1. Startseite
  2. Wirtschaft

Überdruck auf den Preisventilen – heute und übermorgen

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Prof. Dr. Stefan Kooths

Kommentare

Prof. Stefan Kooths ist Vizepräsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft und Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum.
Prof. Stefan Kooths ist Vizepräsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft © N. Bruckmann/M. Litzka

Der Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Prof. Stefan Kooths, sieht auch für die nächsten Jahre große Gefahren für die Preisstabilität in Deutschland. Zwar dürfte der zuletzt starke Inflationsdruck zunächst etwas zurückgehen. Doch mittelfristig drohten erheblich größere Risiken für die Preisstabilität als Corona und geplatzte Lieferketten, warnt Prof. Stefan Kooths im Gastbeitrag.

Kiel - Mit über fünf Prozent waren die Teuerungsraten für die Verbraucher in Deutschland zuletzt so hoch wie seit dem Wiedervereinigungsboom nicht mehr. Auch wenn mit dem Jahreswechsel einige Basiseffekte weggefallen sind, so wird sich der Inflationsdruck nur langsam abschwächen. Denn es sind längst noch nicht alle preistreibenden Effekte auf der Konsumentenstufe angekommen. Gleichwohl sind die aktuellen Inflationsschübe vorübergehender Natur, weil sie im Wesentlichen direkt oder indirekt mit der Pandemie zusammenhängen. Nach der Pandemie drohen allerdings neue Gefahren für die Preisstabilität, die sich nicht einfach aussitzen lassen – im Gegenteil.

Rund um den Globus haben Staaten mit massiven Unterstützungsprogrammen die Wirtschaft während der Coronakrise stabilisiert. Das Geld dafür kam von den Notenbanken, die die von den Staaten aufgenommenen neuen Schulden über die Notenpresse finanziert haben. Insgesamt wurden bei den privaten Akteuren auf diese Weise erhebliche Einkommen geschaffen, denen keine Produktion gegenüberstand.

Stabilisierungspolitik schafft Phantom-Einkommen

Gesamtwirtschaftlich sind das Phantom-Einkommen. Diese haben sich zunächst kaum bemerkbar gemacht, weil die Verbraucher während der Lockdowns ihr Geld nicht wie gewohnt ausgeben konnten. Kaufkraft wurde daher in erheblichem Maße aufgestaut. So dürften die Privathaushalte allein in Deutschland während der Pandemiephase über 215 Milliarden Euro zusätzlich auf die hohe Kante gelegt haben.

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona*-Hilfen* und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen ab sofort Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

In den kontaktintensiven Wirtschaftsbereichen brachen die Umsätze in der Krise massiv ein. Weil das nicht an einer Nachfrageschwäche, sondern an Infektionsschutzmaßnahmen lag, gaben die Preise dort nicht nach. Hingegen boomte der Versandhandel, weil sich die Nachfrage stärker auf dort bestellbare Waren verlagerte – wer nicht reisen konnte und im Homeoffice arbeiten sollte, wollte es sich wenigstens zu Hause gemütlicher machen.

Hohe Nachfrage trifft auf gehemmtes Angebot

Die hohe Kaufkraft hat die Auftriebskräfte verstärkt, allerdings trifft die hohe Nachfrage auf eine Produktion, die erheblich durch Lieferengpässe beeinträchtigt wird, die ebenfalls im Wesentlichen eine Folge der Pandemie sind. Viel Nachfrage, wenig Angebot, das äußert sich in stärker steigenden Preisen. Sobald die internationalen Lieferketten wieder reibungsloser laufen, ist von dieser Seite mit Blick auf die Inflation wieder Entspannung in Sicht, auch wenn das noch eine Weile dauern wird.

Kann man sich deshalb zurücklehnen und daraufsetzen, dass die Zeit schon alles in Ordnung bringt? Leider nein. Denn auf mittlere Sicht rühren Gefahren für die Preisstabilität von Faktoren her, die unabhängig von der Pandemie bestehen. Sie sind nicht nur hartnäckiger, sondern gewinnen in den nächsten Jahren zunehmend an Gewicht. Die Erklärung hierfür geht so:
Mittel- und langfristig bleibt die Preisstabilität exklusiv eine Frage der Geldpolitik. Deren Mandat wird jedoch in Zeiten hoher Verschuldung, alternder Bevölkerung und einer ambitionierten Dekarbonisierungspolitik schwieriger.

Weniger Erwerbstätige, sinkende Ersparnis

In den 2020er Jahren schwächt die demografische Entwicklung zunehmend die Wachstumskräfte. Schon im kommenden Jahr überschreiten wir hierzulande den Zenit bei den Erwerbspersonen. Während dann immer weniger Menschen produktiv tätig sind, bleibt die Zahl der Konsumenten zunächst unberührt. Im Ergebnis sinkt die Ersparnis und das Kapitalangebot geht zurück. Dieser Befund ist keine deutsche Besonderheit, sondern gilt für weite Teile der Weltwirtschaft.

Klimapolitik: Umstellung der Produktion führt zum Umbau des Kapitalstocks statt zu seiner Erweiterung

Ebenfalls global wirkt sich – wenn sie erfolgreich sein soll – die Klimapolitik auf den Kapitalmärkten aus. Die Umstellung der Produktion auf weniger Treibhausgasemissionen erfordert massive Investitionen, erhöht also die Kapitalnachfrage. Hinzu kommt, dass diese Investitionen auf absehbare Zeit die Produktionskapazitäten nicht erhöhen, sondern „nur“ emissionsfrei machen. Sie bauen den Kapitalstock um, nicht auf, wie man es sonst von Investitionen kennt.

Die gesamtwirtschaftliche Rendite winkt im Erfolgsfalle frühestens in 20 Jahren, bis dahin schmälern sich im Zuge der Dekarbonisierung die Konsummöglichkeiten. Klimapolitik ist daher auf absehbare Zeit gerade kein Wachstumsprogramm, sondern strapaziert die Produktionskapazitäten. Daher gilt auch: Wie immer man die Umgehung der bisherigen Schuldenbremse durch die neue Bundesregierung juristisch beurteilen mag, stabilisierungspolitisch passen die höheren Defizitspielräume nicht in die gesamtwirtschaftliche Landschaft.

Höhere Zinsen durch Demografie und Dekarbonisierung

Weniger Angebot, mehr Nachfrage – am Kapitalmarkt sorgen Demografie und Dekarbonisierung für höhere Zinsen. Wenn nun die Notenbanken den von der zunehmenden Kapitalknappheit herrührenden Zinsanstieg in ihrer Geldpolitik mit Rücksicht auf die hohe Verschuldung und – damit zusammenhängend – aus Sorge vor einer neuen Finanzkrise nicht nachvollziehen, entlädt sich die Überforderung der Produktionsmöglichkeiten in höherer Inflation.

Dieses Szenario beschreibt ein Risiko, keine Zwangsläufigkeit. Erst eine ausbleibende Reaktion der Geldpolitik öffnet die Inflationsschleusen. Weder Alterung noch Dekarbonisierung („Greenflation“) sind für sich genommen Inflationstreiber – sie ändern nicht das Preisniveau, sondern Relativpreise.

Finanzpolitik in der Pflicht

Preisstabilität bleibt ohne Wenn und Aber in der Verantwortung der Notenbanken, aus der man sie auch nicht entlassen sollte. Es wäre allerdings die Aufgabe der Finanzpolitik, ihnen diese Aufgabe nicht unnötig zu erschweren. Speziell für den Euroraum bedeutet dies, die Überschuldungsproblematik fiskalisch zu lösen und so die EZB aus der fiskalischen Dominanz zu befreien.

Zur Person: Prof. Stefan Kooths ist Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft und Direktor des dortigen Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum. Er lehrt Volkswirtschaftslehre an der BSP Business and Law School in Berlin/Hamburg und ist Vorsitzender der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft.

*Merkur.de ist Teil von IPPEN.MEDIA.

Auch interessant

Kommentare