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Energiekrise und Blackout: Experte erklärt, wie hoch das Risiko tatsächlich ist

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Von: Lisa Mayerhofer

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In Deutschland geht die Angst vor einem Blackout und kalten Wohnungen um. Ein Experte ordnet ein, wie hoch die Risiken für Stromausfall und Gasmangel tatsächlich sind.

Berlin – Die Energiekrise hat Deutschland fest im Griff: Bundesnetzagentur und Regierung rufen wiederholt Bevölkerung und Industrie zum Energiesparen auf und warnen vor einem Gasmangel. Dazu sind die Preise für Gas und Strom in Rekordhöhen gestiegen. Das verunsichert die Menschen.

Umfrage: 64 Prozent halten Stromausfälle für wahrscheinlich

Das zeigt auch eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Appinio von Anfang Oktober mit insgesamt 1.000 Befragten. Demnach haben 83 Prozent der Deutschen Angst davor, dass sie künftig nicht mehr in der Lage sein werden, die Rechnungen für steigende Energiepreise zu zahlen.

Außerdem halten 64 Prozent in den kommenden Monaten Stromausfälle für wahrscheinlich. 30 Prozent glauben, dass uns die Energiekrise mehr als zwei Jahre begleiten wird; 18 Prozent der Befragten denken, dass sie von längerer Dauer sein wird – das ist immerhin fast jeder fünfte Deutsche.

Energieexperte: „Die fossile Energiekrise wird bleiben – und somit auch die hohen Gaspreise“

Energieexperte und Autor Wolfgang Gründinger ist beim Berliner Solar-Start-up Enpal tätig.
Energieexperte und Autor Wolfgang Gründinger ist beim Berliner Solar-Start-up Enpal tätig. © Enpal/Wolfgang Gründinger

Doch wie begründet sind diese Sorgen? Energieexperte und Autor Wolfgang Gründinger, der beim Berliner Solar-Start-up Enpal tätig ist, hat für den Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA einen Faktencheck gemacht.

Der Winter kommt – und laut Bundesnetzagentur soll Deutschland den Gasverbrauch um mindestens 20 Prozent senken. Wie wahrscheinlich ist ein Gasmangel und wie sehr müssen wir sparen, um diesen zu verhindern?

Gründinger: Die gute Nachricht ist: Laut Bundesnetzagentur sind die Speicherfüllstände mit 97 Gigawattstunden Gas deutlich höher als prognostiziert. Es gibt aber viele Unwägbarkeiten: Wie kalt wird der Winter? Wie viel Gas müssen wir verstromen, um die marode französische Atom-Flotte zu ersetzen? Wie stark drehen die Menschen die Heizung auf? Alles in allem lässt sich sagen: Ein nationaler Gasmangel ist zwar vorstellbar, aus aktueller Sicht aber eher unwahrscheinlich. Wichtig: Je mehr die privaten Haushalte sparen, desto mehr bleibt für Industrie und Gewerbe. Und desto weniger bedrohlich wird die Gasrechnung.

Streitpunkt Stromversorgung: Sind die Ängste vor einem Blackout begründet?

Unsere Stromnetze sind extrem gut gemanagt. In kaum einem anderen Land gibt es heute so wenig Stromausfälle wie in Deutschland – und das, obwohl die Hälfte des Stroms aus schwankenden Quellen wie Wind und Sonne stammt. Ein Blackout – also ein großflächiger, langanhaltender Stromausfall – ist auch jetzt immer noch extrem unwahrscheinlich. Stundenweise, regional begrenzte Stromausfälle können aber nicht komplett ausgeschlossen werden, wie der Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber ergab. Die Situation bleibt also kontrollierbar. Aber eine Lektion haben wir hoffentlich gelernt: Wir haben uns zu lange auf Atom, Kohle und Gas verlassen, in dem Irrglauben, das seien sichere Energieträger. In Frankreich steht die Hälfte der Atomkraftwerke still, weil Korrosionsprobleme die Sicherheit der Meiler gefährden. Die Flüsse gaben im Sommer nicht mehr genug Kühlwasser her, und die Pegelstände sind so niedrig, dass die Schifffahrt eingeschränkt ist – damit kommt die Kohle nicht mehr zu den Kohlekraftwerken. Und nun setzt auch noch Putin das Gas als Waffe ein. 

30 Prozent der Befragten in der Appinio-Umfrage befürchten, dass uns die Energiekrise noch zwei weitere Jahre begleiten wird. Wie lange werden wir noch davon betroffen sein?

Die fossile Energiekrise wird bleiben – und somit auch die hohen Gaspreise. Flüssiggas, sogenanntes LNG (Liquified Natural Gas), ist schon wegen der Umwandlungsverluste deutlich teurer, denn es muss ja erst verflüssigt und danach wieder umgewandelt werden. Doch genau darauf fußt jetzt die Hoffnung. Die Verknappung fossiler Energie kostet unsere Volkswirtschaft Milliarden. Es rächt sich, dass wir die Energiewende bisher so zögerlich vorangetrieben haben. Bei allem Krisenmanagement darf nicht vergessen werden: Wenn wir jetzt nicht mit voller Wucht die Solar- und Windenergie ausbauen, ist die nächste Krise vorprogrammiert.

Energiesparen ist jetzt angesagt. Einige Tipps sind dabei sehr umstritten – wie zum Beispiel die Empfehlung, weniger zu duschen. Welche Maßnahmen sind sinnvoll, um den Verbrauch zu senken?

Mit Dusch-Tipps halte ich mich lieber zurück. Aber eine Sache ist mir wichtig: Vermeintlich kleine Beiträge zeigen in der Summe große Wirkung. Wir als Millionen Bürgerinnen und Bürger sind quasi ein gigantisches Schwarmkraftwerk. Die Internationale Energieagentur hat ausgerechnet: Würden alle Haushalte in Europa die Wohnraumtemperatur gerade mal um ein Grad senken, bräuchten sie 2,5 Prozent weniger Gas. Nur ein Grad weniger! Das sollte doch zu schaffen sein. 

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