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Euro-Rettung: „Risiken unter den Teppich gekehrt“

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Bernd Schünemann, 67, hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie inne. © Klaus Haag

München - Der Münchner Strafrechts-Professor Bernd Schünemann zerpflückt die Euro-Rettung. Ihm reicht es: Der 67-Jährige erstattete Anzeige gegen die Bundesbank. Warum, erklärt er im Merkur-Interview:

Herr Professor Schünemann, Sie haben den Bundesbank-Vorstand bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt angezeigt. Warum?

Weil ich den Verdacht aufgeklärt sehen möchte, dass die Entwicklung des europäischen Verrechnungssystems Target-2 in den letzten Jahren die Bundesbank geschädigt hat und dass das bei entschlossenem Handeln zu vermeiden gewesen wäre.

Warum?

Der Rat der Europäischen Zentralbank hat zwischen 2008 und 2011 vier Beschlüsse gefasst, die er meiner Meinung nicht hätte fassen dürfen. Konkret: Erst wurden die Sicherheiten allgemein um drei Bonitätsstufen heruntergefahren. Und für die Notenbanken der hochverschuldeten südlichen Euro-Mitgliedsländer wurde die Möglichkeit geschaffen, sich fast unbegrenzt über die Europäische Zentralbank (EZB) zu finanzieren, ohne dass diese Länder ausreichende Sicherheiten zu hinterlegen hatten. Dabei geht es um Beträge im Umfang von mehreren hundert Milliarden Euro.

Was hätte die Bundesregierung denn Ihrer Meinung nach tun müssen?

Als der EZB-Rat diese Beschlüsse gefasst hat, hätte die Bundesregierung eine Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen müssen, um diese Beschlüsse für nichtig erklären zu lassen.

Weshalb?

Weil nun das Target-System zu einem weiteren Rettungsschirm umfunktioniert worden ist – ohne jedes Votum des Bundestages. Immerhin geht es dabei um gigantische Summen, die um ein Vielfaches über der bisherigen deutschen Beteiligung an den Rettungsschirmen liegen. Die am Rande des Staatsbankrotts operierenden Schuldner werden diese Beträge auf absehbare Zeit schwerlich ausgleichen können. Die Experten hätten merken müssen, dass da etwas gründlich schiefläuft.

Wer hat versagt?

Das muss die Staatsanwaltschaft nun klären. Infrage kommen die Bundesregierung und die Bundesbank. Es gibt zwei Möglichkeiten.

Erstens?

Die Bundesbank hat, wie es ihr gesetzlicher Auftrag ist, die Regierung vor den Risiken gewarnt. Dann aber hat die Kanzlerin, aus welchen Gründen auch immer, nicht entsprechend reagiert. In diesem Fall wäre die Bank aus dem Schneider, aber die Kanzlerin müsste sich fragen, ob sie nicht in der Pflicht gewesen wäre, im Interesse des Vermögens der Bundesrepublik die Anfechtung durchzuziehen. Schließlich geht es für jeden einzelnen Bürger um viel Geld. 616 Milliarden Euro an Target-Forderungen stehen der Bundesbank über die EZB zu, insgesamt geht es um fast 900 Milliarden Euro. Auch wenn Deutschland, solange das Gesamtsystem nicht kollabiert, nur mit 27 Prozent haftet, bleibt das ein erhebliches Risiko.

Das zweite Szenario?

Die zweite Möglichkeit wäre, dass die Regierung die Brisanz schlicht nicht bemerkt hat, weil sie nicht genügend informiert war. Dafür spricht, dass die Bundesbank die Kritik am Target-System lange Zeit abgewiegelt, sich zum Risikogehalt nie hundertprozentig bekannt und Target als „nicht eigenständiges Risiko“ benannt hat.

Erstaunlich ist, dass erst Professor Hans-Werner Sinn 2011 auf die Gefahr hingewiesen hat, dass Deutschland viele Milliarden Euro unwiederbringlich verlieren könnte.

Man hat das Risiko aus dem Target-System unter den Teppich gekehrt. Zunächst wurden die Erkenntnisse von Professor Sinn von allen Seiten abgewiegelt. Auch bei der Bundesbank hieß es, das sei alles übertrieben. Nun hat aber der neue Bundesbank-Chef Weidmann einen Brief an EZB-Chef Draghi geschrieben und darin eine Nachbesicherung für das Targetsystem verlangt. Das zeigt ja eindringlich, dass die Kritik offensichtlich sehr berechtigt ist.

Staatsrechtler klagen seit langem, dass die EU bei der Euro-Rettung immer mehr den Boden des Rechts verlasse. Glatt gebrochen wurde das Maastrichter Verbot, Schuldenstaaten herauszupauken. Verwandelt sich Europa in eine Unrechtsgemeinschaft?

Das ist ein sehr starker Ausdruck. Aber es ist so, dass die Verträge eine direkte Rettung der pleitebedrohten Staaten nicht zulassen und so findet man eben sonderbare Umgehungsmaßnahmen, die man einem Unternehmen im Wirtschaftsstrafrecht sicher nicht durchgehen lassen würde. Aus der Sicht eines Rechtswissenschaftlers gilt in der EU die Devise, wir machen die Politik, die wir für richtig halten, und wenn der Wortlaut uns behindert, dann denken wir uns einen Weg aus, der daran vorbeiführt.

Glauben Sie denn im Ernst, dass sich die Politik in ihrem Euro-Rettungseifer ausgerechnet von Jura-Professoren bremsen lässt?

Praktisch-politische Effekte darf man sich da nicht als primäres Ziel setzen. Aber ich will mich nicht dem Vorwurf aussetzen, dass die deutsche Rechtswissenschaft ihre gesellschaftliche Aufgabe einer wissenschaftlichen Begleitung der Praxis vernachlässigt.

Auch der noch nicht vom Bundestag verabschiedete permanente Rettungsmechanismus ESM zieht viel Kritik auf sich. . .

Auch hier wundere ich mich über vieles: So ist angedacht, dass der Gouverneursrat des ESM europaweit Immunität genießt – und das auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt ein Leben lang. Niemand kann ihn also zur Verantwortung ziehen, obwohl er mit hunderten von Milliarden jongliert. Und es gibt auch keine übergeordnete Instanz, die diese Immunität aufheben könnte, weil wir kein europäisches Strafrecht haben. Zu einer Demokratie gehört es aber doch, dass sich Machthaber verantworten müssen.

Das Interview führten Georg Anastasiadis und Stefanie Backs

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