Expertin im Interview: „Markt hätte Kohleausstieg besser geregelt“

Spätestens 2038 soll in Deutschland das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Dabei gibt es bereits seit 2005 ein Instrument, um Klimagase wie Kohlenstoffdioxid (CO2) zu reduzieren: den Emissionshandel.
Der Emissionshandel sieht vor, dass Fabriken und Kraftwerke in der EU für jede Tonne an Klimagasen, die sie in die Atmosphäre abgeben, ein sogenanntes CO2-Zertifikat kaufen. Die Idee dahinter: Ist der Markt an Zertifikaten knapp, steigt der Preis. Das Verbrennen von Kohle wird damit unattraktiv. Ifo-Professorin Karen Pittel erklärt, warum der Emissionshandel ihrer Ansicht nach die bessere Alternative zum Kohleausstieg wäre – und warum der von der Kohlekommission beschlossene Weg Ländern wie Polen eine Renaissance der Kohlekraft bescheren wird.
Ist ein Kohleausstieg bis 2038 realistisch?
Technisch gesehen dürfte das kein Problem sein. Zu Emissionsreduktionen auf europäischer und globaler Ebene wird es allerdings nur kommen, wenn wir den Kohleausstieg mit einer Stilllegung von Emissionszertifikaten auf europäischer Ebene verbinden.
Warum?
Wenn wir in Deutschland aus der Kohle aussteigen, werden europaweit CO2-Zertifikate frei. Damit kann in Ländern wie Polen weitaus mehr Strom aus Kohle produziert werden, weil sich die Preise für CO2-Zertifikate durch die frei gewordene Menge an Zertifikaten verbilligen werden. Dieser Kohlestrom aus dem Ausland wird zwar nicht zwingend nach Deutschland importiert, insgesamt wird im Ausland aber mehr Kohlestrom produziert werden.
Lässt sich beziffern, wie stark die CO2-Emissionen im Ausland nach dem deutschen Kohle-Aus ansteigen werden?
Wenn Zertifikate nicht zusätzlich aus dem Markt genommen werden, wird es gegen 100 Prozent dessen gehen, was in Deutschland weniger emittiert wird.
Höhere CO2-Preise würden Kohle aus dem Wettbewerb drängen
Das heißt, genau die Menge an CO2, die durch den Kohleausstieg in Deutschland eingespart wird, wird im EU-Ausland zusätzlich in die Luft geblasen?
Ja, genau. Außer, man hätte extreme Überschüsse im System, dann greift ein Automatismus, der einen Teil der Zertifikate aus dem Markt nimmt. Aber es gibt keine Garantie, dass diese Situation langfristig eintritt.

Hätte es Alternativen zum geplanten Kohleausstieg in Deutschland gegeben?
Der richtige Ansatz wäre gewesen, über höhere CO2-Preise die Kohle durch einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit vollständig aus dem Markt zu drängen. Der Emissionshandel ist dafür das geeignete Instrument, hier liegt der Preis pro Tonne ausgestoßenem CO2 momentan bei rund 22 Euro.
Ab welchem Preis wäre die Verstromung von Kohle unattraktiv?
Bei einem Preis von 45 Euro je Tonne wäre die Kohle in Deutschland praktisch nicht mehr wettbewerbsfähig. Der Sinn und Zweck dieses Emissionshandels ist ja gerade, emissionsintensive Industrien unattraktiv zu machen und das heißt auch, die Kohle aus dem Markt zu drängen. Auf lange Sicht muss ohnehin die komplette Wirtschaft ohne fossile Energieträger auskommen, wenn die Erderwärmung zwei Grad nicht übersteigen soll.
Mit welchen Folgen?
Um einen solchen Wandel in der Wirtschaft zu erreichen, wäre eine umfassende Reform der Besteuerung von Energie am sinnvollsten. Davon sollte auch das CO2 erfasst werden, das momentan nicht vom Emissionshandel erfasst ist. Auch müssten andere Umweltschäden, die beispielsweise Kohlekraftwerke,aber auch der Verkehr verursachen, ebenfalls eingepreist werden.
Steigt durch Kohle-Aus die Abhängigkeit von russischem Gas?
Steigt mit dem geplanten Kohleausstieg in Deutschland auch die Abhängigkeit von russischem Gas?
Das lässt sich nicht sicher sagen. Heute kommen etwa 30 bis 40 Prozent des Gases, das in Deutschland verbraucht wird, aus Russland. Die Frage ist jetzt, ob das zusätzlich benötigte Gas nach dem Kohleausstieg auch aus Russland kommt. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist durch den Bau der Pipeline Nordstream 2 recht hoch. Natürlich könnte der von der EU geplante Ausbau der Flüssiggas-Terminals an den Häfen dem entgegenwirken. Dann könnte Erdgas auch aus anderen Ländern per Schiff importiert werden und Deutschland könnte seine Gasimporte stärker diversifizieren. Ob und wie schnell dieser Ausbau allerdings kommt, lässt sich derzeit nicht vorhersagen.
Die Kohle-Bundesländer sollen über einen Zeitraum von 20 Jahren insgesamt 40 Milliarden Euro vom Bund erhalten. Mit weiteren Steuermilliarden soll ein Anstieg der Strompreise gedämpft werden. Wie wird die Schlussrechnung für diese Dämpfung der Strompreise für die Steuerzahler einmal aussehen?
Bisher steht eine Zahl von zwei Milliarden pro Jahr im Raum. Wie hoch die Kosten aber tatsächlich sein werden, hängt auch von der Entwicklung der Kosten für erneuerbare Energien, Erdgas, Speicher und so weiter ab.
Mit welchen weiteren Kosten ist zu rechnen?
Noch ist unklar, wie hoch die Entschädigungen an die Kraftwerkseigentümer ausfallen werden. Man sieht bereits jetzt, dass die Betreiber eine möglichst hohe Entschädigung herausholen wollen. Aus ihrer Sicht ist das natürlich auch sinnvoll. Auch lässt sich nicht vorhersagen, wie hoch beispielsweise die Sozialkassen belastet werden, falls es nach dem Kohleausstieg zumindest temporär mehr Langzeitarbeitslose geben wird. Es erscheint unwahrscheinlich, dass diese Kosten auch aus den 40 Milliarden bezahlt werden.
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Sobald der Strom nicht mehr aus Kohle gewonnen wird, müssen die Erzeuger auf Alternativen wie Wind- oder Sonnenkraft zurückgreifen. Wie hoch schätzen Sie die zusätzlichen Investitionskosten?
Es gibt Studien, die berechnet haben, dass bis zum Erreichen der deutschen Klimaziele im Jahr 2050 mehr als 1000 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen notwendig sind. Darin enthalten sind nicht nur Investitionen in Windkraft- und Solaranlagen, sondern auch in Stromnetze, Speicher und Energieeffizienz.
Halten Sie die Idee, aus der Kohle auszusteigen, grundsätzlich für richtig?
Ja. Wenn wir das Temperaturziel von Paris und die langfristigen Klimaziele einhalten wollen, dann müssen wir mittelfristig aus der Kohle und langfristig aus dem Erdgas aussteigen. Für mich geht es nicht um das Ob, sondern um das Wie und Wann. Und bis Mitte 2045 wäre ein Ausstieg aus der Kohle über eine Marktlösung durchaus möglich gewesen.
Interview: Sebastian Hölzle
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