1. Startseite
  2. Wirtschaft

Wirtschaftsweise Schnitzer will Firmenerben stärker zur Kasse bitten: Bestehende Regelung „nicht plausibel“

Erstellt:

Von: Thomas Schmidtutz

Kommentare

Monika Schnitzer: Die Chefin der Wirtschaftsweisen hält die abschlagsfreie Rente mit 63 für falsch.
Monika Schnitzer: Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen hält die abschlagsfreie Rente mit 63 „für falsch“. © Michael Kappeler/dpa

Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat sich für eine Reform der Erbschaftsteuer ausgesprochen und will auch Erben von Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen.

München – Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat eine weitreichende Reform der Erbschaftssteuer angemahnt. Eine „umfassende Neuregelung“ sei „angezeigt“, sagte Schnitzer im Interview mit Merkur.de von IPPEN.DIGITAL. Wer kein Haus erbe, müsse in Ballungsräumen wie München, Frankfurt oder Hamburg inzwischen „sehr, sehr gut verdienen, um überhaupt die Chance auf ein Eigenheim zu haben“, sagte die Ökonomin. Hauserben hätten demgegenüber „sehr viel bessere Startchancen“, auch, wenn sie Erbschaftsteuer zahlen müssten. 

Zugleich sprach sich Schnitzer für einen grundlegenden Renten-Umbau aus. „Wir können uns das Rentensystem nicht mehr lange leisten“, sagte sie. Schon jetzt müsse der Bund die Rentenkassen pro Jahr mit 110 Milliarden Euro stützen. „Wenn wir so weitermachen, geht in 25 Jahren jeder zweite Euro aus dem Bundeshaushalt als Zuschuss an die Rentenkasse“, warnte die Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Merkur.de sprach mit Schnitzer über die Rente mit 63, die Förderung von E-Autos, den Handelsstreit mit den USA und die Chancen auf eine wirtschaftliche Erholung im kommenden Jahr.

Frau Prof. Schnitzer, der Start ins Jahr 2022 war mit großen Hoffnungen verbunden. Viele Volkswirte haben auf eine Entspannung nach der Corona-Pandemie gesetzt und einen Aufschwung erwartet. Tatsächlich hat uns 2022 einen Krieg in der Ukraine beschert, die Energiekrise, Inflationsraten auf historischem Niveau und Rezessionssorgen. Jetzt steht 2023 vor der Tür: Können Sie uns zum Jahreswechsel ein bisschen Hoffnung machen, dass es nächste Jahr endlich besser wird?

Das nächste Jahr wird sicher noch mal schwierig, weil die Gasversorgung für den nächsten Winter noch nicht vollständig gesichert ist und wir dann ohne russisches Gas auskommen müssen. Aber eine Krise setzt auch immer Kräfte frei. Das sehen wir derzeit zum Beispiel am neuen LNG-Terminal in Wilhelmshaven. Da haben die Behörden die Genehmigungen in Rekordzeit erteilt. Wenn wir uns das zum Vorbild nehmen, gibt es für 2023 durchaus Anlass für Optimismus.

Immerhin blicken auch die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute nicht mehr ganz so düster auf das kommende Jahr wie noch im Spätsommer. Das Münchner ifo Institut etwa erwartet für 2023 nur noch ein Mini-Minus von 0,1 Prozent. Der SVR hatte in seinem Jahresgutachten Anfang November für nächstes Jahr noch ein Minus von 0,2 Prozent vorhergesagt. Das IfW in Kiel geht gar von einem Plus von 0,3 Prozent aus. Fällt die Rezession 2023 vielleicht doch noch aus?

Die Haushalte in Deutschland sind trotz des Umfelds noch zuversichtlich und gleichen Einbußen in der realen Kaufkraft aus, indem sie weniger sparen oder sogar Rücklagen auflösen. Die Konsumfreude ist also bislang nicht allzu eingetrübt. Weltweit ist das konjunkturelle Umfeld aber weiter herausfordernd. Aktuell kämpfen die USA ähnlich wie Europa mit einer hohen Inflation. China hat lange auf eine rigide Null-Covid-Linie gesetzt. Das hat zu massiven Produktionseinschränkungen geführt. Jetzt hat die chinesische Regierung die Corona-Politik deutlich gelockert. Allerdings könnte das zu sehr hohen Krankenständen und auch hohen Todeszahlen führen.

Ist China im kommenden Jahr also womöglich das größte Risiko für die deutsche Konjunktur?

Ja. Denn der neue Corona-Kurs der chinesischen Regierung könnte auch die weltweiten Lieferketten belasten. Zudem wächst das Risiko, dass der chinesische Konsum unter Druck gerät. Das könnte auch uns treffen. Schließlich machen etwa die deutschen Autobauer teilweise 40 Prozent ihres Umsatzes in China. Und dann ist da auch noch ein geopolitisches Fragezeichen: Falls Peking seine Drohung wahrmacht und gegen Taiwan vorgeht, werden wir uns genötigt sehen, darauf zu reagieren – mit womöglich schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen.

In Deutschland sehen viele Unternehmen und Verbraucher die Energiepolitik derzeit sehr kritisch. Die Erneuerbaren liefern aktuell kaum Energie. Der Betrieb der Gaskraftwerke ist aktuell extrem teuer. Und die Ausweitung der Stromerzeugung über Kohlekraftwerke erhöht den CO2-Ausstoß massiv. Dazu sollen die letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke Mitte April endgültig vom Netz gehen. Ist das geplante AKW-Aus angesichts des aktuellen Umfelds überhaupt zu verantworten?

Ökonomisch macht das geplante AKW-Aus jedenfalls wenig Sinn. Atomkraftwerke helfen, weil sie die Grundkapazitäten erhöhen und damit weniger Gas benötigt wird, um die Spitzenlast auszugleichen. Wir haben auch im Sachverständigenrat dafür plädiert, eine mögliche Laufzeitverlängerung sehr sorgfältig zu prüfen, solange es akute Knappheiten bei der Energieversorgung gibt. Das kann noch zwei oder drei Jahre der Fall sein. Aber am Ende ist der AKW-Betrieb eine politische Entscheidung. Umgekehrt ist allerdings auch klar: Atomkraft ist kein Allheilmittel, schon alleine wegen der vergleichsweise geringen Strommenge, die mit der Laufzeitverlängerung zusätzlich zur Verfügung steht. Außerdem hilft Atomkraft auch jenen Unternehmen nicht, die Gas als Rohstoff für ihre Produktion brauchen.

Wegen der jüngsten Kältewelle leeren sich die Gasspeicher derzeit rapide. Inzwischen liegen die Füllstände bei 88 Prozent. Das angepeilte Energiesparziel von 20 Prozent gegenüber den Vorjahren haben wir zuletzt deutlich verfehlt. Drohen uns nach dem Jahreswechsel womöglich doch noch Zwangsabschaltungen im Notfall Plan Gas?

Ich bin momentan sehr zuversichtlich, dass wir ohne Gasmangellage und Rationierung oder gar Zwangsabschaltungen über den Winter kommen. Natürlich hat die Kältewelle den Gasverbrauch zuletzt weiter erhöht. Und dass wir es uns jetzt über die Feiertage zu Hause gemütlich machen wollen, ist sehr verständlich. Aber danach ist wieder Energiesparen angesagt. Neben den Appellen werden dabei auch die Preise helfen. Viele Haushalte haben bislang noch keine Abrechnung mit den neuen Preisen vorliegen. Nach dem Jahreswechsel wird das anders sein. Das wird einen zusätzlichen Sparanreiz bringen.

Die grassierende Energiekrise setzt auch der Industrie extrem zu. Vor allem die energie-intensiven Branchen Metall, Chemie, Glas oder Papier sehen die Entwicklung mit großer Sorge. Vielfach lohne sich die Produktion kaum noch, heißt es. Alleine in der Chemie sank die Produktion zuletzt um gut ein Fünftel. Nach Angaben des Branchenverbands VCI schreibt inzwischen jedes vierte Unternehmen rote Zahlen. VCI-Präsident Markus Steilemann warnt vor der Abwanderung vieler Betriebe in die USA oder nach China. Droht Deutschland die Deindustrialisierung?

Wir haben uns im aktuellen Jahresgutachten sehr intensiv mit dem Thema Energieversorgung der Wirtschaft auseinandergesetzt. Im Kern sind hier drei Kriterien wichtig: Wo gibt es eine besonders hohe Energieintensität pro verdientem Euro? Wo drohen kurzfristig Liquiditätsschwierigkeiten, weil die Bruttomarge zu gering ist, um die gestiegenen Energiekosten aufzufangen? Und wie groß ist der Wettbewerb aus dem nicht-europäischen Ausland. Das beeinflusst, wie stark man die Preise anheben kann. Die Chemiebranche hat ihre Energieeffizienz in den vergangenen Jahren bereits deutlich verbessert. Viele Unternehmen liefern Produkte in Märkten mit überschaubarer Konkurrenz bei teilweise sehr auskömmlichen Margen. Diese Firmen haben Spielräume für Preisanhebungen, von denen sie zum Teil auch schon Gebrauch machen. Von daher ist die Aufregung nur begrenzt nachvollziehbar. Wenn bestimmte Produkte der Grundstoffchemie bei uns künftig tatsächlich nicht mehr hergestellt werden sollten wie etwa Ammoniak, gefährdet das nicht unsere Volkswirtschaft insgesamt. Und was den Hinweis zu China anbelangt: Dass Unternehmen nach China abwandern oder ihr Engagement dort deutlich ausweiten, halte ich in der aktuellen politischen Situation für nicht sehr klug.

Der Chemieriese BASF hält am geplanten Bau eines riesigen Verbundstandorts in China fest und will dafür rund zehn Milliarden Euro investieren?

Wenn BASF mit all den politischen Schwierigkeiten leben kann, die das mit sich bringt oder bringen könnte, ist das eine Entscheidung des Unternehmens. Der Konzern sollte aber nicht erwarten, dass der Staat aushilft und die Risiken übernimmt, wenn es Ärger gibt. Das wäre nicht richtig.

In den USA tritt zum Jahreswechsel der milliardenschwere Inflation Reduction Act (IRA) zum Klimaschutz in Kraft. Viele Unternehmen haben wegen der Förderung bereits angekündigt, ihre Investitionen in Deutschland oder Europa zugunsten der USA zu überdenken. Wie gefährlich ist der IRA für Europa?

Wir reden hier über ein Paket mit einem Volumen von rund 370 Milliarden Dollar und einer Laufzeit von zehn Jahren. Das ist im Vergleich zur Größe der US-Wirtschaft nicht allzu groß. Auch die EU hat bereits Pakete in ähnlicher Größenordnung aufgelegt.

Die Autobauer sehen den IRA aber mit großer Sorge, weil Käufer ausländischer E-Autos in den USA künftig keine Förderung mehr erhalten würden, wenn die Fahrzeuge nicht aus US-Produktion stammen. Kann Europa das einfach so hinnehmen?

Grundsätzlich sollte man mit den Amerikanern im Gespräch bleiben. Wenn das zu keiner Lösung führt, muss man sicher Alternativen suchen.

Frankreich drängt auf einen harten Kurs samt eines EU-Hilfspakets?

Dass Europa versucht dagegen zu halten, wenn andere Länder den freien Handel beschneiden, ist verständlich. Man kann sicher überlegen, welche Hilfen ohnehin bereits vorgesehen sind, und den Schwerpunkt auf europäische Unternehmen legen. Aber das verringert den Wettbewerb und damit Innovation.

EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen hat wegen des IRA einen Souveränitätsfonds ins Spiel gebracht, inklusive der Aufnahme von Gemeinschaftsschulden wie beim Corona-Wiederaufbaufonds. Richtig?

Wir haben uns im jüngsten Jahresgutachten grundsätzlich für europäisch finanzierte Projekte ausgesprochen, sofern sie im europäischen Interesse sind und einen europäischen Mehrwert stiften. Beim Souveränitätsfonds könnte Europa seine Autonomie stärken und zwar genau in jenen Bereichen, in denen wir von China oder den USA abhängig sind. Die Frage ist, wie man das finanziert: Über Schulden, Beiträge der jeweiligen Mitgliedsländer oder Einnahmen, die die EU selbst erhält. Diese Alternativen muss man sehr genau prüfen. Denn durch die zwei Krisen sind wir sehr ausgabenfreudig geworden.

Also ja zu Hilfen, und nein zur Aufnahme neuer Gemeinschaftsschulden?

Eine mögliche Schuldenfinanzierung für Zukunftsinvestitionen kann man rechtfertigen, sollte aber trotzdem gut überlegt sein, gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Zinsen zuletzt deutlich gestiegen sind und neue Schulden längst nicht mehr so günstig zu finanzieren sind wie noch vor zwei Jahren.

Zum Jahreswechsel drosselt der Bund die Hilfen für E-Autos. Marktforscher erwarten, dass sich der Absatz von E-Fahrzeugen in Deutschland im nächsten Jahr deshalb halbieren könnte. Ist das Ampelziel von 15 Millionen E-Autos bis 2030 so überhaupt zu erreichen?

Durch die staatliche Unterstützung ist die Nachfrage nach E-Autos in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Die Industrie kommt bei der Lieferung allerdings kaum noch hinterher. Solange das nicht besser wird, sind weitere Kaufanreize nicht sinnvoll. Sie treiben die Preise und die Automobil-Branche steckt sich viel Geld ein – ohne, dass deshalb mehr E-Fahrzeuge auf die Straße kommen. Auch die Hilfen für Hybrid-Autos sind nicht sinnvoll, weil die E-Antriebe in diesen Fahrzeugen kaum genutzt werden. Davon abgesehen muss die Frage erlaubt sein, ob das Angebot der deutschen Hersteller an günstigen E-Autos groß genug ist. Auch in China läuft das E-Auto-Geschäft für die deutschen Hersteller nicht mehr so gut, weil sie Fahrzeuge in den unteren Preissegmenten kaum im Angebot haben. Hier ist also erst mal die Automobil-Industrie gefragt.

Wenn wir so weitermachen, geht in 25 Jahren jeder zweite Euro aus dem Bundeshaushalt als Zuschuss an die Rentenkasse. 

Prof. Monika Schnitzer über die langfristigen Finanz-Risiken des Bundes.
Geballte Expertise: Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, übergibt Bundeskanzler Olaf Scholz die neueste Ausgabe des Jahresgutachtens zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (Archivbild)
Geballte Expertise: Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, übergibt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die neueste Ausgabe des Jahresgutachtens des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (Archivbild) © Michael Kappeler/dpa

Monika Schnitzer: Können uns das Rentensystem nicht mehr lange leisten

Die 2014 eingeführte Rente mit 63 ist zum Absatzschlager geworden. Alleine im vergangenen Jahr gingen 270.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über diesen Weg abschlagsfrei in den Ruhestand, sofern sie zuvor 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Doch der Vorruhestand reißt ein großes Loch in die Rentenkasse. Inzwischen werden alleine dafür pro Monat über drei Milliarden Euro fällig. Wie lange können wir uns das noch leisten?

Wir können uns das gesamte Rentensystem nicht mehr lange leisten. Schon jetzt fließen pro Jahr rund 110 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse. Das ist ein Viertel des gesamten Bundeshaushalts. Wenn wir so weitermachen, geht in 25 Jahren jeder zweite Euro aus dem Bundeshaushalt als Zuschuss an die Rentenkasse.

Und die Rente mit 63?

Ich halte die abschlagsfreie Rente mit 63 für falsch – und zwar nicht nur wegen der Kosten. Wir können uns die Rente mit 63 auch deshalb nicht leisten, weil uns die Leute fehlen. Selbst für einfache Tätigkeiten finden wir in Deutschland kaum noch Personal. Selbstverständlich ist es jedem unbenommen, in Rente zu gehen - aber eben nicht ohne Abschläge.

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die Entwicklung inzwischen ebenfalls mit Sorge. Man müsse den Anteil derjenigen steigern, „die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können“. Wie könnte man das Thema konkret angehen?

Die einfachste Variante wäre: Keine Rente mit 63 mehr ohne Abschläge. Aber um das Rentensystem sicherer zu machen, müssen wir wohl an mehreren Stellschrauben drehen. Nehmen wir das Renteneintrittsalter. Der Vorschlag des Sachverständigenrats ist da sehr klar: Für jedes Jahr mehr Lebenserwartung sollte das Renteneintrittsalter um acht Monate steigen.

Also sollten wir die Rente an die Lebenserwartung koppeln?

Ja. Aktuell erreichen wir das angepeilte Renteneintrittsalter von 67 im Jahr 2031. Die Lebenserwartung erhöht sich alle zehn Jahre um ein Jahr. Damit ergäbe sich für 2046 ein Renteneintrittsalter von 68, für 2061 ein Renteneintrittsalter von 69 Jahren. Die zweite Stellschraube wäre eine Erhöhung der Rentenbeiträge, und zwar jetzt schon. Dann würden auch die Babyboomer noch einen Beitrag leisten, die in wenigen Jahren in Rente gehen, aber zu wenig Kinder bekommen haben, um diese Renten zu finanzieren. Man könnte außerdem den Renten-Anstieg abflachen. Dann würden Ruheständler zwar mit dem gleichen Niveau einsteigen wie jetzt, die Anstiege würden dann aber künftig hinter dem allgemeinen Lohnanstieg zurückbleiben. Das würde typischerweise Reichere eher treffen, da sie rein statistisch eine höhere Lebenserwartung haben, aber sie haben in der Regel ohnehin gut vorgesorgt. Die vierte Möglichkeit wäre es, innerhalb einer Rentengeneration umzuverteilen. Am Ende muss man an allen Stellschrauben drehen.

Aber in vielen Berufen mit harter körperlicher Arbeit sind längere Lebensarbeitszeiten kaum noch zumutbar. Was muss da passieren?

Bei körperlich sehr anstrengenden Berufen sind viele Menschen auch mit 50 nicht mehr in der Lage zu arbeiten, denken Sie etwa an Pfleger im Krankenhaus. Wir müssen stattdessen sehr viel stärker darüber nachdenken, wie man Beschäftigte umschulen kann und ihnen Perspektiven in Bereichen eröffnet, die für sie noch gut auszuüben sind. Nehmen Sie zum Beispiel einen Schreiner: Viele haben am Anfang ihres Berufslebens noch Dachstühle gebaut. Im höheren Alter wechseln sie dann in die Ausbildung oder planen Neu-Aufträge. Diese Modelle müssen wir forcieren.

Müssen wir künftig nicht auch Beamte oder Freiberufler heranziehen und in die Rentenkassen einzahlen lassen?

Das ist in der Tat überlegenswert. Aber man sollte nicht erwarten, dass dadurch das Rentensystem saniert wird, denn wer einzahlt, erwirbt auch Ansprüche.

Rentner: Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat sich für einen weitreichenden Umbau des Rentensystems ausgesprochen.
Ruheständler auf der Parkbank: Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat sich für einen weitreichenden Umbau des Rentensystems ausgesprochen. © Sebastian Kahnert/dpa

Wirtschaftsweise Monika Schnitzer: Umfassende Neuregelung der Erbschaftssteuer ist angezeigt

In Deutschland sind die Preise für Immobilien in den vergangenen Jahren teils massiv gestiegen, die Freibeträge aber nicht. Zum 1. Januar steigt die Erbschaftsteuer. Nun wächst die Sorge, dass Erben das Haus ihrer Eltern verkaufen müssen, weil sie die fälligen Steuern nicht stemmen können. Braucht es hier eine Anpassung?

Das Problem sind doch hier nicht die Erbschaftsteuern, sondern die hohen Immobilienpreise. Wer kein Haus erbt, muss in Ballungsräumen wie München, Frankfurt oder Hamburg sehr, sehr gut verdienen, um überhaupt die Chance auf ein Eigenheim zu haben. Wer ein Haus erbt, hat, auch wenn er Erbschaftsteuer zahlen muss, sehr viel bessere Startchancen.

Unternehmerverbände warnen aber vor den möglichen Folgen einer Neuregelung. Viele Betriebe könnten künftig womöglich kaum noch vererbt werden, weil die fälligen Steuerbeträge so hoch werden könnten, dass die nachfolgende Generation zum Verkauf gezwungen sein könnte. Was müsste hier passieren?

Bei Unternehmen verstehe ich die Aufregung überhaupt nicht. Aktuell ist die Steuerlast bei der Vererbung eines Unternehmens vergleichsweise gering. Dagegen wird bei der Vererbung von Finanzanlegen, einer OIdtimer-Sammlung oder Kunst ordentlich Erbschaftsteuer fällig. Diese Ungleichbehandlung ist nicht wirklich plausibel.

Aber bei der Vererbung eines Betriebs liegt der Fall etwas anders. Da ist der Großteil des Vermögens im Unternehmen gebunden und kann in aller Regel nicht einfach entnommen werden.

Man könnte hier sehr gut mit Stundungen arbeiten, bei denen die anfallende Erbschaftsteuer über mehrere Jahre aufgeteilt und abgezahlt wird. Dafür gibt es konkrete Vorschläge. Das wäre vergleichsweise einfach umsetzbar und gerechter als die bestehende Regelung. Ich denke, eine umfassende Neuregelung der Erbschaftsteuer ist angezeigt.

Auch interessant

Kommentare