Energieexperte analysiert Habecks Pläne: Was wirklich Strom und Gas spart – und wo es hakt

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat eine Reihe von Maßnahmen vorgelegt, mit denen Strom und Gas gespart werden soll. Doch was taugen sie? Ein Energieexperte klärt auf.
Köln – Eigentlich ist Hans Weinreuter Energieberater, seit dem 24. Februar arbeitet er bisweilen auch als Seelsorger. „Es brechen Leute am Telefon in Tränen aus, weil sie Nachzahlungen nicht leisten können“, sagt der Fachbereichsleiter Energie/Bauen von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Im 1. Halbjahr 2022 hätte es bereits mehr als doppelt so viele Anfragen gegeben wie im letzten Jahr – dabei beginnt die Heizperiode erst in den kommenden Wochen. „Da rollt eine Lawine auf uns zu“, so Weinreuter.
Die Angst vor großen Nachzahlungen wächst. Die Politik versucht mit Entlastungspaketen die finanziellen Belastungen abzufedern. Letzten Freitag (19. August) hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit einem Maßnahmenpaket nachgelegt, um Energie zu sparen. Am Mittwoch (24. August) hat das Kabinett zugestimmt. Habecks Plan sieht eine Reihe von Verordnungen vor, die vom 1. September bis 28. Februar gelten sollen.
Energie, die nicht verbraucht wird, muss nicht teuer eingekauft werden – und obendrein verbessert sich sogar die CO₂-Bilanz. So weit, so einleuchtend. Doch was bringen die Regeln konkret – im Einzelfall und vor allem im Vergleich untereinander? „Das Sparpotenzial ist unterschiedlich hoch, wenn ich mir die einzelnen Punkte aus der Habeck-Verordnung anschaue“, sagt Weinreuter. Merkur.de von IPPEN.MEDIA hat die Verordnung dem Fachmann vorgelegt – und dokumentiert hier seine Einordnung.
Strom und Gas sparen: Diese Habeck-Maßnahmen sollen ab 1. September in öffentlichen Gebäuden gelten
- Habeck-Verordnung: Öffentliche Gebäude sollen nur noch bis höchstens 19 Grad geheizt werden. Bisher lag die empfohlene Mindesttemperatur laut Ministerium bei 20 Grad.
- Weinreuter: „In der Theorie bringt jedes Grad weniger sechs Prozent Ersparnis. Aber: Die erreicht man nur, wenn die Temperatur wirklich 24/7 um ein Grad abgesenkt wird – also auch dann, wenn die Nachtabsenkung aktiviert ist. Das wird bisher unterschlagen in der Debatte. Wenn ich diese ganzen möglichen Einsparprozente lese: Da stellen sich mir die Haare auf. Wie groß das Einsparpotenzial ist? Das hängt natürlich davon ab, wie die Temperatur vorher war.“
- Habeck-Verordnung: Durchgangsbereiche wie Flure, Foyers oder Technikräume sollen möglichst gar nicht mehr geheizt werden – außer, es gibt dafür sicherheitstechnische Gründe.
- Weinreuter: „Dort ist das Einsparpotential groß, weil wir in der Regel über ein großes Raumvolumen sprechen. Je größer ein Raum, desto mehr Energie brauche ich, um ihn aufzuheizen. Auch hier gilt die Regel: Ein Grad kälter, sechs Prozent Ersparnis. Man muss allerdings beachten: 19 Grad sind nicht gleich 19 Grad. Es kommt auf die Dämmung an. In schlecht isolierten Räumen wird man eine Steppjacke brauchen – in einem Neubau geht es sicherlich ohne. Das Entscheidende ist nämlich die gefühlte Temperatur, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzt: die Raumlufttemperatur, die man mit dem Thermometer misst und die Oberflächentemperatur. Also: Wie warm oder kalt sind Wände, Decken und der Boden? Das ist wiederum eine Frage der Dämmung, weswegen das die empfundene Temperatur enorm beeinflusst.
- Habeck-Verordnung: Boiler und Durchlauferhitzer sollen nicht mehr für die Warmwasserbereitung am Waschbecken genutzt werden – es sei denn, das ist aus hygienischen Gründen vorgeschrieben.
- Weinreuter: „Das bringt auch etwas, allerdings deutlich weniger als eine Absenkung der Raumtemperatur. Dazu muss man wissen: In Privathaushalten gehen 20-25 Prozent des Gesamtwärmebedarfs für Warmwasser drauf. Der Rest für die Heizung. In Bürogebäuden ist das anders, da wird ja nicht geduscht oder gebadet.“
- Habeck-Verordnung: Die Beleuchtung von Gebäuden und Denkmälern aus rein ästhetischen oder repräsentativen Gründen soll ausgeschaltet werden.
- Weinreuter: „Das hat neben einem eher geringen Einspareffekt auch eine symbolische Wirkung. Wichtig ist, dass es LED und keine Halogen-Lampen sind, das macht den größten Unterschied. Dennoch hat Habeck mit dem Grundgedanken recht: Es geht um jede Kilowattstunde.“

Energiekosten: So sollen laut Habeck Privathaushalte und Gewerbe ab 1. September Strom und Gas sparen
- Habeck-Verordnung: Klauseln in Mietverträgen, die eine bestimmte Mindesttemperatur vorsehen, sollen vorübergehend ausgesetzt werden.
- Weinreuter: „Auch hier gilt: Unter Laborbedingungen sind sechs Prozent Ersparnis pro Grad drin. Aber es gibt zu diesem Thema enorm viel gefährliches Halbwissen. Es scheint der Konsens zu sein, dass es zwangsläufig schimmelt, wenn man nicht heizt. Das stimmt aber nicht. Tatsächlich wächst Schimmel ja gerne, wenn es warm wird. Nicht umsonst lagern wir ja auch Lebensmittel im Kühlschrank. Neben der Temperatur im Raum kommt es aber auch auf die Oberflächentemperatur und die Feuchtigkeit an. Die wird beeinflusst durch das Lüftungsverhalten und die Dämmung. Dazu kommt ein ganz praktisches Problem. Mal ganz ehrlich: Wie viele Menschen wissen, was in ihrem Mietvertrag steht und wer soll das am Ende kontrollieren? Von daher ist der Ansatz richtig, hat aber mehr einen appellierenden Charakter.“
- Habeck-Verordnung: Private Pools, ob drinnen oder draußen, sollen nicht mehr mit Gas und Strom geheizt werden dürfen.
- Weinreuter: „Ein Pool verbraucht unterschätzt viel Energie. Es hängt natürlich davon ab, ob es eine Innen- oder Außenpool ist und noch von ein paar weiteren Parametern. Ein Beispiel: Nehmen wir ein Exemplar, das ein Volumen von 10x5x2 Metern hat – insgesamt also 100 Kubikmeter. Wenn ich den nun befülle mit Leitungswasser (10 Grad) und ihn auf 20 Grad heizen möchte, verbraucht das 1200 Kilowattstunden. Zum Vergleich: Eine vierköpfige Familie in einer Wohnung verbraucht in einem ganzen Jahr ca. 4000 Kilowattstunden an Strom.“
- Habeck-Verordnung: Gasversorger und Besitzer größerer Wohngebäude sollen ihre Kunden beziehungsweise Mieter frühzeitig informieren müssen – über den voraussichtlichen Energieverbrauch, dessen Kosten und mögliche Einsparmöglichkeiten. Das soll spätestens zum Beginn der Heizsaison passieren.
- Weinreuter: „Das ist eine sehr gute Idee. Fraglich ist natürlich, wie das dann konkret abläuft. Aus meiner Sicht wäre es sehr hilfreich, wenn Verbraucher einmal im Monat ihre Zählerstände ablesen würden. So ist man sensibilisiert für den eigenen Verbrauch. Ich mache das auch schon seit Jahren.“
- Habeck-Verordnung: Beleuchtete Werbeanlagen sollen von 22 Uhr abends bis 6 Uhr morgens ausgeschaltet werden, allerdings nicht an Haltestellen und in Bahnhofsunterführungen.
- Weinreuter: „Es ist ähnlich wie bei den beleuchteten Gebäuden: Die Frage ist nicht so sehr, wie lange die Lampen brennen, sondern welches Leuchtmittel verwendet wird. Nehmen wir eine LED-Lampe mit einer Leistung von 10 Watt. Wenn die ein ganzes Jahr brennt, werden 87,6 Kilowattstunden verbraucht – eine eher zu vernachlässigende Ersparnis im Vergleich zum Wechsel von Halogenleuchten auf LED.“
- Habeck-Verordnung: Türen von Geschäften sollen nicht mehr offenbleiben dürfen.
- Weinreuter: „Das ist eine sehr vernünftige Maßnahme, die mehr Energie sparen wird als die dunklen Schaufenster. Am schlimmsten sind die Kaufhäuser mit komplett offener Tür, sowas können wir uns in diesen Zeiten echt nicht mehr leisten. Das zweite Maßnahmenpaket für die kommenden beiden Jahre soll ab Oktober den Gasverbrauch in öffentlichen, privaten und Firmengebäuden senken.“
Robert Habeck (Grünen): Diese Maßnahmen sollen ab 1. Oktober langfristig Energie einsparen
Eine weitere Verordnung, die das Kabinett ebenfalls beschlossen hat, braucht noch die Zustimmung des Bundesrats und soll ab Oktober für zwei Jahre gelten. Auch diese Regeln hat sich der Energieexperte für uns angeschaut.
- Habeck-Verordnung: Jährliche Heizungsprüfungen sollen für Gebäude mit Gasheizungen zur Pflicht werden. Dabei sollen die Anlagen zum Beispiel auf niedrigere Vorlauftemperaturen und eine Absenkung während der Nacht eingestellt werden.
- Weinreuter: „Viele verwechseln eine Heizungsprüfung mit einer Wartung. Bei einer Wartung wird gereinigt und der Wasserdruck geprüft. Bei einer Heizungsprüfung werden die Einstellungen der Regelung gecheckt, da können Verbraucher bis zu 10 Prozent Gas sparen. Warum das allerdings jährlich erfolgen soll, erschließt sich mir nicht. Eingestellt ist eingestellt – da ändert sich ja nichts nach einem Jahr. In diesem Zusammenhang rege ich mich immer über Heizungsbauer auf, die sagen, dass eine Nachtabschaltung nichts bringt. Es wird dann argumentiert, dass das Aufheizen mehr Energie verbraucht als der Dauerbetrieb. Das ist falsch.“
- Habeck-Verordnung: Auch der sogenannte hydraulische Abgleich kann Heizungen effizienter machen, indem das Wasser optimal verteilt wird. Er soll verpflichtend werden für große Gebäude mit zentraler Wärmeversorgung durch Erdgas, falls er bislang nicht gemacht wurde.
- Weinreuter: „Das ist grundsätzlich sinnvoll. Der Einspareffekt ist umso größer, je besser das Haus gedämmt ist. Aber auch im Altbau bringt er was, weil auf jeden Fall Strom für die Umwälzpumpe gespart wird.“
- Habeck-Verordnung: Ineffiziente, ungesteuerte Heizungspumpen in Gebäuden mit Erdgasheizung sollen ausgetauscht werden müssen, weil sie laut Ministerium Energiefresser sind.
- Weinreuter: „Insbesondere alte, ungeregelte Heizungspumpen brauchen bis zu 300 Kilowattstunden Strom im Einfamilienhaus. Eine neue Hocheffizienzpumpe kommt nach einem hydraulischen Abgleich mit 80 bis 90 Prozent weniger Strom aus.“
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Experten-Fazit: Guter Anfang – doch für den großen Wurf braucht es Investitionen
Das Fazit vom Energieexperten: „Der Katalog beinhaltet sehr sinnvolle Punkte.“ Alles gut also? Nicht so ganz, sagt Weinreuter. Es falle auf, dass alle Maßnahmen nicht besonders teuer sind. Doch gerade an dieser Schwelle werde es spannend. „Mit den Maßnahmen können wir sicher 20 Prozent Einsparung schaffen. Alles darüber hinaus kostet Geld und bedarf einer ausreichenden Förderung. Da ist das Kürzen von Förderprogrammen für Privathaushalte das falsche Signal.“ Ihm geht es um grundlegende Investitionen, zum Beispiel in Gebäudedämmung und Photovoltaik – da seien schnell 100.000 Euro und mehr nötig.