Revolution im Supermarktregal

Neues EU-Gesetz: Einheitsgrößen bei Lebensmitteln fallen weg - Verbraucherschützer warnen vor Mogelpackungen
Ein Päckchen Zucker wiegt ein Kilo, eine Tafel Schokolade hundert Gramm und Milch gibt es literweise – das ist so im Supermarkt. Jeder Verbraucher in Deutschland ist diese Mengenangaben bei Alltagsprodukten gewohnt. Doch ab Ostern wird alles anders: Einheitsgrößen für Lebensmittel sind dann nicht mehr vorgeschrieben. So will es die EU. Verbraucherschützer laufen Sturm: „Damit wird Mogelpackungen Tür und Tor geöffnet“, sagt Gerd Billen, Vorstand beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Wir erklären was sich ab Samstag, 11. April, in den Supermarktregalen ändert und wie sich Verbraucher schützen können.
Warum fallen die Einheitsgrößen weg?
Mit der Änderung der Fertigpackungsverordnung wird eine Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt. EU-weit fallen sämtliche einheitlichen Packungsgrößen für Lebensmittel wie Schokolade, Bier, Wasser, Milch, Zucker oder Säfte weg. Aber auch Lacke, Garne oder Waschmittel können nun in beliebiger Größe angeboten werden. In den 70er-Jahren wurden die Packungsgrößen in der EU standardisiert, um den Verbrauchern Preisvergleiche zu erleichtern. In Deutschland dagegen gab es schon bisher nur bei wenigen Produkten verbindliche Packungsgrößen.
Was ist jetzt möglich?
Theoretisch können ab 11. April bei Wasser sogar 0,005 bis 10 Liter abgefüllt werden. Bei Fruchtsäften, Milch oder Bier ist dieselbe Bandbreite möglich, Wein, Sekt und Spirituosen sind dagegen nicht freigegeben. Bei Zuckerpackungen sind künftig zwischen 100 Gramm und 5 Kilogramm zulässig, bei Schokolade 85 bis 500 Gramm.
Gibt es Vorteile durch den Wegfall der Regelung?
Der Handel hält die Änderung für verbraucherfreundlich. Die Verpackungsgrößen könnten besser auf bestimmte Käufer wie Singles oder Ältere abgestimmt werden, sagt Ulrike Hörchens vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels. „Mit kleineren Größen können die einfach mehr anfangen, die normalen Packungen sind für sie meist zu groß“, sagt Hörchens. Auch das Bundesverbraucherministerium in Berlin lobt diesen Punkt. Mit einem Chaos im Supermarktregal rechne man nicht, sagte eine Sprecherin. Auch Schokoladen-Liebhaber können auf Tafeln in ihrer Lieblingsgröße hoffen: „Neben den Standard-Größen kann es gut sein, dass es für jeden Bedarf eine eigene Größe gibt“, sagt Torben Erbrath vom Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie.
Welche Nachteile ergeben sich für Verbraucher?
Trotz möglicher Vorteile müssen Verbraucher nun extrem aufpassen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen befürchtet Unübersichtlichkeit und Chaos im Supermarkt. Feste Verpackungsgrößen schützten die Kunden bisher vor Fehlkäufen, Hersteller könnten die neuen Regeln für versteckte Preiserhöhungen nutzen. Schon jetzt seien zu geringe Füllmengen an der Tagesordnung. Wenn in Zukunft etwa eine Tafel Schokolade statt der gewohnten 100 Gramm nur mehr 95 hat, „das spürt man nicht und das sieht man nicht“, sagt Andrea Danitschek, Ernährungswissenschaftlerin der Verbraucherzentrale Bayern. Das sei gerade bei Schokolade „gefährlich“, schließlich sei die Nascherei ein typischer Spontan-Einkauf.
Ab wann wird es Änderungen geben?
Theoretisch könnten bereits beim Samstagseinkauf andere Verpackungsgrößen im Regal liegen. Praktisch ist das aber kaum möglich. Solche Umstellungen seien aufwendig und teuer, gibt Winfried Batzke, der Geschäftsführer des Deutschen Verpackungsinstitutes, zu bedenken. Nach Angaben des Verbandes des Deutschen Getränke-Einzelhandels ist bei Mehrwegflaschen kaum mit gravierenden Änderungen zu rechnen. Die Umstellung von Flaschen, Kästen und Abfüllanlagen sei zu aufwendig, sagte der Vorsitzende des Verbandes, Josef Gail. Beim Einweg hält Gail neue Flaschengrößen für wahrscheinlicher. Die Verringerung der Menge sei eine Möglichkeit, die für den Verkauf wichtigen Schwellenpreise wie zum Beispiel aktuell 19 Cent für 1,5 Liter Wasser bei Discountern zu halten. „Solche Überlegungen wird es in Zukunft in allen Bereichen, nicht nur bei den Getränken, geben“, sagt Gail. „Jetzt sind die Verbraucher aufmerksam und sensibilisiert“, sagt Verbraucherschützerin Andrea Danitschek. Handel und Hersteller würden Änderungen daher nicht sofort, sondern schleichend die kommenden Monate über einführen.
Fallen die Grundpreisangaben auch weg?
Nein. „Die Grundpreisangaben sind immer noch verpflichtend“, sagt Andrea Danitschek. Allerdings sind die Schilder, die erklären, wie viel 100 Gramm oder ein Kilo des Produkts kosten, oft versteckt und auch die Schrift ist deutlich kleiner. „Das erschwert den Vergleich, aber er ist immer noch möglich“, sagt die Verbraucherschützerin. Wer diese Angaben in seinem Supermarkt nicht findet, sollte sich bei der Filialleitung beschweren, rät Danitschek. Zuständiges Amt für die Einhaltung der Vorschrift ist die Lebensmittelüberwachung.
Wie können sich Verbraucher schützen?
Bewusst und stets gezielt einkaufen – das ist eine der Grundregeln, sagt Andrea Danitschek. Wer spontan in die Regale greift, legt sich das ein oder andere Preismonster in den Wagen. Außerdem sollten Verbraucher die Verpackung gewohnter Produkte wie etwa das Frühstücksmüsli genauer ansehen, um die Größe zu kennen und eventuelle Änderungen zu bemerken. „Darüber hinaus sind Großpackungen nicht grundsätzlich billiger“, betont die Verbraucherschützerin. Und mit Bücken und Strecken beim Einkaufen lässt sich immer noch Geld sparen: Teure Markenprodukte finden sich meist auf Augenhöhe in den Regalen. Günstigere Ware liegt weiter unten oder hoch oben.
Stefanie Backs