaren
Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien hat mit der Krise eine neue Dynamik entwickelt. Die IEA beschreibt in ihrem Jahresbericht eine „tiefgreifende Neuorientierung“ der globalen Energiemärkte, die derzeit zu beobachten sei. Weltweit seien die bereits getätigten und geplanten Investitionen in nachhaltige Energien massiv gestiegen. IEA-Chef Fatih Birol erklärte, die Energiemärkte und die Politik hätten sich durch die russische Invasion verändert - und zwar „nicht nur für die heutige Zeit, sondern für die kommenden Jahrzehnte“. pe/ilo